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Sprechen Sie Wissenschaft?

Von Nadine Tannreuther / 29. Dezember 2021
picture alliance / Westend61 | Emma Innocenti

Was bedeutet uns Wissenschaft? Welche Erkenntnisse akzeptieren wir als wissenschaftlich fundiert, als glaubwürdig? Was ist wirklich wissenswert? WissenschaftlerInnen kennen darauf nicht nur eine Antwort.

Was Wissen schafft, darüber war – und ist – man sich nicht immer einig. Sicher ist: (Die) Wissenschaft ist eine Form von Erkenntnisgewinn, die auf einen begründeten, geordneten und gesicherten Wissens-„Schatz“ verweist. Doch ein damit einhergehender Forschungsstand beinhaltet immer auch ein gewisses Risiko eines Stillstands.

Im Jahr 1933 untersuchte ein Projektteam in einem soziographischen Versuch unter dem Namen „Die Arbeitslosen von Marienthal“ die Auswirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Mit dem Ergebnis, dass die sozio-psychologischen Auswirkungen in einem Leben ohne Arbeit nicht – wie vermutet – zu Revolte, sondern zu Resignation führte. Diese als teilnehmende Beobachtung angelegte Feldforschung hat in den Sozialwissenschaften zu einem methodischen Paradigmenwechsel geführt. Seit der Langzeitstudie hat sich das „System Wissenschaft“ noch einmal erheblich gewandelt, wie in der folgenden Umfrage deutlich wird.

Querschnitt durch das Bildungsbürgertum – eine Umfrage

Stephanie Zibell ist 55 Jahre alt und trägt die Titel Dr. phil. habil. M.A.. Als Akademikerin erforscht sie (regionale) Zeitgeschichte. Dabei geht es ihr um „das Suchen und Sammeln von Daten, Fakten, Erlebnisberichten, Fotografien, Texten und ähnliches zu einem bestimmten Thema.“ An oberster Stelle steht für sie die Objektivität. Also Zahlen, Daten und Fakten.

Prof. Dr. Thomas Metzner, Mittfünfziger, fasst den Begriff ähnlich auf. „Wissenschaft ist: sich systematisch zu informieren, daraus Erkenntnisse zu generieren und diese zu präsentieren“, fasst er es kurz und knapp zusammen.

Wolfram von Rotberg, studierter Master, 60 Jahre alt, beschreibt „Wissenschaft“ als eine weltumspannende Organisation von Menschen, die gesichertes Wissen schafft und dieses auch (re-)produziert. „Dabei ist das vernünftige, logische, nachvollziehbare Argumentieren auf Basis anerkannter und möglichst allgemein gültiger Fakten wesentlich.“ Losgelöst von Ideologien und gesellschaftlichen Trends.

Sabine Gilliar, Unternehmensberaterin, zufolge steht die Versachlichung von Diskussionen im Vordergrund. „Allerdings kann Wissenschaft auch der Versuchung unterliegen, sogenannte „Bestätigungsfehler“ zu machen, wenn der Fokus lediglich auf Argumenten liegt, welche die eigene Meinung bestätigen.“

Die 43-jährige Diplom-Soziologin Babette Wünstel entgegnet, „dass sich der Wissenschaftler eine Frage stellt, die er mittels einer qualitativen oder quantitativen Methode versucht zu beantworten.“ Bestenfalls stellt er dafür eine Hypothese auf und verifiziert beziehungsweise validiert die gemachten Erkenntnisse. „Wissenschaft ist Neugier, was unsere Welt im Inneren zusammenhält.“

Stellenwert der Wissenschaft

Stephanie Zibell begrüßt, dass „medizinische Wissenschaft in Zeiten von Corona sehr viel verstärkter wahrgenommen [wird] als normalerweise.“ Viele wissenschaftliche Erkenntnisse und Ergebnisse würden aus den Forschungslaboren plötzlich über Massenmedien an die breite Bevölkerung herangetragen und dadurch für den „Normalbürger“ interessant und wahrnehmbar gemacht. „Dass wissenschaftliches Arbeiten wichtig und unverzichtbar ist, dürfte den meisten Menschen klar sein. Aber jetzt auch, dass es berechtigten Grund zur Kritik an bestimmten wissenschaftlichen Vorgehensweisen gibt.“

Thomas Metzner bestätigt die veränderte Wahrnehmung mit dem Verweis auf die aktuelle epidemische Lage: „Durch Corona hat die Wissenschaft verstärkt Einzug in den Köpfen der Bevölkerung gefunden. Noch nie waren Wissenschaftler so medienpräsent und das Interesse an valider Information so hoch.“

Wolfram von Rotberg dagegen bewertet den Stellenwert der Wissenschaft in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als zu gering und verweist darauf, dass „insbesondere das Anerkennen, dass wissenschaftliches Arbeiten nur von Expert*Innen geleistet werden kann. Nicht von „Facebook-Schwachmaten.“

Sabine Gilliar kritisiert: „Wissenschaftliche Ergebnisse werden in manchen Bevölkerungsgruppen – unabhängig vom Bildungsgrad – schlichtweg verleugnet.“

Babette Wünstel interessiert, was man mit vermeintlich wissenschaftlichen Beiträgen bei der Bevölkerung erreichen möchte. „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Frage nach wissenschaftlichen Beweisen aus der Bevölkerung kam. Wenn Ergebnisse der Wissenschaft veröffentlicht werden, dann muss garantiert werden, dass der Leser ganz genau die Zusammenhänge und den Kontext versteht. These, Antithese und Synthese [müssen] klar formuliert werden.“

Wandlungsfähigkeit der Wissenschaft

Und was unterscheidet wissenschaftliches Arbeiten von heute mit den Ansätzen in der Vergangenheit? „Nicht zuletzt durch die Digitalisierung ist es leichter geworden, an Informationen, Daten, Fakten heranzukommen und diese auszutauschen oder sich über diese auszutauschen“, so Dr. Zibell.

Prof. Metzner betont ebenfalls, der „Anspruch an die Wissenschaft sollte nicht allein in der Vermehrung akademischen Wissens liegen, sondern auch in der Kommunikation mit den unterschiedlichen Anspruchsgruppen.“

Wolfram von Rotberg hingegen beobachtet eine zunehmende Spaltung. „Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben gegenüber den Naturwissenschaften stark an Einfluss verloren – sowohl im akademischen Diskurs selbst als auch in der Gesellschaft. Dies ist möglicherweise auch ein Vermittlungsproblem.“

Coach Sabine Gilliar dagegen stellt „keine Veränderung fest.“

Für Soziologin Babette Wünstel ist klar: „Wissenschaft [ist] zugänglicher und transparenter geworden allein durch das Internet.“ Informationen in Echtzeit auszutauschen, ist ihrer Auffassung nach sensationell. „Alles steht und fällt mit der Kompetenz des Menschen und seiner eigene Reflektionsfähigkeit.“ Sie gibt aber zu bedenken: „Sicher ist, dass die Wissenschaft im 20. Jahrhundert lange nicht so transparent und monetär getrieben war wie heute.“

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