Smart von A nach B
Die Straßen in den Städten werden immer voller, der Verkehrskollaps droht. Abhilfe schaffen können neue, digitale Verkehrskonzepte. Aber auch die haben Nachteile.
Langsam schiebt sich eine bunte Lawine durch die Kölner Innenstadt. Lasten-, Renn- und Trekking-Räder, Mountainbikes, Hollandgondeln, Tandems und allerhand andere unmotorisierte Zweiräder klingeln um die Wette: mal schrill, mal dunkel, mal unterstützt durch laute Bässe aus einer tragbaren Box. Bei der “Critical Mass“, einer besonderen Demonstration, fahren Radfahrerinnen und -fahrer einmal im Monat durch Großstädte, um für die Verkehrswende zu werben.
Die ist längst überfällig, denn die Straßen verstopfen immer mehr. Drei Viertel der Städte im sogenannten Traffic-Index des Navigationsgeräte-Herstellers TomTom haben aktuell eine mindestens genauso hohe Verkehrsbelastung wie vor zehn Jahren. In den sechs deutschen “Stau-Hauptstädten“ mussten Autofahrer im Jahr 2018 bei jeder Fahrt im Schnitt mindestens 30 Prozent mehr Zeit im Vergleich zu den günstigsten Geschwindigkeiten einplanen.
In den Morgen- und Abendstunden stockte der Verkehr dermaßen – die Fahrtzeit stieg um bis zu 60 Prozent! Berliner Autofahrer standen 2018 laut dem Verkehrsdatenanbieter Intrix 154 Stunden im Stau. Zu den Gründen für den Kollaps zählt, dass immer mehr Menschen am liebsten im eigenen Auto zur Arbeit pendeln. 68 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland fuhren laut ADAC im vergangenen Jahr mit dem Pkw zur Arbeit, meistens alleine.
Neue Verkehrskonzepte könnten Entlastung schaffen. Möglich macht das die Digitalisierung. Neben intelligenten Verkehrsleit- und Parksystemen führt sie Angebot (Fortbewegungsmittel) und Nachfrage (Mobilitätsbedürfnis) unkompliziert in Echtzeit zusammen; und zwar ziemlich effizient im Vergleich zur analogen Handhabe.
1. Sharing macht Räder überall und jederzeit verfügbar
Sharing-Systeme machen Verkehrsmittel prinzipiell jederzeit und überall verfügbar. Beim Bikesharing können sich Radler per App ein Fahrrad ausleihen und am Zielort ihrer Fahrt wieder abstellen, ohne sich weiter darum kümmern zu müssen. Wer kein eigenes Rad hat, nach Ankunft mit der U-Bahn nicht zu Fuß gehen will oder spontan ein Verkehrsmittel für den Heimweg sucht, schwingt sich also einfach auf das nächste Leihrad.
Inzwischen sind weltweit mehr als 1,2 Millionen Fahrräder als Teil von Bikesharing-Systemen unterwegs. Den zweitgrößten Anbieter von Leihrädern in Deutschland, Call a Bike von der Deutschen Bahn, gibt es bereits seit dem Jahr 2000. Doch erst ab 2014 ist die Nutzerzahl mit 40 Prozent Zuwachs bis 2017 besonders kräftig gestiegen. Branchenprimus Nextbike bietet inzwischen in 60 deutschen Städten Räder zur Ausleihe an.
Verkehrsplaner hoffen, dass die Straßen durch den immer einfacheren Umstieg auf das Rad bald deutlich autofreier werden. Der Platz im öffentlichen Raum wird allerdings auch knapper, wenn ein Überangebot an Rädern mehrerer Anbieter in die Straßen gekippt wird – so wie es sich derzeit in einigen Städten abzeichnet. Und auch eigentlich sinnvolles Carsharing führt bisweilen zu einer Steigerung des Individualverkehrs.
2. Nachfrage bündeln für weniger Individualverkehr
Ein anderer Vorteil der Digitalisierung ist, dass sie Mobilitätsbedürfnisse bündelt. Wie hätte man vorher sonst in Erfahrung bringen sollen, dass einander unbekannte Menschen zur gleichen Zeit das gleiche Ziel haben? Apps wie der BerlKönig schaffen jetzt die nötige Transparenz.
Der BerlKönig ergänzt seit September 2018 den bestehenden ÖPNV Berlins. In mehr als 130 mehrheitlich elektrischen Kleinbussen können sich die Fahrgäste in Fahrgemeinschaften durch Berlin shuttlen lassen. Per App wählen sie Start- und Zielort und bestellen anschließend den BerlKönig. Bei diesem On-Demand-Ridesharing bündeln intelligente Algorithmen die Fahrten mehrerer Gästen mit ähnlichem Ziel. So soll weniger von der kostbaren Infrastruktur Straße verbraucht und der öffentliche Nahverkehr in seiner Form attraktiver werden. Im Gegensatz zum klassischen Taxi können die Passagiere eines BerlKönig-Sammeltaxis das Gefährt zwar nicht einzeln in Anspruch nehmen und müssen in der Regel ein paar Meter zum Startpunkt laufen. Dafür ist das Ganze komfortabler als die Fahrt mit der U-Bahn.
Doch damit sind die Möglichkeiten digitaler Technologien noch lange nicht ausgeschöpft. Zum Beispiel wäre denkbar, dass eine Stadt durch entsprechendes Monitoring relevanter Knotenpunkte auf die Verkehrslage in Echtzeit reagiert – und etwa für zwei Stunden eine kostenlose Nutzung des ÖPNV gestattet, um die Straßen zu entlasten.
Bei allen Vorteilen, welche die Digitalisierung vor allem für die Fortbewegung in Städten mit sich bringt, bleibt die Gretchenfrage, wie bei der allgegenwärtigen Erfassung von individuellen Mobilitätsdaten der Datenschutz gewährleistet werden kann. Allzu oft werden Daten nicht anonymisiert, obwohl dies längst möglich wäre, ohne die Funktionalität der App oder der Fortbewegungstechnologie einzuschränken.
Eine ganz andere Crux, aber bitter nötig, ist der noch überfällige Mentalitätswandel: Es gibt viele renitente Autofahrer, die sich ungeachtet eines noch so gut ausgebauten ÖPNV-Netz mit noch so vielen Zusatzangeboten und Vergünstigungen weiterhin am liebsten hinter das eigene Steuer klemmen.