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Techno als Therapie

Von Nadine Tannreuther / 18. Dezember 2019
Credits: Nadine Tannreuther

Elektronische Klänge befördern so manche Leute in geradezu außerweltliche Zustände. Bisher finden sie aber eher selten Eingang in therapeutische Methoden.

Musik bedeutet für manche die höchste Form der Kunst, denn sie vermag Menschen schlagartig in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Anders als beispielsweise abstrakte Malerei, die einen größeren Spielraum an Interpretationsmöglichkeiten bietet, stimmt heitere Musik positiv und fröhlich, düstere Musik hingegen negativ und traurig. Daher bietet sich Musik seit jeher nicht nur zum Vergnügen, sondern auch zur Behandlung von Erkrankungen an.

Unter Musiktherapie wird eine Heilmethode beschrieben, die förderlich auf die Gesundheit einwirken soll. Thomas Mattern, Geigen- und Gesangslehrer mit diversen therapeutischen Ausbildungen, ist von der heilsamen Kraft dieses Ansatzes überzeugt. „Durch Musiktherapie können Menschen mit verschiedenen psychischen Themen besseren Selbstkontakt, Ausdruck und Lebendigkeit erleben. Die Möglichkeit, nonverbal zu arbeiten, ist dabei ein sehr großer Vorteil.“

Nonverbal ist auch eine Musikrichtung aus den 70er und 80er Jahren: elektronische Musik – Minimal und Techno. Bässe und Klänge formen dabei die Grundlage, Text und Gesang tauchen nur selten auf. Es ist eine auf technischen Klängen basierende Musikbewegung, die ihre Anhänger stundenlang zum Tanzen animiert, um dabei die Zeit zu vergessen, zu entspannen und den Alltag loszulassen.

Auch Musiktherapie bringt gleichermaßen Körper und Geist in Bewegung, wobei Letzterer sich im Freimachen von äußeren Zwängen übt. Die Nähe zur Techno-Szene liegt auf der Hand. Aber ist elektronische Musik eine Form der Musiktherapie?

Durch Musik kommunizieren

„Es wird entweder Musik gehört, die je nach Situation und Thematik des Patienten eine emotionale Wirkung hat, also beruhigend oder belebend ist, die Emotionen anregend. Oft wird im Anschluss an das Hören das Erlebte noch besprochen. Oder es wird selbst Musik gemacht. Dabei können die Patienten Freude, Kreativität und Handlungskompetenz erfahren“, beschreibt Thomas Mattern musiktherapeutische Behandlungsmethoden. Besonders bei autistischen Störungen sei dies oft einer der wenigen Wege, mit dem Patienten zu kommunizieren.

Aber gelingt diese Art der Vereinnahmung bei jedem Menschen, der Musik hört? Wir werden in einen bestimmten musikalischen Kulturkreis hineingeboren und wie die Muttersprache erlernen wir automatisch die „Sprache“ der ersten Musikerlebnisse. „Auf Basis der in der Kindheit gewonnenen Erfahrung wirkt Musik dann in bestimmter Weise auf die psychische Situation,“ so Gesangslehrer Mattern. „Je nach Melodik, Harmonik, Rhythmik und so weiter, kann sie dabei beruhigen, anregen, ablenken, uns in Trance versetzen, langweilen oder berühren.“

Trotz des eindrucksvollen Effekts bestimmter Musikrichtungen und Instrumente, wird die heilsame Wirkung musikalischer Klänge immer noch unterschätzt oder gar komplett in Zweifel gezogen. Dabei hängt der Erfolg auch davon ab, ob sich Zuhörende nur berieseln lassen, also gleichzeitig andere Tätigkeiten ausüben oder proaktiv zuhören, der Musik ganz folgen oder sich gar im Rhythmus dazu bewegen.

Einlassen heißt loslassen

Wer sich mit elektronischer Tanzmusik auseinandersetzt, weiß, dass man ganze Nächte zu dem minimalen Rhythmus durchtanzen kann. Zum Beispiel im „Tresor“ in Berlin, einer der berühmtesten Techno-Clubs Deutschlands. Dort hat eine Frau 20 Jahre lang als Bardame gearbeitet, obwohl sie die Musik an sich eher nicht mag, wie sie zugibt. Bestimmte DJ-Sets hätte sie zwar genossen, doch Techno bedeute ihr rein gar nichts, sagt sie. Und wie haben die Gäste auf sie gewirkt? „Dieses stundenlange Tanzen zu einem sehr gleichförmigen Rhythmus versetzt in einen tranceartigen Zustand. Wahrscheinlich bringt es einen in den Flow, in dem es kein Ich mehr gibt, sondern nur die Bewegung und wenn man mal gestern und morgen loslassen kann, wirkt das ungeheuer erleichternd bis euphorisch.“

Kommen wahre Liebhaber elektronischer Tanzmusik zu Wort, ist ebenfalls häufig von „Freiheit“ die Rede und dem Gefühl, „selbstvergessen“ die Welt für eine Weile hinter sich lassen zu können. In der klassischen Musiktherapie kommt Techno in der Regel jedoch nicht vor. Warum eigentlich nicht? Kann man/ frau sich zumindest auf eigenen Wunsch mit Techno behandeln lassen? Thomas Mattern hält das nicht für unmöglich. „Das kommt auf die Zielsetzung an, auf Wiederholung und Struktur: Welchen Nutzen sehen Patienten in der Therapie? Wenn Techno-Gänger selbst oder der Therapeut es schafft, Leute in Zustände zu bringen, die therapeutisch nutzbar sind, dann ist das fein.“ Was genau genau mit „therapeutisch nutzbar“ gemeint ist, hängt von vielen Faktoren ab. Ob der Einsatz minimalistischer Sounds bald zu einer verbreiteten Praxis aufsteigen könnte, bewertet Mattern dagegen skeptisch. „Da muss man sich von Fall zu Fall anschauen, was sinnvoll ist.“

2 Antworten auf „Techno als Therapie“

  1. Von DASFAX am 5. Mai 2020

    Ich fände den Gedanken, Techno in der Musiktherapie einzusetzen, ganz spannend. Es wäre toll, wenn dazu mal geforscht werden könnte. Musik hat ja schon enorme Auswirkungen auf Stimmungen, verstärken diese, wenn sie richtig eingesetzt wird. Ich fröne auch gerne dem Techno in Berlin. Für einige ist es eintönig, das stimmt für mich aber nicht.

    1. Von Tomi Blum am 9. Juli 2020

      das Eintönige ist Stimming für so manche im Autismus Spektrum

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