Sommeruniversität 2015: Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft?
„Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft!“ 15. Sommeruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung in Potsdam-Hermanswerder Vom 5. bis zum 10. Juli 2015 fand im Rahmen von „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus“ die 15. Sommeruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Thema „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft!“ in Potsdam-Hermannswerder statt. Die […]
„Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft!“
15. Sommeruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung in Potsdam-Hermanswerder
Vom 5. bis zum 10. Juli 2015 fand im Rahmen von „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus“ die 15. Sommeruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Thema „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft!“ in Potsdam-Hermannswerder statt.
Die neue Qualität weltumspannender Probleme wie die Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise, wachsende soziale Ungleichheit, religiöser Fundamentalismus sowie Krieg und Flucht stellen das demokratische Selbstverständnis der offenen Gesellschaft zunehmend auf die Probe. Wie lässt sich eine nationale, europäische und globale Politik unter den Vorzeichen der Sozialen Demokratie gestalten? Und wie müssen sich ihre Akteure positionieren, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie das Vertrauen in die Demokratie zu stärken? Diese Fragen wurden in spannenden Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops zusammen mit renommierten Wissenschaftlern_innen und Politikern_innen näher beleuchtet.
Ziel der Sommeruniversität ist es, junge engagierte und interessierte Nachwuchskräfte mit Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur ins Gespräch zu bringen.
Zur Dokumentation der Sommeruniversität 2015 geht es hier entlang.
Die aktuellen Entwicklungen seit der Sommeruniversität 2015 im Rahmen von „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, haben wir am Dienstag, den 18. August 2015, auch mit Johanna Uekermann, Bundesvorsitzende der Jusos, im Rahmen einer SagWas.net-Live-Debatte diskutieren können. Nachfolgend dokumentieren wir diese Debatte durch ein Video der Highlights dieser Debatte und natürlich die Bereitstellung der kompletten Aufzeichnung. Die komplette ungeschnittene Aufzeichnung gibt es ganz am Ende dieses Beitrages.
SagWas.net-Livedebatte „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft?“
S: Herzlich Willkommen zur ersten SagWas.net-Livedebatte im Rahmen von: „Gute Gesellschaft − Soziale Demokratie 2017plus“ mit dem Thema: „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft?“ Wir greifen damit ein Thema auf, das die diesjährige Sommeruniversität der Friedrich Ebert Stiftung diskutiert hat. Ich freue mich sehr, dass sich für die Debatte heute Johanna Uekermann, Bundesvorsitzende der Jusos, Zeit genommen hat. Um euch nicht weiter die Zeit für die Debatte zu stehlen, gehe ich aus dem Bild und übergebe an Christina.
Q: Ja, hallo. Auch nochmal von mir ein herzliches Willkommen zur heutigen Livedebatte. Der Sebastian hat es ja gerade gesagt, wir diskutieren heute: „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft?“. Ich bin Christina Quast und ich werde eure Fragen ins Gespräch bringen, die ihr online zur Livedebatte stellen könnt. Also fragt einfach, was ihr wissen wollt. Die Antworten kommen dann hoffentlich von meinem Gast. Das ist Johanna Uekermann. Sie ist seit 2013 die Bundesvorsitzende bei den Jusos und ist bei der Sommeruniversität in Potsdam gewesen. Sie wird uns gleich noch ein bisschen davon berichten. Auch dort war das Thema: „Deutschland, Europa und die Welt: Stresstest für die offene Gesellschaft?“. Herzlich Willkommen auch dir nochmal. Wie sieht für dich persönlich eigentlich eine offene und gute Gesellschaft aus?
U: In einer guten Gesellschaft muss es egal sein woher man kommt und wer man ist, also ob man Mann oder Frau ist, ob man hier in Deutschland geboren ist oder nicht. Wichtig ist, dass jeder hier gut leben, seinen Lebenstraum verwirklichen und erfüllen, kann. Ich finde auch in einer guten Gesellschaft darf man nicht nur auf sich selber schauen, sondern man muss auch füreinander da sein, füreinander einstehen. Das macht ebenfalls eine gute Gesellschaft aus.
Q: Bei der Sommeruniversität haben sich so ungefähr einhundert junge Leute getroffen. Was waren denn die Hauptprobleme, die jetzt in der Welt stehen, die einen daran hindern, seinen eigenen Lebenstraum zu erfüllen, von dem du gerade gesprochen hast?
U: Die Sommeruniversität ist für mich immer so ein kleines Highlight im Sommer. Ich fahre da unglaublich gern hin, weil es so viele junge Leute gibt, die dort diskutieren, mit ihren jeweiligen Interessen zusammenkommen und sich austauschen. Dieses Mal hatten wir ein buntes Potpourri an unterschiedlichen Themen. Aber was definitiv immer wieder kam, sind aktuelle Fragen. Also Flüchtlings- und Migrationspolitik war ein großes Thema, aber auch das soziale Europa. Wie umgehen mit Griechenland und der Griechenlandkrise? Wir haben noch vieles mehr diskutiert, wie zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit und globale Ungerechtigkeiten. All das waren Themen.
Q: Wie war denn da die Atmosphäre? Gab es eine Arbeitsatmosphäre, wurden tatsächlich konkrete Lösungen erarbeitet? Was hast du mitgekriegt?
U: Die Atmosphäre ist je nachdem, was man gerade macht. Auf der einen Seite wird tagsüber ganz engagiert diskutiert und gearbeitet. In verschiedenen Workshops und Podiumsdiskussionen bringen sich alle mit ihren jeweiligen Fragen und Statements ein. Es ist immer ziemlich cool, so viele junge engagierte Leute zu sehen. Und auf der anderen Seite ist es natürlich auch mal gesellig, wenn man abends beieinander sitzt und auch zu späterer Stunde noch weiter diskutiert, wie man vorankommt, wie man tatsächlich eine offene gute Gesellschaft hinkriegt. Es gibt beides. Ich bin immer tief beeindruckt von den ganzen Leuten und auch den konkreten Ideen, die sie dort austauschen.
