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sent from my wheelchair

Von Sophie Hubbe / 9. Juni 2015
Andi Weiland

Vielfalt bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Für Menschen mit Behinderungen ist die Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt führen zu können, eine Form von Vielfalt. Raúl Krauthausen bezeichnet genau jene Unabhängigkeit als Lebensqualität.

„Ich bin ein bisschen anders, aber beim Anderssein stets humorvoll“, sagt Raúl Krauthausen über sich. Was er damit meint, wird spätestens in seiner Emailsignatur „sent from my wheelchair“ deutlich. Raúl Krauthausen hat Osteogenesis Imperfecta – Glasknochen. Spricht man ihn darauf an, wechselt er schnell das Thema. „Eine Diagnose oder eine Erkrankung schreckt viele Menschen nur ab. Stattdessen möchte ich lieber über meine Arbeit sprechen.“ Raúl Krauthausen will so leben wie seine Mitmenschen und sich nicht behindern lassen. Für diese Vielfalt arbeitet er.

Krauthausen sieht sich als politischer Botschafter. Er nutzt seine Behinderung, um auf die Themen Inklusion und Bewegungsfreiheit aufmerksam zu machen. Zusammen mit seinem Cousin Jan gründete er 2004 den gemeinnützigen Verein Sozialhelden. Während im Fernsehen die Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ lief, wollten die beiden etwas „Sinnvolles“ casten und suchten gemeinsam mit einem Berliner Radiosender nach dem „SuperZivi“.

Heute, gut zehn Jahre nach der Gründung, sind die Sozialhelden deutschlandweit bekannt. Eines ihrer Projekte – „wheelmap.org“, eine Online-Karte für rollstuhlgerechte Orte – ist mittlerweile in 22 Sprachen verfügbar und verzeichnet für rund 50.000 Nutzer mehr als 500.000 Orte weltweit. In drei Kategorien – rollstuhlgerecht, prinzipiell zugänglich mit Einschränkung, und nicht für Rollstuhlfahrer zugänglich – versucht die Karte, Rollstuhlfahrern zu ermöglichen, eigenständig von einem Ort zum nächsten zu kommen. Selbstbestimmt im alltäglichen Leben unterwegs zu sein ist für Krauthausen eine Grundvoraussetzung für Lebensqualität.

Auch Informationsangebote wie die Internetseite „Leidmedien.de“ sind ein großer Erfolg der Sozialhelden. Aus der Sicht von behinderten und nichtbehinderten Medienschaffenden erhalten Journalisten Tipps für eine Berichterstattung, die nicht einseitig oder klischeebehaftet ist. Insgesamt engagieren sich die Sozialhelden in sieben Projekten zu den Themen Inklusion und Bewegungsfreiheit.

Institutionalisiertes Misstrauen

Ziel der Projekte ist, Menschen für gesellschaftliche Probleme zu sensibilisieren und zum Umdenken zu bewegen. Oft fehle ein Verständnis für den Alltagsablauf von Behinderten, so Krauthausen. Generell sei das Thema Behinderung viel zu institutionalisiert. „Behörden meinen zu wissen, was gut und bezahlbar für Menschen mit Behinderungen ist und was nicht.“ Viele bürokratische Hürden erschwerten einem Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben. „Man muss permanent beweisen, dass man eine Behinderung hat. Das Misstrauen von Krankenkassen, Schulen und Arbeitgebern ist immer noch viel zu hoch“, erklärt Raúl Krauthausen.

Er selbst muss jedes halbe Jahr im Sozialamt nachweisen, wie viel Geld er auf dem Konto hat. Da die Assistenzleistung, die er benötigt, vom Sozialamt bezahlt wird, soll verhindert werden, dass er ein Vermögen anspart. „Das ist im Vergleich zu anderen Jobs ungerecht, weil ich kein Geld sparen darf, obwohl ich acht Angestellte habe und 60 Stunden die Woche arbeite, dabei aber nicht mehr als den doppelten Hartz-IV-Satz verdienen darf.“

Gegen diese institutionalisierte Ungerechtigkeit setzt sich Krauthausen ein. „Es ist doch egal, ob jemand läuft oder sitzt, ob jemand sieht oder einen Blindenstock benutzt – die Hauptsache ist, alle Menschen können vollwertig am Leben teilhaben.“ Diese Möglichkeit macht für Raúl Krauthausen Lebensqualität aus. „Ich glaube, das Wichtigste ist, in einem Umfeld zu leben, das an einen glaubt, das es einem ermöglicht, die Dinge zu tun, die man sich wünscht und die man sich vornimmt.“

