Wer hasst, sieht sich meist im Recht
Hass zeigen Menschen heute nicht mehr nur von Angesicht zu Angesicht, sondern auch in den sozialen Medien als „Hatespeech“. Gern unter dem Deckmantel der Anonymität. Wie man Hass loswird – oder auch nicht –, erklärt Prof. Georg Juckel.
Was hinter einem so tief sitzenden wie weit verbreiteten Gefühl steckt, versucht Georg Juckel zu ergründen. Er ist Professor für Psychiatrie an der Ruhr-Universität Bochum und Direktor der dort ansässigen LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin. Die Erforschung und Therapie von Schizophrenie, bipolaren Störungen und Depression ist sein Spezialgebiet.
sagwas: Herr Professor Juckel, was zeichnet einen hasserfüllten Menschen aus?
Georg Juckel: Im Gegensatz zu Wut, die eher ein situatives Gefühl ist, ist Hass in 99,9 Prozent der Fälle auf ein Objekt oder einen Menschen meist im Rahmen enger persönlicher Beziehungen gerichtet. Eine hasserfüllte Person spürt eine der stärksten Emotionen, die man in der Welt kennt. Das geht einher mit starkem, innerem Stress. In solchen Fällen lässt sich keine sinnvolle Diskussion führen. Um den Menschen von seinem Hass abzubringen, ist in der Regel eine lange Therapie notwendig.
Wie entsteht Hass in uns überhaupt?
In der Psychiatrie kennt man ihn als pathologische Form von Persönlichkeitsstörungen wie dem Borderline-Syndrom. Patient:innen mit diesem Krankheitsbild können sehr schnell zwischen Liebe und Hass zu einer Person wechseln, die negativen Gefühle sind dann auch meist sehr stark ausgeprägt.
Ansonsten kann Hass entstehen, wenn ich durch eine Person einen Nachteil erlitten habe – wenn mich jemand anderes missbraucht hat zum Beispiel. Oder auch bereits bei Betrug oder Kränkung. Manchmal reicht es sogar schon aus, wenn derjenige in einer bestimmten Situation bevorzugt wurde. Oft entstehen Hassgefühle, wenn Beziehungen durch Seitensprünge oder ähnliches in die Brüche gehen – bei Männern wie bei Frauen. Auch Konkurrenzgefühle untereinander können Hass auslösen.
Kann sich Hass auch auf offener Straße zeigen?
Ja, aber anders. In intimen Kreisen wie im familiären Umfeld zeigt sich ein eher individuell geprägter Hass mit besonderer Intensität. Dabei gibt man seine Gefühle ungeschützt preis.
Auf der Straße würde ich hingegen von einem allgemeinen Hass sprechen. Der Andere ist dann niemand, den ich persönlich kenne und als Mitmenschen wahrnehme, sondern beispielsweise jemand, der mich im Straßenverkehr nervt. Das ist also kein tiefgehender Hass, sondern eben eher Wut.
Wie sieht es online aus, Stichwort: Hatespeech?
Interessanterweise handelt es sich hierbei um einen allgemeinen, gleichwohl zwischenmenschlichen Hass. Allgemein, weil er sich häufig gegen Politiker:innen oder Prominente richtet, die derjenige, der die Kommentare verfasst, meist nicht persönlich kennt. Oft projiziert er auf sie im Hass seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen, weil er annimmt, dass sie ein glücklicheres oder erfolgreiches Leben als er selbst führen. Die Anonymität des Internets durch die Masse an Nutzer:innen und der Freiheit, nicht überall seinen Klarnamen angeben zu müssen, bietet ihm dabei Schutz.
Trotzdem geben manche Hass-Kommentator:innen ihre Klarnamen im Netz an. Warum?
Wer seinen Klarnamen nennt, wird eher die Haltung vertreten, dass ihm die Konsequenzen seines Handelns egal sind. Solche Menschen genießen den Zuspruch, den sie zum Teil für den ‚Mut‘ bekommen, ihre Meinung zu äußern, noch stärker als die anonymen Hass-Kommentator:innen. Von denen gibt es allerdings deutlich mehr.
Der Hass im Internet überwiegt heutzutage. Von Angesicht zu Angesicht treten solche Fälle relativ dazu eher seltener auf. Jedoch können sie sehr stark sein und der- oder diejenige benötigt in der Regel dann auch psychotherapeutische Hilfe.
Und sucht er sich diese freiwillig?
In der Regel nein. Hasserfüllte Menschen sind häufig überzeugt, dass ihr Hass berechtigt ist. Wenn sie obendrein auch noch narzisstische Züge aufweisen, verhalten sie sich meist abwehrend. Höchstens in Fällen, in denen sie durch ihren Hass selbst schwere Nachteile für ihr Seelenleben spüren, suchen sich diese Menschen dann von selbst Hilfe. Ansonsten kommt oft vonseiten der Familie der Wunsch nach einer Therapie.
Wie kann man sich solche Therapien vorstellen?
In einer ersten Phase versucht man, sich in das Objekt oder die Situation hineinzuversetzen, die den Hass im Patienten ausgelöst hat. Der- oder diejenige soll dadurch motiviert werden, sich selbst in den gehassten Mitmenschen hineinzuversetzen. Häufig sind die Gründe für Hass nämlich nicht schwarz-weiß. Es gibt da viele Grautöne. In einer zweiten Phase wird dann näher auf die Patient:innen eingegangen, versucht nachzuvollziehen, weshalb und wie sie hassen. Oft sind diese Menschen sehr verbittert. Man kann ihnen gegenüber dann beispielswese die Weisheits- oder Vergebungstherapie anwenden. Die Betroffenen sollen dadurch lernen, mit der erlittenen Kränkung umzugehen und der anderen Person schlussendlich zu vergeben.
Wie erfolgreich sind solche Herangehensweisen in der Regel?
Erfahrungsgemäß lässt sich sagen, dass in zwei Dritteln der Fälle die Symptome nach einer Zeit deutlich abnehmen. Es gibt mittlerweile auch ganz viele Maßnahmen, um mit den verschiedenen Formen von Hass umzugehen. Wie beispielsweise Mobbingtagebücher, wenn jemand auf der Arbeit von seinem Vorgesetzen tyrannisiert wird. In vielen Fällen kann eine konstruktive Lösung gefunden werden. Die Chancen auf Heilung stehen somit nicht schlecht.
Danke für das Gespräch!