Q: Du hast gerade gesagt, soziale und wirtschaftliche Themen usw. sind da der Knackpunkt gewesen. Auch bei unseren Fragen, die wir aus dem Publikum schon gekriegt haben, sind die Stichpunkte tatsächlich die Griechenlandkrise, die wirtschaftliche Krise da und die Debatte um die Flüchtlinge, die wir ja jetzt aktuell im Sommer haben. Da werden wir gleich nochmal darauf eingehen. Wie sieht es denn aus, nimmt die Zahl der Probleme gefühlt zu oder ist es einfach so, dass die Lösung schwieriger und komplizierter wird, weil sie halt auf nationaler, europäischer und sogar globaler Ebene stattfinden muss?
U: Na, ich glaube schon, dass quasi die globalisierte Welt, in der wir leben uns zeigt, dass man eben Probleme nicht mehr selber lösen kann. Nicht am Küchentisch alleine und auch nicht irgendwie auf nationaler Ebene, sondern, dass man sich zu ganz vielen Problemen eben europäisch, aber auch weltweit austauschen und dort gemeinsam Lösungen erarbeiten muss. Ich glaube auch, dass wir gerade in den letzten Monaten und Jahren sehr viele Unsicherheiten und Krisen hatten, was tief in das Bewusstsein, insbesondere von jungen Menschen eingedrungen ist, die zum Beispiel Europa und die europäische Union, so ist zumindest mein Eindruck, vielfach nur noch mit dem Thema Krise verbinden. Also soziale Krise, humanitäre Krise, das sind die Stichworte, die man immer hört und das da bei vielen auch das Gefühl entsteht: „Oh Gott, was kann ich eigentlich als einzelner Mensch noch beitragen? Wie kann ich beitragen, um diese Probleme zu lösen und ist das eigentlich nicht nur noch auf globaler Ebene möglich?“
Q: Wir gehen gleich mal in die Flüchtlingsdebatte, die sehr emotional geführt wird. Da ist eben auch die Frage aus dem Publikum: „Bei einer Debatte, die so populistisch und emotional geführt wird, kommt man da mit Fakten und Statistiken, die ja was ganz anderes aussagen, gegen an?“
U: Ich muss sagen, dass mich die Situation gerade schon ziemlich besorgt. Wir haben auf der einen Seite, das darf man auch nicht vergessen, vielfach ganz viele engagierte Menschen, die sich zum Beispiel vor Ort einsetzen, die Spendenaktionen organisieren, die gemeinsam mit Geflüchteten kochen und versuchen sie in Ausbildung und Arbeit zu bekommen. Das finde ich extrem schön und lobenswert, dass es so viele engagierte Menschen gibt. Auf der anderen Seite erleben wir eben eine ziemlich populistische Debatte. Eine Debatte, wo mit Ängsten Stimmungsmache erfolgt, wo Ängste geschürt werden, auch explizit. Wo es Übergriffe gibt gegen Geflüchtete, die Angst haben müssen, dass wenn sie auf die Straße gehen, ihnen körperlich etwas angetan wird, dass sie diskriminierende, rassistische Sprüche abkriegen. Ja, das besorgt mich. Es ärgert mich auch, wenn ich sehe, wie manche Politiker, gerade wenn ich zu den Konservativen sehe, diese Stimmung noch weiter anheizen. Jetzt aktuell unser Innenminister Thomas de Maizière beispielsweise, der wieder Sachleistungen statt Geld für geflüchtete Menschen fordert. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen.
Q: Was ist ihre Meinung zu diesem Vorschlag?
U: Ich finde der Vorschlag geht überhaupt gar nicht. Das ist tatsächlich einfach nur populistisch. Menschen, die von woanders fliehen, die dort Krieg und Gewalt entkommen sind. Denen müssen wir doch hier, nicht nur ein sicheres Dach über dem Kopf organisieren, sondern da müssen wir schauen, dass sie ihre Grundbedürfnisse erfüllen können und selber entscheiden, wofür sie etwas ausgeben können. Da bringen Sachleistungen gar nichts. Das geht gar nicht!
Q: Du hast es schon erwähnt, dass die Flüchtlinge auch angegriffen werden aus rassistischen Gründen, dass sie sich nicht sicher fühlen können. Wir sprechen vom Terrorismus im Iran, im Irak und in den Urlaubsregionen. „Warum wird bei solchen politisch motivierten Sachen nicht vom Terrorismus gesprochen?“ – wollte einer von unseren Zuschauern wissen.
U: Ich denke so Begrifflichkeiten sind entscheidend, weil sie das Bewusstsein darüber prägen. Ich finde, man muss es ganz konkret benennen, um die Dimensionen deutlich zu machen. Ich glaube, dass solche Worte nicht gebraucht werden, weil man die Debatte ein Stück weit verharmlosen will. Das Gleiche ist es ja, wenn man zum Beispiel von Asylkritikern oder Asylgegnern spricht, anstatt zu benennen, was die Leute sind, nämlich größtenteils Rassisten, die nicht wollen, das Menschen aus anderen Regionen der Welt hier Schutz finden.
Q: Den einen Punkt, den du als erstes angesprochen hast, das war der, dass manche Leute freiwillig helfen und auch sehr viele, aber wir in einer Gesellschaft leben, wo diese Menschen angegriffen werden, zumindest auch polarisieren. Wie ist das zu sehen?