Andere Länder seien viel fortschrittlicher als Deutschland, so Krauthausen. Sie würden Behinderung als etwas begreifen, das nicht zwangsläufig eine Erkrankung oder etwas Medizinisches sei, sondern etwas Soziales. „Diese Personen können besser damit umgehen, dass Menschen mit Behinderung Teil der Gesellschaft sind und nicht normalisiert und gesund gemacht werden müssen.“ In Großbritannien zum Beispiel müssen alle Restaurants rollstuhlgerecht sein, sonst erhalten sie keine Zulassung. Von derlei Gesetzen sei Deutschland aber noch weit entfernt, meint Raúl Krauthausen.

Keine Kostenfaktoren

„Menschen mit Behinderungen werden in unserer Gesellschaft als Menschen gesehen, die Geld kosten. Dass Menschen mit Behinderung aber auch Arbeitsplätze sichern, wird ignoriert.“ Krauthausen verweist auf Apotheken, Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Sonderpädagogen, von denen man nur halb so viel bräuchte, wenn es keine Menschen mit Behinderungen gäbe. Er fordert, die Perspektive zu ändern und zu sehen, dass Menschen mit Behinderungen genauso Mehrwertsteuern und Sozialabgaben zahlen. „Menschen mit Behinderungen sind keine Kostenfaktoren.“

Der gemeinnützige Verein Sozialhelden soll auch auf dieses Thema aufmerksam machen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Inklusion nur durch Konfrontation gelingen kann. Man sollte nicht mehr diskutieren, ob man Inklusion will oder ob Inklusion möglich ist, sondern es sollte darum gehen, das wie zu klären.“

Würde die Bevölkerung gefragt werden, ob sie ein Asylbewerberheim in ihrer Nachbarschaft oder ein behindertes Kind in der Schulklasse ihres eigenen Kindes wollten, würden viele nein sagen, meint Krauthausen. „Wenn man aber sagt, passt auf Leute, ab morgen gibt es ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft und ein behindertes Kind in der Klasse, dann arrangieren sich die Menschen damit.“

Angst aufgrund von Unsicherheiten dürfe nicht zu einer ablehnenden Haltung führen. Viel zu viele Menschen hätten Berührungsängste und wüssten nicht, wie sie mit Menschen mit Behinderungen umgehen sollen. Das Problem sei, dass es einfach zu wenig Berührungspunkte gebe, die diese Unsicherheiten auflösen könnten. „Deswegen muss diese Spirale durchbrochen werden, am besten schon im Kindergarten. Nicht als Option, sondern als Pflicht.“

"Dachdecker wollte ich eh nicht werden" - lautet der Titel von Raúl Krauthausens Buch, in dem er über sein Leben aus der Rollstuhlperspektive berichtet. (Foto: Privatbesitz Raul Krauthausen)
„Dachdecker wollte ich eh nicht werden“ – lautet der Titel von Raúl Krauthausens Buch, in dem er über sein Leben aus der Rollstuhlperspektive berichtet.
(Foto: Privatbesitz Raul Krauthausen)

„Jeder ist irgendwann behindert“

Raúl Krauthausen selbst ist in einem sozialen Umfeld aufgewachsen, das ihn immer unterstützt hat. „Meine Eltern haben mich immer darin bestärkt, meinen Traum zu leben, weil sie wussten, dass ich früher oder später sowieso zu der Erkenntnis kommen würde, dass es Sachen gibt, die ich nicht kann.“ Es sei aber der falsche Weg, Kindern – ob mit oder ohne Behinderung – vorzuschreiben, was sie können oder nicht. „Trauen Sie Ihrem Kind zu, dass es selbst lernt, was es kann und was nicht. Fangen Sie nicht an, Ihrem Kind etwas einzureden.“

In seinem Buch „Dachdecker wollte ich eh nicht werden“ zeigt Krauthausen auf, dass eine Behinderung nur eine von vielen Eigenschaften eines Menschen ist. Krauthausen beschreibt, wie ein Miteinander von behinderten und noch nicht behinderten Menschen aussehen kann. Es sei zu spät, sich erst darüber Gedanken zu machen, was Lebensqualität für Menschen mit Behinderungen bedeutet, wenn man selbst davon betroffen ist. „Jeder von uns wird irgendwann einmal behindert sein“, sagt Krauthausen.

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