Weit weg, aber nicht allein
Ob Berlin und Hamburg oder München und Bangkok, ob kulturelle, religiöse oder „nur“ Dialektgrenzen: Wer „Fernbeziehung“ sagt, meint die unterschiedlichsten Verbindungen. Aber es gibt auch Erfahrungen, die alle fern Liebenden machen.
„Das hält doch sowieso nicht. Triff dich mit jemandem von hier!“ Die rothaarige junge Frau wehrt sich gegen solche Aussagen. Mit Schwert und Schild, im Comic von Tabby Freeman aus Illinois. Die Amerikanerin selbst hat schon mehrere Fernbeziehungen hinter sich. „Long-distance relationships“, wie sie im Englischen heißen, sind Gegenstand erstaunlich vieler Comics oder Zeichenserien von jungen Künstlern wie Freeman. Und alle kennen Situationen wie diese: Eine schlechte Internetverbindung, die den romantischsten Moment verdirbt; verschiedene Zeitzonen, die Telefonate mitten in der Nacht nötig machen; Geburtstage und sonstige Meilensteine, die der geliebte Mensch nur indirekt mitfeiern kann; oder wenn der Bildschirm zum meist geküssten Gegenüber wird.
Fernbeziehung – laut dem Duden eine „Lebensgemeinschaft von Personen, die an unterschiedlichen Orten wohnen“. Ob diese Orte 100, 1.000 oder 10.000 Kilometer voneinander entfernt sind, spielt begrifflich keine Rolle. So eine Verbindung ist beinahe jede/r zweite Deutsche schon einmal eingegangen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Online-Partnervermittlung ElitePartner.
Auf den vordersten Plätzen binationaler Ehen in Deutschland zählt das Statistische Bundesamt vor allem Partner aus den ehemaligen Gastarbeiter-Anwerbeländern wie der Türkei und Italien. Unter den zehn häufigsten Staatsangehörigkeiten waren außerdem Partner aus den USA, osteuropäischen Ländern, Asien und anderen EU-Staaten.
Doch unterschiedliche Staatsangehörigkeiten in einer Beziehung stehen indes nicht automatisch für eine geografische Distanz. Zwar galt offiziell in Deutschland im Jahr 2017 beinahe jede achte Ehe als binational. Allerdings können die Partner in solchen Fällen trotz unterschiedlicher Pässe zusammen am gleichen Ort leben – und damit in einer ganz normalen Beziehung.
Fernbeziehung klingt nach Romantik, Familiennachzug nach Rechtsunsicherheit
Neben eher dramatischen Faktoren wie Migration und Flucht nennt der Berliner Verband binationaler Familien und Partnerschaften explizit „offene Grenzen, Urlaubs-, Arbeits- und Studienaufenthalte“ als Stifter für binationale Ehen. Klassische Kennenlern-Szenarien also, die zumindest zeitweise in Fernbeziehungen münden.
Der Verband sieht sich als Interessenvertreter und öffentliche Stimme bi- und multinational Liebender und damit als Sprachrohr der Liebenden über Ländergrenzen hinweg. Die „Dimension des Bedarfs“ zeigen etwa 16.000 Anfragen jährlich, so heißt es auf der Internetseite. Und weil „bei einer grenzüberschreitenden Liebe der Himmel nicht nur voller Geigen hängt, sondern auch gespickt ist mit Paragraphen“, bezieht der Verband bewusst politisch Position und bringt regelmäßig entsprechende Forderungen in gesellschaftliche Debatten ein.
Ein Kernthema ist der Familiennachzug. Seit Jahren wird kritisiert, dass Ehegatten ohne EU-Staatsangehörigkeit vor ihrem Zuzug deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssten. Das sei „familienfeindlich“ und „menschenrechtsverletzend“, heißt es in Stellungnahmen. Dieses Beispiel zeigt: Für die Liebe auf Distanz interessiert sich auch der Gesetzgeber.
„Liebe ist kein Tourismus“
Wie politisch der Charakter einiger Fernbeziehungen mitunter werden kann, zeigt sich angesichts von nationalen Reisebeschränkungen und internationalen Grenzschließungen mehr als deutlich. Während der Corona-Pandemie finden sich viele (inter-)nationale Paare unfreiwillig dauerhaft voneinander getrennt. Love is not tourism nennt sich eine vor vier Monaten neu gegründete Bewegung mit rund 38.500 Mitgliedern auf Facebook, die bereits verschiedene Landesregierungen per Petition dazu aufgefordert hat, auch unverheiratete Paare zueinander reisen zu lassen, selbst wenn Ausgangssperren gelten. Denn „Liebe ist lebenswichtig. Liebe ist kein Tourismus“, betonen die Initiatoren.
Dabei stellt bereits der ganz normale Alltag etliche Fernbeziehungen auf eine harte Probe. Ständige Abschiede und Trennungen nähren die Angst, den Partner zu verlieren. Misstrauen und Eifersucht können die Stimmung vergiften und irgendwann gar in einen Kontrollzwang münden. Wo ist der andere gerade und mit wem? Warum sieht sie auf diesem Bild mit ihren Freundinnen so viel glücklicher aus als zuletzt mit mir? Wie lange können wir uns das ewige Herumfahren und Hin- und Herfliegen noch leisten? Gedankliche Teufelskreise und Probleme, die in zahlreichen Erfahrungs- und Expertenberichten auf der viel zitierten Fernbeziehungs-Plattform Farlove.de auftauchen.
Helfen, raten Experten, kann hier eine extra Portion emotionale Nähe, wenn die körperliche fehlt – also viel reden, egal ob via Internet oder Telefon. Das schafft Vertrauen. Auch realistische Zukunftspläne werden empfohlen, dazu gehört zu klären, wann und unter welchen Umständen die Distanz enden könnte. Und schließlich: In einer Fernbeziehung ist es für beide Seiten besonders wichtig, sich neben dem Paarleben die persönliche Eigenständigkeit beizubehalten, Freundschaften und Hobbys zu pflegen, die einen beschäftigen und in schlechten Zeiten auffangen können.
Keine Frage, dank digitalen Messenger-Diensten wie WhatsApp und Kommunikationstools wie Skype lässt eine Fernbeziehung heute sehr viel einfacher führen als noch vor einigen Jahren. Dass die Amerikanerin Tabby Freeman einen ihrer Fernbeziehungs-Comics mit „Digital Love“ überschrieben hat, ist also kaum erstaunlich. Neben viel Leid der fern Liebenden zeichnet Freeman aber auch die ganz besonderen, freudigen Momente. Die Mundwinkel beider Partner zum Strahlen verzogen, die Herzen hüpfen förmlich aus dem Papier: So sieht etwa das Hochgefühl nach einer Flugbuchung aus. Weil aus Distanz dann bald endlich wieder Nähe wird.