U: Ja, das stimmt. Das ist wirklich erschreckend, wenn man liest, dass Leute, die zum Beispiel gerade eine Spendenaktion machen mit Anfeindungen zu tun haben. Ich glaube das einzige was dabei hilft, ist ganz klar Haltung zu zeigen, auch als Politikerinnen und Politiker sich schützend vor diese Menschen zu stellen und sehr deutlich zu sagen: „Für Leute die Andere bedrohen, ihnen Gewalt androhen, ist bei uns einfach kein Platz. Das geht nicht bei uns hier, in unserer Gesellschaft.“ Das würde ich mir von manchen, gerade konservativen Politikern noch mehr wünschen, dass sie da wirklich Haltung zeigen, statt einzustimmen in die populistische Stimmungsmache.
Q: Einer unserer Zuschauer schreibt, ihm wird gerade schwindelig angesichts der ganzen Probleme, die es auf globaler Ebene gibt, und er fragt sich, wie er sein persönliches Engagement selbst strukturieren könne. Wie geht das, wenn ein Einzelner etwas machen möchte? Wo setzt man an?
U: Mir wird auch manchmal schwindelig muss ich ganz ehrlich sagen, weil es so viele Punkte gibt, wo ich gerne etwas ändern, wo ich gerne angreifen und mich einsetzen würde. Ich glaub man muss für sich selber einfach Prioritäten setzen. Man muss schauen, was passt am besten zu einem: „Möchte ich mich zum Beispiel in der politischen Jugendorganisation oder in einer Partei engagieren, weil ich dort ein größeres Spektrum an Themen habe und ich zu unterschiedlichen Themen arbeiten kann? Oder möchte ich mich lieber bei einer Initiative vor Ort einsetzen, weil es ganz konkret ein Thema gibt?“ Jetzt aktuell: Hilfe für Geflüchtete oder auch ehrenamtliche Nachmittagsbetreuung bei Hausaufgaben. Es gibt ja viele Möglichkeiten. Ich glaube, da muss man sich einfach das für sich passende raussuchen: „Was ist die eigene Priorität? Was lässt sich auch am besten mit dem eigenen Leben und Arbeitsalltag vereinbaren?“ Ich persönlich habe mich für die politische Jugendorganisation und für die Partei entschieden. Weil ich glaube, dass man dort gesellschaftlich am meisten verändern kann und die Jusos zum Beispiel im Austausch mit vielen anderen Jugendorganisationen stehen, sei es hier in Deutschland, aber eben auch weltweit. Und das heißt, mein Engagement ist nicht nur lokal auf Deutschland begrenzt, sondern eben auch auf Europa und die ganze Welt.
Q: Eine Nachfrage aus dem Publikum ist, ob du dich auch persönlich für Flüchtlinge einsetzt, also auch da engagierst?
U: Wir setzen uns als Jusos politisch für Geflüchtete ein. Das heißt, wir setzen uns für ein humanitäres Asylrecht, für legale Zuwanderungsmöglichkeiten und für eine andere europäische Flüchtlings- und Asylpolitik ein. Das machen wir quasi auf politischer Ebene. Auf der anderen Seite bin ich privat viel unterwegs. Aktuell war ich erst letzte Woche bei uns in Mitterfels, da sind gerade 80 geflüchtete Menschen, hauptsächlich aus Syrien, untergebracht. Mit denen haben wir abends gemeinsam gekocht, Deutsch-Hausaufgaben gemacht und haben einen Ausflug mit Fahrrädern unternommen. Ja ich finde es extrem wichtig, dass ich dort konkret den Kontakt habe und konkret was machen kann. Das bestärkt mich dann in meiner politischen Überzeugung und in meiner Arbeit, wenn ich sehe, dass die Schicksale der Geflüchteten es wert sind, dass man sich dort einsetzt.
Q: Gehen wir mal auf die nächste Ebene. Das ist auch eine Frage: „Wie offen ist denn Europa eigentlich, wenn über eine Milliarde Euro dafür ausgegeben werden, das wir die Grenzen zu Europa quasi zu machen und dieses Geld nicht dafür verwenden, Flüchtlinge zu unterstützen?“
U: Aktuell würde ich nicht von einem offenen Europa sprechen, sondern ich würde ganz klar von einer „Festung Europa“ sprechen, die mit der Grenzschutzagentur Frontex hantiert. Die versucht Geflüchtete abzuschrecken und abzuhalten, statt das zu tun was wirklich helfen würde, zum Beispiel das Geld investieren in Seenot-Rettungsprogramme oder endlich sichere Fluchtrouten zur Verfügung zu stellen. Damit niemand mehr die gefährliche Reise übers Meer antreten muss in irgendwelchen kleinen Booten, sondern es sichere Transitrouten für Menschen gibt. Da tut Europa gerade viel zu wenig.
Q: Da knüpft auch gleich eine Frage von den ZuschauerInnen an. Wie kann man denn eigentlich legale Zuwanderungsmöglichkeiten schaffen, damit die Menschen sich nicht mehr so in Gefahr begeben müssen und eine ganze kriminelle Szene entsteht oder entstanden ist, wie wir sie zur Zeit haben?
