„Viele haben kein Sicherheitsnetz“
Das Warten auf die Energiepauschale löst bei vielen Studierenden Verunsicherung aus. Arbeiterkinder, die oft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, trifft dies besonders hart. Darüber spricht Katja Urbatsch von Arbeiterkind.de im Interview.
Endlich! Die Energiepauschale kann ab dem 15. März 2023 beantragt werden. 200 Euro soll jede/r erhalten, der/die bis Ende 2022 an einer deutschen Uni eingeschrieben war. Doch das Warten darauf stellt insbesondere Studierende aus Arbeiterfamilien vor Herausforderungen. Laut Hochschulbildungsreport 2020 gingen nur 21 von 100 Nicht-Akademikerkindern überhaupt an die Uni – im Vergleich zu 74 von 100 Akademikerkindern.
Katja Urbatsch, Gründerin der gemeinnützigen Organisation Arbeiterkind.de, berät mit ihrem Team seit knapp fünfzehn Jahren diejenigen, die als Erste aus ihrer Familie studieren. Dabei zeigt sich: Nicht nur die Inflation ist deutlich angestiegen, sondern auch die Verunsicherung bei Studierenden aus Nicht-Akademikerfamilien.
sagwas: Frau Urbatsch, Ende 2022 beschloss der Bundestag, dass Studierende eine staatliche Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten sollen. Ab Mitte März 2023 sollen sie dafür die sogenannte Energiepreispauschale beantragen können. Ist jetzt alles gut?
Katja Urbatsch: Zu studieren war selten so schwierig wie jetzt – und das auch finanziell zu stemmen. Ich mache mir Sorgen, dass aufgrund der Finanzbelastung weniger Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien studieren werden. Studierende aus dieser Gesellschaftsschicht haben gerade sehr zu kämpfen.
Wird dieses Problem von der Gesellschaft ernst genug genommen?
Vielen Menschen ist nicht klar, dass Studierende aus nicht-akademischen und einkommensschwachen Familien auf das Geld des Staates existenziell angewiesen sind. Für sie ist das kein netter Bonus, sondern entscheidet über ihren Bildungsweg und ihre Chancen. Auch BAföG kommt bei vielen Studierenden zu spät an. Für finanziell schwächer gestellte Studierende ist staatliche Unterstützung kein Nice-to-Have, sondern eine absolute Notwendigkeit. Ich finde auch bedenklich, wie einige Studierende beim Bafög-Amt behandelt werden: Häufig werden sie als Bittsteller angesehen, als sei es eine Zumutung, dass sie einen Antrag stellen. Menschen aus finanzschwachen Haushalten haben oft schon vorher schlechte Erfahrungen mit der Bürokratie gemacht, zum Beispiel mit Sozialhilfe in ihrem Umfeld. Und die wollen da raus und nicht weiter so behandelt werden.
Wie erleben Sie die Sorgen der Studierenden, die sich an Arbeiterkind.de wenden?
Ich begegne Studierenden, die fast anfangen zu weinen vor Existenzangst und vor der Sorge, wie sie das finanzieren sollen. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass es darum geht, dass bloß niemand nur einen Euro zuviel bekommt. Nun geht es um 200 Euro, auf die Studierende dann auch noch lange warten müssen. Wenn man Chancengleichheit und Diversität will – und das wollen oder sagen ja alle – dann muss einem klar sein, dass diese Zielgruppe auf das Geld angewiesen ist. Viele haben kein Sicherheitsnetz.
Sie brauchen also vor allem Planungssicherheit?
Gerade Arbeiterkinder brauchen Planungssicherheit und Zuverlässigkeit, dass das Geld pünktlich kommt! Wenn Studierenden etwas versprochen und dieses Versprechen dann nicht eingehalten wird, führt das zu Misstrauen gegenüber dem Staat, gegen öffentliche Institutionen und zu Politikverdrossenheit.
Wie haben sich die Coronapandemie und das letzte von Krieg, Unsicherheit und Inflation geprägte Jahr auf die Situation von Arbeiterkindern konkret ausgewirkt?
Vielen ist nicht bewusst, dass nicht nur die Studierenden und Schüler*innen, sondern auch deren Familien noch in der Krise sind. Es macht einen Unterschied, ob man aus einem akademischen Haushalt stammt, wo die Jobs vergleichsweise sicher waren und das im Großen und Ganzen gut gelaufen ist, weil man eine gute Ausstattung und finanziellen Rückhalt hatte. Wer jedoch aus einer Familie kommt, in der die Eltern den Job verloren haben, potenziert sich die Krisenstimmung. Schüler*innen aus nicht-akademischen Familien, die nicht so gute Laptops und Ausstattung hatten, sind zurückgefallen; Studierende haben ihr Studium abgebrochen, sind wieder nach Hause gezogen.
Diejenigen, die nach Hause gezogen sind, sind wieder auf ihre soziale Herkunft zurückgeworfen. Was macht das mit ihnen?
Viele haben semesterlang keine Uni von innen gesehen. Es ist gerade für unsere Zielgruppe wichtig, in einem akademischen Umfeld zu sein, eben weil man das zuhause nicht hat. Wer aus einer akademischen Familie kommt, der ist während der Coronapandemie in einem akademischen Umfeld geblieben. Die Eltern haben sich engagiert, sei es in der Schule oder Uni.
Und bei Arbeiterkindern geht das Erreichte verloren?
Gerade wenn es finanziell schwieriger wird, ist sowohl bei den Studieninteressierten selbst als auch bei deren Eltern die Angst und die Hürde zum Studium größer. Solche Zahlungen wie die Energiepauschale sollten wirklich zuverlässig sein. Sonst darf man sich nicht beschweren, dass Studierende aus nicht-akademischen Familien, die auf das Geld angewiesen sind, kein Studium aufnehmen. Wir verpassen damit so viel Potenzial in der Gesellschaft.
Was wünschen Sie sich für Arbeiterkinder an der Uni am meisten?
Mehr Sensibilität für diese Gruppe. Dass wir uns als Gesellschaft bemühen, Hürden abzubauen. Auf Arbeiterkindern lastet ein größerer Druck. Auch einen Studienfachwechsel muss man sich leisten können. Die Studienfachwahl ist bei vielen von der sozialen Herkunft geprägt. Ich habe auch nicht das studiert, was ich studiert hätte, wenn ich in einer Akademikerfamilie aufgewachsen wäre. Ich habe mich nicht getraut, komplett auf Geisteswissenschaften zu setzen.
Danke für das Gespräch!