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Umweltpakt: Unverpackt?!

Von Patricia Kutsch / 17. Juli 2019
picture alliance / Winfried Rothermel | Winfried Rothermel

Sie wollen die Lösung für eines unserer drängendsten Probleme sein: Unverpackt-Läden. In Plastikmüll sehen sie ihren größten Feind. Warum Natur pur aber auch nicht immer funktioniert.

Kunststoff erleichtert den Alltag seit Urzeiten: Schon Gletschermann Ötzi nutzte einen Steinzeit-Allzweckkleber aus Biopolymeren, um Pfeilspitzen zu befestigen. Polymere, die Makromoleküle eines Kunststoffs, können aus natürlich vorkommenden Stoffen gewonnen werden oder rein synthetisch sein. Der erste vollsynthetische Kunststoff wurde 1907 vom belgischen Chemiker Leo Baekeland hergestellt – unter anderem aus Phenol, einem Abfallprodukt, das bei der Steinkohledestillation anfällt.

Allerdings hat synthetischer Kunststoff einen großen Nachteil. Er kann nicht so einfach von der Natur wieder abgebaut werden, wenn er versehentlich im Wasser landet oder am Grillplatz zurückgelassen wird. Plastik ist extrem langlebig: Die Zersetzung einer Plastikflasche dauert 450 Jahre und die einer Plastiktüte immerhin noch 20 Jahre.

Dessen ungeachtet hat die „Produktion“ von Plastikmüll seit Jahren geradezu abstruse Züge angenommen. Wir trinken gekauftes Wasser aus Plastikflaschen, obwohl es bei uns zuhause in Trinkwasserqualität aus jedem Hahn fließt. Wir kaufen gekochte Eier oder essfertige Ananas in Plastik verpackt, um Zeit zu sparen oder aus purer Bequemlichkeit.

Plastik ist überall – noch

Wir produzieren laut Statistischem Bundesamt pro Kopf im Schnitt 617 Kilogramm Abfall im Jahr, darunter viel Mikroplastik, das ins Meer gelangt und von Fischen gefressen wird, die dann auf unseren Tellern landen. Bilder von tonnenweise Tüten und Flaschen, die im Meer treiben, scheinen mittlerweile jedoch immer mehr Menschen zum Umdenken zu bewegen. Viele Verbraucher verzichten bewusst auf Verpackungen, insbesondere aus Plastik. Und in immer mehr Städten eröffnen sogenannte „Unverpackt-Läden“, Geschäfte, in denen Lebensmittel oder Drogerieprodukte ganz ohne Verpackung gekauft werden können. Die Verbraucher müssen nur ihre eigenen Gläser und Dosen mitbringen, die sie selbst mit Nudeln, Mehl, Gewürzen und anderem mehr befüllen können. Einer der ersten Läden, der den „Zero Waste“-Gedanken konsequent verfolgt, entstand 2014 in Berlin.

Mit dem bundesweit wachsenden Unverpackt-Angebot soll unsere Müllmenge in absehbarer Zeit deutlich verringert werden, so hoffen Verkäufer und Verbraucher gleichermaßen. Ein weiterer Indikator dafür, dass das Thema Umweltschutz bei mehr und mehr Konsumenten angekommen ist: Auch große Einzelhandelsketten wollen den Plastikmüll reduzieren. Aldi verzichtet neuerdings darauf, Salatgurken in Folie einzuschweißen; Edeka bietet nachhaltige Einkaufsnetze statt Plastiktütchen für Obst und Gemüse. In vielen Bekleidungsgeschäften gehört die (kostenlose) Plastiktüte für den Einkauf längst der Vergangenheit an und immer mehr Kommunen werben dafür, Wasser aus der Leitung zu trinken statt aus PET-Flaschen.

Der Kurswechsel zum Wocheneinkauf hat aber noch längst nicht alle Menschen erreicht; insbesondere dort, wo es den Geldbeutel merklich trifft oder besonders „unpraktisch“ ist, kommt das Engagement für eine saubere Umwelt an seine Grenzen. Dabei muss das gar nicht sein. Die kleine wiederverwertbare, faltbare Einkaufstasche in der Handtasche ist weder unhandlich noch teuer. Ein Einkaufsnetz ist schnell gehäkelt, das Internet ist voll von einfachen Anleitungen zum Selbermachen.

Anspruchsvoller wird es dagegen bei anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs, in der Industrie und dem Dienstleistungssektor. Hier steigt der Plastikverbrauch eher an. Einer Studie vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zufolge rechnen Wissenschaftler bis 2030 mit einer Steigerung des Kunststoffverbrauchs von 28 Prozent. Auch weil immer mehr Materialien in diversen Lebens- und Arbeitsbereichen bewusst durch Kunststoffe ersetzt werden.

Gutes Plastik – schlechtes Plastik

Der Verzicht auf die Plastiktüte beim Einkauf genügt also noch lange nicht. Die Möbelindustrie verwendet gern und viel Kunststoff und in den meisten Kinderzimmern türmen sich Unmengen an Plastik auf – viele Spielzeuge werden aus Plastik hergestellt, sind leicht und so bunt wie billig und darum beliebt. Und wer denkt etwa in der Eile daran, dass auch Wattestäbchen aus Kunststoff sind? Die umweltfreundliche Variante aus Holz ist weniger verbreitet, teurer und somit nur zweite Wahl, wenn überhaupt. Ähnlich ist es, um ehrlich zu sein, bei der Zahnbürste: Wer greift denn zur Holzzahnbürste aus dem Unverpackt-Laden, wenn er eine elektrische, hochmoderne Zahnbürste aus Plastik haben kann? So weit und unnachgiebig ist die öffentliche Diskussion um Plastikvermeidung noch nicht gediehen.

Dass Kunststoffe in manchen Fällen auch der Müllvermeidung dienen können, zeigt: Es geht nicht ohne Debatte und genaues Hinschauen! Die Ökobilanz einer Papiertüte kann durch die aufwendige Produktion schlechter ausfallen als die einer ordentlich entsorgten Plastiktüte. Mooncups (auch: Menstruationstassen genannt) etwa bestehen aus Silikon, sind auswasch- und immer wieder verwendbar, wodurch sie Unmengen an Müll vermeiden, der durch die Nutzung von Tampons und Binden entsteht. Sicher ist, auf eindeutig umweltverschmutzendes Plastik zu verzichten, verlangt von niemandem Unmögliches – genauso wenig wie: gutes Plastik erkennen. Bio-basierte Kunststoffe, die aus nachwachsenden Ressourcen erstellt werden und biologisch – theoretisch – abbaubar sind, nehmen ebenfalls zu oder existieren schon, so wie Verpackungen mit dem Blauen Engel-Logo, das einen 80-prozentigen Recyclinganteil anzeigt.

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