U: Das ist eine ziemlich schwierige Debatte. Da gerät auch viel durcheinander in der Diskussion. Auf der einen Seite haben wir das Asylrecht und müssen den Menschen Schutz bieten und die Möglichkeiten schaffen, dass sie sicher zu uns fliehen können und nicht angewiesen sind auf „Nussschalen“ mit denen sie übers Meer fahren und Schlepper die sie manchmal auf dem Mittelmeer einfach aussetzen. Das müssen wir auf jeden Fall schaffen. Wir müssen auf jeden Fall auch legale Zuwanderungsmöglichkeiten für Leute, die gerne hierherkommen würden, schaffen, weil sie eine Ausbildung machen oder hier arbeiten wollen, weil sie gerne eine andere Perspektive für sich und ihre Familie haben wollen. Auch solche Möglichkeiten müssen wir endlich großzügiger schaffen. Ich glaube, dass wir da in Zukunft noch viel daran arbeiten müssen, denn ich wünsche mir in Zukunft eine Welt, wo wir so etwas haben wie ein globales Recht auf Bewegungsfreiheit. Das heißt, dass man sich frei entscheiden kann: Wo möchte man hinziehen? Wo möchte man arbeiten? Und vielleicht auch wieder zurückzieht. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen auch gerne in ihrer Heimat bleiben. Sie haben aber oftmals ein Schicksal, sei es durch Krieg, durch extreme Armut, durch Angst oder eben weil sie sich eine andere Perspektive wünschen, dass sie dann fliehen. Jeder sollte das Recht haben sich seinen Lebenstraum so verwirklichen zu können.
Q: Wir hatten ja die Stichpunkte: die wirtschaftliche Krise in Griechenland, wir haben Krieg in Syrien, wir haben ihn fast vor unserer Haustür in der Ukraine. Dort ist es ja längst noch nicht ruhig geworden. Wir haben den Terror des Islamischen Staats. Sind wir es vielleicht auch überdrüssig geworden eine offene Gesellschaft zu sein und uns um all diese Probleme zu kümmern, die da so reinkommen, gerade in Deutschland?
U: Ich hoffe nicht, dass die Menschen überdrüssig sind. Ich muss sagen, in meinem persönlichen Umfeld zum Beispiel erlebe ich das nicht, sondern da ist es gerade für junge Leute selbstverständlich, dass sie die Möglichkeit haben woanders zu studieren, woanders zu arbeiten in Europa, dass man mit Freunden auf der ganzen Welt Kontakt hält über die sozialen Medien. Für sie ist das, glaube ich, relativ normal. Es wäre extrem schade, weil es so bereichernd ist, wenn wir diese offene Gesellschaft wieder einschränken. Ich glaube aber schon, dass es gerade sehr viele Ängste und Forderungen gibt. Diese wirken wie so eine Art Katalysator sage ich mal, und Leute setzen sich dann eben für eine Gesellschaft ein, die wieder die Zäune hochzieht, die wieder die Tore schließt. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern und sehr viel deutlicher machen, wie wir alle von einer offenen Gesellschaft profitieren.
Q: Aus dem Publikum heraus wird festgestellt: „ In den Debatten geht es oft halt auch um dieses wir und die anderen.“ Ist das so? Also die Anderen haben die Probleme, uns geht es jedoch relativ gut.
U: Ja klar. Das wird oft ausgenutzt oder vorgeschoben und versucht, durch eine Art Abgrenzung, einen Keil reinzutreiben zwischen wir, die hier in Deutschland leben, und den anderen, die auf unsere Kosten hier leben wollen. Ich finde das ganz verkehrt und so sollte man das auch nicht betrachten. Jeder Mensch, egal wo er herkommt, hat die gleichen Chancen verdient und hat das gleiche Recht darauf, sein Leben so leben zu können wie er will, seinen Traum verwirklichen zu können und da sollte man nicht schauen, wo man geboren ist. Das finde ich völlig falsch. Ich könnte mir vorstellen, was vielfach dahinter steckt ist eine Angst der Leute, selber nicht mehr mithalten zu können, selber abzurutschen in Armut, in prekäre Arbeitsverhältnisse. Ja ihr Leben nicht mehr auf die Reihe zu kriegen. Da müssen wir glaube ich ran. Auf der einen Seite muss man, glaube ich, sehr stark widersprechen wenn Stereotype nach vorne getragen werden, wenn es Abgrenzungen gibt, muss man Haltung zeigen. Auf der anderen Seite brauchen wir mehr soziale Absicherung, bessere soziale Chancen für alle, gute Arbeits- und Lebensbedingungen für alle, damit es eben nicht zu so einem Katalysatoreffekt kommt.
Q: Darauf, dass man Angst um die eigenen Privilegien und den eigenen Lebensstandard hat, zielt die Frage, die ich jetzt aktuell rein nehme. Die heißt: „Kann es eine gute Gesellschaft geben, wenn der Umbau des Sozialstaates immer mehr zu Lasten der Schwächeren geht und uns die Privatsphäre weggenommen wird? Gerade, wenn ich mich komplett für das Arbeitslosengeld „nackig“ machen muss, sozusagen.
U: Aus meiner Sicht auf gar keinen Fall. Gute Gesellschaft heißt eben auch, dass alle gut leben können. Das bedeutet für mich in erster Linie, dass gerade sozial Schwächere mehr Unterstützung erfahren und dass wir eine Angleichung von Lebensverhältnissen haben. Es sollte nicht so sein, dass es die Superreichen gibt und diejenigen, die mit drei Jobs schauen müssen, dass sie über die Runden kommen oder vielmals gar keinen Job finden, sondern dass wir dort die Schere ein großes Stück schließen. Das können wir glaube ich, indem wir zum einen an die Steuerpolitik rangehen. Das heißt, dass wir hohe Einkommen, Erbschaften und Vermögen stärker besteuern. Das schaffen wir auf der anderen Seit, indem wir dieses Geld, was dann zur Verfügung steht konsequent einsetzen für eine gute Bildungspolitik, damit alle Kinder die gleichen Chancen haben und für eine gute Infrastruktur. Wir müssen denke ich auch an den Arbeitsmarkt ran. Dass wir die Arbeit, die zur Verfügung steht, endlich gerechter verteilen. Das wir auch einen größeren Ausgleich schaffen zwischen den Leuten die extrem viel arbeiten und denen die gerne mehr arbeiten würden und insgesamt einfach gerechter verteilen.
