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Vielfalt statt Bubble durchs Reisen

Von Klaudia Lagozinski / 8. Februar 2023
picture alliance / ZB | Robert Schlesinger

Was trennt Menschen, was bringt sie zusammen? Sich unvoreingenommen zu begegnen vereinfacht Letzteres ungemein. Und das lässt sich gut üben, wenn man bei fremden Menschen übernachtet.

Zwischen 2014 und 2020 lebte ich in Berlin und hatte einen – rückblickend – ziemlich homogenen Freund*innenkreis: Mitzwanziger, Studierende, fließend Deutsch sprechend. Heute lebe ich als eine dieser Digital Nomads, die ihr Leben eher ungebunden von einem lokalen Lebensmittelpunkt aus bestreiten. Alltag – für mich stetige Veränderung, meistens mit Laptop und Powerbank im Rucksack. Next stop? Ungewiss. Laut Duden ist Vielfalt die „Fülle von verschiedenen Arten, Formen o.Ä., in denen etwas Bestimmtes vorhanden ist, vorkommt, sich manifestiert; große Mannigfaltigkeit“. Doch wie lernt man, wie vielfältig Vielfalt ist? Mir half Couchsurfen.

Im Herbst 2020 wollte ich drei Wochen durch Schweden wandern. Nach Dauerregen, heftigen Schneefällen in den Bergen und drückenden Winden brach ich die Tour ab. Was tun mit der verbliebenen Zeit? Ich lud mir Couchsurfing herunter. Eine App für Reisende, die bei Einheimischen übernachten, und für Gastgeber, die mit Reisenden ihren Wohnraum teilen. Im Herbst 2020 schickte ich drei Anfragen raus, drei Zusagen kamen zurück.

Von Fremden zu Freunden zu Mitbewohnern

Östersund, Sundvall und Luleå – ich begab mich an Orte, von denen ich noch nie gehört hatte. Pape, mein Host (Gastgeber) in Östersund begrüßt mich in seiner kleinen Wohnung in einem mehrstöckigen Haus mit selbstgekochtem Essen, auf dem TV-Bildschirm Fernsehen läuft eine Unplugged-Session der australischen Musikerin Tash Sultana. Auch wir kommunizieren durch Musik, zeigen uns Musikvideos auf YouTube. In Sundsvall übernachte ich bei Jon, uns verbinden drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Spanisch. Der Jurist hat in Hamburg gearbeitet und in Spanien studiert. Er zeigt mir die Schönheit von Schwedens Natur, wir sammeln Pilze im Wald, werden Freunde. Monate später lädt er mich zu einem Skitrip mit seinen Freunden ein. Ich kann zwar nicht Skifahren, doch sage zu.

In Luleå macht mein Gastgeber Tomas eine Umschulung zum Koch, geht beim Zubereiten von Essen präzise wie ein Chemiker im Labor vor und zaubert ein optimal gewürztes Chili con Carne. Von nun an wähle ich Reiseziele danach aus, ob ich einen Host finde, komme in den Privaträumen von Fremden unter, fünf Wochen am Stück. Ich weiß nie, wen ich treffen werde, was ich essen werde, wie wir uns verstehen werden.

Seit 2020 habe ich bei knapp zwanzig Hosts in drei Ländern übernachtet – und genauso viele Reisende bei mir übernachten lassen. In Stockholm überreicht mir ein Fotograf den Zweitschlüssel zu seiner Eigentumswohnung, obwohl er mich erst wenige Minuten kennt. In einer Studenten-WG in Uppsala begegne ich Menschen aus Deutschland, Vietnam und Spanien, die sich von Fremden zu Freunden zu Mitbewohnern entwickeln. Mitbewohner? Ja, irgendwann gab ich Berlin auf und mietete das Zimmer meines ehemaligen Gastgebers, der auf unbestimmte Zeit auf Weltreise ging.

Vielfalt wird durch Austausch sichtbar

Acht Quadratmeter, Schreibtisch, zwei Betten. Im Jahr 2022 öffne ich meine Wohnung für Reisende; lerne einen französischen Arzt kennen, der während Corona in der Notaufnahme lange Schichten geschoben hat; eine belgische Psychologiestudentin, deren Musikgeschmack trotz einigen Jahren Altersunterschied mit meinem überlappt; einen Deutschen, der seinen Ingenieursjob aufgab und auf unbestimmte Zeit Europa per Fahrrad erkundet; eine japanische Künstlerin, die, wo immer sie ist, Wandgemälde hinterlässt und die mir Wochen nach ihrem Aufenthalt eine Merci-Schokoladenpackung schickt.

Vielfalt wird erfahrbar im Austausch mit Menschen, die andere Werte und Lebensrealitäten haben als man selbst. Vor allem, wenn man – auch für kurze Zeit – das eigene Zuhause teilt. Ich war gegenüber anderen Menschen unvoreingenommener, weil sie mir ihre Türen öffneten.

Von Bauchgefühl und Hilfsbereitschaft

Couchsurfing erlaubt, beim Reisen eine riesige Vielfalt zu erleben. Doch schon vor meiner ersten Couchsurfing-Erfahrung schlief ich bei Menschen, die eigentlich Fremde waren. Im Jahr 2015 sitze ich im Bus von Bandung nach Yogyakarta auf der indonesischen Insel Java. Ich bin die einzige nicht-indonesische Touristin. In einer der vorderen Reihen telefoniert eine junge Indonesierin auf Englisch. Als der Himmel von blau zu dunkelorange wechselt und mein Ziel noch zweihundert Kilometer entfernt ist, frage ich, ob sie weiß, wann ich in Yogyakarta sein würde. „Mindestens drei bis vier Stunden“, antwortet sie, schaut mich verwirrt an. „Reist du alleine?“ Ich bejahe und setze mich. Sie greift wieder zum Handy.

Minuten später kommt sie durch das alte, wackelige Gefährt zu mir und lädt mich zu sich nach Hause ein. Ihre Familie wohne im nächsten Dorf, ich könnte mich ausschlafen. Soll ich? In einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche, in ein Dorf, das ich nicht kenne, mitgehen? Mein Bauchgefühl sagt ja, ich steige mit Dede, so ihr Name, in der Dämmerung aus, setze mich hinter ihre Schwester auf’s Motorrad, sie sich hinter ihren Bruder. Nach fünfzehn Minuten erreichen wir das Haus ihrer Mutter. Dede hat alle über meine Ankunft informiert: ihre zwei Kinder, ihre Mama, ihre Geschwister. Wir sitzen auf einem Teppich und essen pappsüßen Schwammkuchen.

Vertrauensvorschuss statt Voreingenommenheit

Dede übersetzt die Fragen, die ihre Mutter an den Spontanbesuch aus Deutschland hat. Auf meinem iPhone zeige ich Bilder meiner Familie, aus Deutschland. Dede besteht darauf, dass ich in ihrem Zimmer schlafe, während sie sich im Zimmer ihrer Kinder einquartiert. Am nächsten Morgen zeigt sie mir unzählige Reihen kleiner Bäume mit noch unreifen, knallgrünen Früchten – Papaya-Plantagen, die ihrem Vater gehören.

Es sind solche Einblicke, die mir nur durch die Offenheit gegenüber anderen möglich wurden, durch einen Vertrauensvorschuss beider Seiten, weil man es gut meint. Nach dem Plantagenbesuch fährt mich Dede zurück zur Bushaltestelle und ich setze meine Reise fort. Wir haben uns seitdem nicht wiedergesehen, doch die Begegnung mit Dede hat Spuren hinterlassen.

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