Q: Sozial am schwächsten sind wahrscheinlich zurzeit gerade die Menschen, die in Berlin Moabit vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales stehen. Da ist die Frage aus dem Publikum: „Wie kann man Druck auf die Regierung und die Stadt machen, damit sich was ändert, dass die Menschen, die schon über tausend Kilometer geflüchtet sind, am Ende hier fast verhungern und verdursten?“
U: Erstmal steht im Vordergrund das man die Menschen, die dort anstehen konkret unterstützt. Aber das passiert ja vielfach. Da bin ich echt beeindruckt wie schnell ehrenamtlich geholfen wurde. Das verdient ein großes Lob und einen großen Dank. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich Druck ausüben. Es braucht eine größere finanzielle Anstrengung an der Stelle. Das heißt, dass wir mehr Stellen schaffen müssen, die Anträge bearbeiten, damit die Verfahren schneller gehen, geflüchtete Menschen schneller untergebracht werden und nicht ewig lange auf der Straße stehen müssen. Es braucht definitiv mehr Geld, nicht nur in Berlin, sondern auch in den anderen Kommunen eine größere Unterstützung. Da sehe ich das auch immer wieder. Es hilft wahrscheinlich nur Druck zu machen. Auf der Straße, aber sich auch an die Politikerinnen und Politiker zu wenden, die in der Verantwortung sind. Und immer wieder darauf hinzuweisen, dass es das Interesse der Geflüchteten, aber auch im Interesse aller ist, dass sie eine größere Unterstützung kriegen.
Q: Das Wort Geld fiel auch immer relativ häufig, wenn wir uns unterhalten. Einer der Zuschauer fragt: „In so einer kapitalistischen und leistungsorientierten Gesellschaft, in der wir leben, können wir es uns überhaupt leisten offen zu sein oder wie offen können wir da sein?
U: Ich finde, wir müssen es uns leisten und ich will es mir auch leisten. Ich finde wir sollten eher mal darüber nachdenken: „Was müssen wir denn an unserem System ändern?“ Ich fände es sehr gut, wenn wir mal wieder darüber sprechen, wie unser Wirtschaftssystem den Menschen dienen kann, nicht nur dem Profit und der Vermehrung von Geld für einige wenige, sondern tatsächlich für die Menschen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wenn man sich da zum Beispiel bei den Jusos oder der SPD engagiert, dann wäre das schon sehr sinnvoll.
Q: Angela Merkel spricht ja von unserem System, dass es eine marktkonforme Demokratie ist. Was denken sie wie marktkonform muss eine Demokratie sein? Sind sie da einer Meinung mit Angela Merkel?
U: Ich finde diese Aussage von Angela Merkel verdient das Label: Unwort des Jahrzehnts oder Jahrtausends. Von einer marktkonformen Demokratie zu sprechen finde ich extrem zynisch. Ich möchte nicht in einer marktkonformen Demokratie leben. Was ich möchte ist eine gute, offene und demokratische Gesellschaft, wo die Menschen im Mittelpunkt stehen. Weil die Menschen im Mittelpunkt stehen, muss sich alles andere ihren Interessen unterordnen.
Q: Das System Demokratie hat auch ganz viele von unseren Zuschauern beschäftigt. Sie haben verschiedene Fragen gestellt. Die würde ich jetzt ganz gerne mal, sozusagen, abarbeiten. „Ist die aktuelle Form der Demokratie überhaupt fähig, diese ganzen globalen Probleme zu lösen?“ Ein Beispiel wird genannt: „Wie kann es die Herrschaft des Volkes sein, wenn die geflüchteten Menschen am Ende nicht wählen dürfen?“
U: Das ist so eine Sache, die man mehrstufig betrachten muss. Auf der einen Seite muss man bei uns hier klein anfangen. Das heißt, dass Menschen, die hier leben, mit entscheiden dürfen. Da muss man das Wahlrecht ändern, denn jeder der hier lebt soll wählen können und soll sich auch in Parteien und Initiativen engagieren können und für seine und die Interessen anderer einstehen können. Das ist, glaube ich, der erste Punkt. Dann muss man es größer sehen. Ich finde auch, dass wir demokratische Institutionen und demokratische Elemente in Europa, aber auch weltweit, stärken müssen, damit es im Interesse aller ist und nicht nur einige wenige Politik für sich machen und andere ausgeschlossen sind.
Q: Auch eine Nachfrage war: „Brauchen wir noch mehr Basisdemokratie?“ Ist das alles in die Institutionen abgewandert?
U: Ich glaube schon, dass man wesentlich mehr Beteiligungsmöglichkeiten schaffen muss. Was ich gerade schon gesagt habe ist, das Wahlrecht ändern und das heißt für alle Menschen die hier leben, auch für die Geflüchteten. Ich finde auch, dass man das Wahlalter absenken muss.
Q: Auf wieviel?
U: Sechzehn fände ich erstmal einen guten Anfang. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man dann auch über andere Zahlen diskutiert, aber sechzehn finde ich erstmal einen super Anfang, wenn wir das machen würden. Ich finde auch, dass wir mehr Leute mobilisieren müssen sich einzusetzen. Sei es konkret vor Ort, in Parteien oder in Jugendorganisationen. Ich finde auch, dass man durchaus basisdemokratische Elemente stärken muss. Ich weiß nicht, ob das auf jede Frage die richtige Antwort ist, nach Basisdemokratie zu schreien, weil sich gezeigt hat, das insbesondere bei Beteiligungsformen, die auf alle ausgelegt sind, Leute, die einen höheren Bildungsabschluss haben, die sozial besser gestellt sind, sich eher einbringen und engagieren, als Leute die, ich sag mal so, zwei Jobs haben, in Schichtarbeit arbeiten und schauen, dass sie ihre Familie über die Runden kriegen. Die haben oftmals nicht so die Zeit und die Möglichkeiten sich zu engagieren. Das heißt, wir haben da ein soziales Gefälle. Deshalb muss man da sehr konkret schauen. Grundsätzlich über mehr Demokratie oder Beteiligungsmöglichkeiten zu sprechen ist auf jeden Fall wichtig. Sei es in Schule, Ausbildung oder Universität, da haben wir auf jeden Fall ordentlich was vor.
Q: Ein Zuschauer hat auch ein ganz konkretes Thema geschickt: „Sollte es Volksentscheide zu den Flüchtlingsthemen geben?“ Was ist deine Meinung dazu?
U: Es ist eine schwierige Frage, weil ich schon das Gefühl habe, dass gerade eine sehr aufgehetzte Stimmung herrscht. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Themen, die sich so instrumentalisieren lassen und wo man auf Stimmungsmache aufspringen kann, sich eignen. Ein anderes Beispiel ist das Thema Todesstrafe, was auch ein sehr emotionales ist. Was sich auch gut für Stimmungsmache eignet. So etwas würde ich zum Beispiel auch raus nehmen.
Q: Die provokanteste Frage zum Thema Demokratie: „Müssen wir die Demokratie neu erfinden, angesichts der heutigen Situation?“
U: Ich glaube nicht, dass man sie komplett neu erfinden muss. Man muss sie auf jeden Fall zukunftsfit machen und weiterentwickeln. Man kann nicht einfach bei dem System stehenbleiben, wie es gerade ist, weil dafür gibt es aus meiner Sicht zu viele Mängel: dass die Wahlbeteiligung zurückgeht, wir so viele Menschen ausschließen von Partizipationsmöglichkeiten aufgrund des Wahlrechts und sich überwiegend Leute engagieren, die es sich leisten können. Das heißt, ich bin dafür, dass wir einen großen Sprung nach vorne machen und eine Weiterentwicklung anstoßen.
Q: Wie können wir denn in Zukunft die Politik fit machen, für diese ganzen Probleme auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene? Ist das was für die junge Generation? Ich meine, du bist siebenundzwanzig. Du bist politisch engagiert. Ist das die Aufgabe oder schaffen das auch die Alteingesessenen auch.
U: Ich glaube schon das ist die Aufgabe der Jungen, ein stückweit die Alteingesessenen bei diesen ganzen Fragen anzutreiben. Also nicht nur „offene Gesellschaft“, wobei das natürlich das extrem brennende und interessante Thema ist, aber auch, wenn ich an so Themen denke wie
„Arbeit 4.0“. Wie verändert sich die Arbeit durch Digitalisierung, technischen Fortschritt oder unsere ganze Arbeits- und Lebenswelt. Da glaube ich schon, dass wir als junge Leute viel beitragen, die Alteingesessenen ein stückweit zu pushen und das müssen wir auch. Ich finde es gehört für Politikerinnen und Politiker auch dazu, dass man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt, dass man immer wieder auf neue Debatten eingeht und Visionen entwickelt und nicht einfach stehen bleibt. Gerade die SPD ist die Partei, wo ich mir das am meisten wünsche und wo ich glaube, dass das am meisten möglich ist, Zukunftsdebatten anzustoßen.
Q: Ich habe hier noch eine Nachfrage. Die Sommeruniversität ist ja quasi so eine Zukunftsdebatte. Da möchte jemand wissen: „Wie werden die Ergebnisse und Diskussionen eigentlich an die heutigen Entscheidungsträger herangetragen, damit sie irgendwo eingehen und ankommen − und nicht nur untereinander diskutiert wurden?“
U: Das ist das Tolle an der Sommeruniversität finde ich, weil auf der einen Seite hatte man eben rund einhundert junge Leute, die zum großen Teil studieren, NachwuchswissenschaftlerInnen und politisch interessierte und engagierte Menschen. Auf der anderen Seite bringt man sie zusammen mit aktuellen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen. Es waren auch viele Politiker und Politikerinnen da. Denen konnte in Diskussionen oder mit Statements direkt mitgegeben werden, was diskutiert wurde. Es ist nicht nur ein Format, wo man für sich untereinander diskutiert, sondern Leute mit reingeholt werden und man ihnen ganz konkret mitgibt: „So, das ist jetzt unsere Idee. Was sagst du denn eigentlich dazu?“ Der direkte und konkrete Austausch ist ein riesiger Vorteil der Sommeruniversität.
Q: Ich habe hier auch noch eine Nachfrage zum Flüchtlingsthema. Du hattest gesagt, wir brauchen mehr Institutionen, damit es schneller bearbeitet wird. Da ist die Nachfrage: „Haben schnellere Verfahren nicht die Gefahr, dass die Menschen schneller abgeschoben werden und nicht individuell geprüft und entschieden wird?“
U: Ja. Natürlich schwingt bei der Forderung, nicht was ich vorgetragen habe, sondern was viele Politiker leider vortragen, nach schnelleren Asylverfahren die Hoffnung mit, dass die Leute auch wieder schneller verschwinden und man sie schneller abschieben kann. Das ist überhaupt nicht meine Intention, weil ich finde das Recht auf Asyl ist eins, was man sehr ernst nehmen muss. Man muss jeden einzelnen Menschen mit seiner Geschichte, mit seiner Fluchtgeschichte, mit seinem Schicksal ernst nehmen. Deshalb darf es auf gar keinen Fall zu einer Aushöhlung des Asylrechts kommen. Auch nicht zu einer Abschiebung in weitere sichere Herkunftsstaaten. Sondern man muss wirklich jede einzelne Geschichte selber prüfen. Was ich mir nur wünsche ist, dass es mehr finanzielle Unterstützung gibt für Leute, die vor Ort den Menschen helfen, dass sie schneller in ihre Unterkunft kommen, einen Sprachkurs kriegen, die Möglichkeit haben sich auf Arbeitsplätze oder Ausbildungen zu bewerben. Weil, das sehe ich konkret bei mir vor Ort, oftmals ehrenamtliche Helferinnen und Helfer überfordert sind mit Sprachkursen, weil sie so etwas noch nie gemacht haben. Da braucht es finanzielle Unterstützung durch hauptamtliche HelferInnen.
Q: Eine Frage aus dem Publikum kommt aus der anderen Richtung: „Wie offen kann denn eine offene Gesellschaft sein? Gibt es da Grenzen?“ Also wie gehen wir mit Menschen um die linksradikal, rechtsradikal oder auch religiös Überzeugte, die den Terrorismus forcieren. Wie gehen wir damit um in einer offenen Gesellschaft?
U: Ich glaube man muss da schon unterscheiden: Was ist die offene Gesellschaft und was sind Straftaten beispielsweise? Was sind Taten, die andere Menschen bedrohen und ihre Freiheit einschränken? Da endet eine offene Gesellschaft. Es ist immer ein Aushandlungsprozess in einer Gesellschaft. Ich glaube, dass wir im Moment eher das Problem haben, dass unsere Gesellschaft nicht offen genug ist. Wenn ich auf Geflüchtete schaue, auf Menschen, die woanders eine Arbeit suchen wollen. Deshalb sehe ich gerade die Gefahr nicht so sehr, dass wir zu offen werden.
Q: Dann auch noch eine ganz konkrete Frage: „Wie können Menschen, die von einer Demokratie nicht überzeugt sind, trotzdem in unser demokratisches System integriert werden?“ Das wären eben die, die keine Straftaten begehen, aber trotzdem nicht mit der Demokratie übereinstimmen.
U: Ich sehe das oftmals bei jungen Leuten, das da nicht mehr so richtig klar ist: Was ist eigentlich Demokratie und Politik und wie hängt Politik mit meinem privaten Leben zusammen. Sehr oft kriege ich so Aussagen wie: „Naja, es ist mir egal, was diese Politikerinnen und Politiker machen. Es hat mit meinem Leben nichts zu tun.“ Deshalb finde ich es enorm wichtig, dass wir früh ansetzen. Ich entgegne dann immer: „Hast du schon einmal überlegt, ob du in deiner Schule lieber eine Tischtennisplatte oder eine Halfpipe im Pausenhof haben möchtest?“. Und dann kommt: „Ja stimmt, eigentlich fände ich so eine Halfpipe schon cooler als eine Tischtennisplatte.“ Und dann sage ich: „Na gut, dann setzt dich doch dafür ein an deiner Schule. Schau, dass du eine Mehrheit dafür kriegst. Überzeuge andere Schülerinnen und Schüler, die Lehrer und fordert Geld, damit so etwas gebaut wird.“ Das ist zwar ein sehr kleines Beispiel, aber es verdeutlicht schon: Was ist eigentlich Politik? Wie engagiert man sich? Was ist Demokratie? Wie kann ich, wenn ich mich selber einsetze und wenn ich andere überzeuge meine Interessen auch durchsetzen? Und deshalb finde ich es so wichtig, dass wir mehr Mitbestimmung in der Schule, Ausbildung und Universität ermöglichen und später im Arbeitsleben und der Wirtschaft. Weil ich glaube, nur so kriegen wir das hin, dass Demokratie wieder von mehr Leuten geschätzt wird.
Q: Ist es vielleicht auch einfach so, dass es uns zu gut geht? Das es gar nicht wahrgenommen wird, welche Möglichkeiten oder welchen Standard wir haben? In anderen Ländern kämpfen die Menschen darum, wählen zu gehen. Hier ist es den Jugendlichen gar nicht so klar, wie du das gesagt hast, welchen guten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Standard wir haben, im Vergleich zu anderen Menschen, die hier Hilfe suchen.
U: Ja, es mag sein, dass das so ein bisschen mit reinspielt, dass in den letzten Jahren die großen Umwälzungsthemen verloren gingen, weil sich viel im klein-klein verloren hat und den Leuten gar nicht mehr so klar war: „Warum soll ich mich jetzt überhaupt noch engagieren?“ Ich glaube aber viel entscheidender ist etwas, was ich viel kritischer sehe, nämlich dass Politik in den letzten Jahren immer als alternativlos dargestellt wurde. Das man eben nicht gestritten hat über Themen und gesagt hat: „Das ist jetzt meine Alternative, das ist mein Weg und das ist der der anderen“ Sondern das es immer so dargestellt wurde als gäbe es nur den einen Weg und wenn man den nicht beschreitet, dann ist alles verloren. Das finde ich wichtig, dass man wieder Alternativen aufzeigt, dass man klar macht, nichts ist alternativlos. Sondern wir haben unterschiedliche Möglichkeiten, je nachdem wofür es eine Mehrheit gibt, wo sich Leute engagieren. Ich glaube, das müssen wir aufzeigen.
Q: Ich habe die ganz aktuelle Nachfrage: „In diesen hitzigen Diskussionen, die wir zur Zeit haben, sollten nicht gute Argumente und Menschlichkeit gegenüber Stimmungsmache gewinnen können?“
U: Ja, sollten sie und ich hoffe sehr, dass sie das auch tun. Wie gesagt, ich finde das man über diese ganze Stimmungsmache, die ich auch erschreckend finde, nicht vergessen darf, wie viele Leute sich konkret einsetzen und gerade solidarisch sind. Das gibt schon Hoffnung. Auch junge Leute, die sich einsetzen, vor Ort engagieren, für Geflüchtete zum Beispiel. Das ist schon toll zu sehen und ich hoffe sehr, dass Menschlichkeit über Stimmungsmache gewinnt. Ich glaube aber dafür müssen die Leute, die sich vor Ort engagieren, noch lauter und deutlicher werden. Sie dürfen denjenigen die hetzen und Hass schüren nicht das Feld überlassen.
Q: Du hast vorhin auch schon viel über die politische Ebene gesprochen, wo du engagiert bist. Was sind da jetzt in Zukunft für dich die wichtigsten Dinge, um die Gesellschaft besser und zu einer guten Gesellschaft zu machen auf dieser Ebene?
U: Auf welcher Ebene?
Q: Auf der politischen, der institutionellen Ebene, wo du dich engagierst. Was sind für dich da die wichtigsten Punkte zurzeit, die gelöst werden müssen?
U: In Deutschland oder Europa?
Q: Das hängt ja immer alles zusammen. Gerade die Flüchtlingspolitik, aber auch Wirtschaft, das können wir alles nicht mehr auf Deutschland oder Europa begrenzen.
U: Gut, dann fange ich mal mit der europäischen Ebene an.
Q: Genau, wir können das auch ebenenweise machen. Es ist egal wie herum.
U: Auf europäischer Ebene drängt natürlich das Thema Asyl- und Migrationspolitik. Ganz klar. Weg mit der Festung Europa! Weg mit den Zäunen! Hin zu einer gerechten Asylpolitik. Das heißt, dass die Staaten untereinander mehr Verantwortung übernehmen und zum Beispiel Griechenland und Italien nicht allein lassen. Das wir zweitens, darüber sprechen, wie legale Zuwanderung möglich ist, sichere Fluchtrouten, diese ganzen Punkte. Das wir anstatt Geld für Frontex auszugeben, in Seenotrettung investieren, also die ganze Asyl- und Migrationspolitik. Das Nächste finde ich, wir müssen endlich ran an das soziale Europa und das nicht nur ständig als Floskel wiederholen, sondern konkret handeln. Konkret handeln heißt in diesem Fall: Abkehr von der Austeritätspolitik, also weg mit der einseitigen Sparpolitik, hin zu einer Politik, die den Ländern Luft zum Atmen lässt. Die investiert. Die dafür sorgt, dass es mehr Beschäftigung gibt, bessere Bildung. Die in Zukunftstechnologien investiert. Und außerdem so etwas einführt wie einen europaweiten Mindestlohn, fände ich extrem wichtig. Insbesondere glaube ich müssen wir bei dem Stichwort soziales Europa auch junge Leute in den Blick nehmen, damit sie Ausbildungschancen bekommen und eine Perspektive. Sonst ist das Einzige, was sie mit Europa verbinden eben Krise und Perspektivlosigkeit. Das können wir uns auf gar keinen Fall leisten. Wenn ich da ein Stück weggehe von einer europäischen Ebene, können wir auch hier konkret sehr viel machen. Auch wieder das Stichwort junge Leute, Ausbildung. Ich fände es extrem wichtig, dass wir endlich hinkriegen, dass alle jungen Leute, die hier leben, sei es geflüchtet oder nicht, einen Ausbildungsplatz kriegen und gute Ausbildungsbedingungen. Das sie auch das nötige Geld verdienen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Weil viele verdienen in der Ausbildung so wenig, dass sie sich keine eigene Wohnung leisten können und immer noch bei Mama und Papa wohnen. Da hat man irgendwann nicht mehr so richtig Lust darauf. Das finde ich extrem wichtig, dass wir da ran gehen und ansonsten alles was ich schon vorher gesagt habe zum Thema Flucht und Migration. Da brennt es gerade aktuell ja wirklich und es ist einiges zu tun.
Q: Was mehrere Zuschauer auch noch brennend interessiert ist, wie es mit deiner Partei weitergeht. Auf welchem Kurs ist die SPD? Ganz drastisch formuliert: „Ist die SPD mit diesem Parteivorstand noch zu retten? Was ist deine Vision von der SPD in der Zukunft?“
U: Die SPD ist natürlich noch zu retten und ich glaube man muss sie auch retten. Meine Überzeugung ist, deshalb engagiere ich mich auch bei den Jusos und der SPD, dass wir eine gesellschaftliche Veränderung nur mit einer großen linken Volkspartei hinkriegen. Weil nur sie es schafft, genug Leute mitzunehmen, zu überzeugen und für unsere Ideen zu begeistern. Deshalb kämpfe ich bei den Jusos, und eben in der SPD dafür, dass wir eine linke Volkspartei sind. Wir versuchen die SPD dahin zu treiben. Aus meiner Sicht muss die SPD die Partei sein, die die Fragen für die Zukunft beantwortet, die Visionen für die Zukunft entwickelt. Die darüber redet, wie eine gute Gesellschaft für alle aussehen kann. Eine Gesellschaft die gerecht ist, die offen ist, die Beteiligungschancen für alle ermöglicht. Auf der anderen Seite muss die SPD auch eine Partei sein, die sich kümmert, die sich für die alltäglichen Probleme und Interessen der Leute interessiert. Jetzt für die Leute da sein, aber eben auch noch in 20, 50, 100 Jahren und da die richtigen Antworten geben.
Q: Gut. So wie es aussieht, haben wir die brennendsten Fragen und Themenkomplexe der Zuschauer bearbeitet. Deshalb will ich mich an dieser Stelle für das Gespräch bedanken.
U: Dankeschön.