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Wie Werbung auf der Leitung steht

Von Raul Krauthausen / 4. April 2019
picture-alliance / Tobias Hase | Tobias Hase

Eigentlich sollten Werbetreibende am besten wissen, wie Menschen im Allgemeinen ticken – schließlich wollen sie ihr Geld. Doch der Erkenntnisweg ist lang.

Es ist überhaupt nicht anmaßend, von einem Mainstream zu träumen. Von einem, der alle Menschen umfasst. Geht es zum Beispiel um’s Schminken, eine neue Schokolade oder Möbel für’s Eigenheim, sind dies Themen, die uns mehr oder weniger alle interessieren, unabhängig ob ein Mensch mit einer Behinderung lebt oder nicht. Kosmetik ist nicht so mein Ding, Einrichtungsschick schon viel eher – und was meine Vorliebe für Schokolade angeht, dazu äußere ich mich nicht ohne meinen Anwalt.

Geht Werbung auf diesen Fakt ein? Nein. Werbung spiegelt halt auch nur wider, was an Behinderungen in der Gesellschaft aufgebaut wird.

Ein paar Beispiele? Es muss ja nicht gleich das neue Gesicht für die Kinder-Schokolade sein, aber wie viele Menschen mit Behinderung haben eigentlich Werbe-Castingagenturen in ihren Datenbanken? In den Medien jedenfalls sehe ich zu wenige, auch nicht, wenn große Gruppen abgebildet werden. Kulturelle Diversität ist groß im Kommen, das ist ein Fortschritt; wir Menschen mit Behinderung aber humpeln oder rollen hinterher, noch gehören wir nicht dazu, nicht einmal ein bisschen. Es ist wie in der Filmwirtschaft, wo selbst Rollen, die Menschen mit Behinderung zeigen sollen, von Schauspieler_innen ohne eine solche übernommen werden.

Aber auch in Sachen Konsum liegt dem Mainstream eher wenig an uns. Da gibt es zum Beispiel eine interessante Idee, Kosmetiktuben und -döschen wie Mascara, Eyeliner oder Lippenstifte mit Hilfsmitteln zu versehen, dass sie auch benutzen kann, wer nicht die ruhigste Handführung hat. Logisch – aber warum kommt erst jetzt eine Firma darauf? Warum gibt es solche Konzepte nicht seit Jahrzehnten in den Schubladen eines jeden Kosmetikherstellers? Man sieht halt den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Mega-Mainstream ist übrigens Ikea. Ein ferner Bekannte sagte mal: Er schaue ungern nach neuen Möbeln bei Ikea. Tatsächlich gibt es bei Ikea eine Menge Möbel, die in ihrer Handhabung gar nichts für Menschen mit Behinderung sind, es aber in wenigen Handgriffen wären. Nun ist der Möbelhersteller auf eine gute Idee gekommen: Er entwickelt größere Griffe oder andere Stellwinkel von Sofas, um sie barrierefrei zu kriegen. Diese Zusatzprodukte müssen dann vom 3D-Drucker ausgespuckt werden – worum sich die Käufer_innen selbst kümmern müssen. Auch hier: Ein guter Anfang, total sinnvoll, aber schon interessant, dass Zukunftstechnologien wie der 3D-Druck herhalten müssen, um jahrzehntelange Versäumnisse auszugleichen. Ikea könnte doch gleich von Anfang an all diese Modelle im Sortiment haben, oder? Weltweit und nicht nur in Israel. Menschen mit Behinderung sind schließlich eine nicht unerhebliche Gruppe, was die Kaufkraft angeht.

Und dann gibt es noch die schöne Welt des Inspirations-Pornos. Richtig gelesen! Diese dreiste Strategie der Werbebranche lädt Menschen mit Behinderung nur dann als Mitwirkende ein, wenn es darum geht, sich selbst als angeblich warmherziges, gemeinnütziges Unternehmen zu präsentieren, das nicht nur Profit im Sinn hat. Große Konzerne sind als Akteure in dieser Hinsicht ganz vorne mit dabei.

Mercedes ist in den USA ein echter Coup im Fremdschämen gelungen: Er stellte ein Filmchen online, in dem ein Sohn seinem blinden Vater, einen Automechaniker, den vermeintlich größten Wunsch erfüllt – zum ersten Mal selber Autofahren. Klar, mal richtig Gas geben, Fliehkräfte hinter sich lassen, Freiheit genießen, das ist für Menschen mit Behinderung so attraktiv wie für welche ohne.

Mercedes geht es um Werbung für seinen neuen Sportwagen. Dieses Motiv vermengt er mit einer “guten Tat“ und macht klar, wer gibt und wer nimmt, wer großherzig ist und wer Bittsteller. Kurz, die Hierarchien werden überdeutlich dargestellt. Am Anfang des Films umrahmen Geigen im Hintergrund die Vorstellung des Vaters, das soll wohl das Herz öffnen: Oh, wie süß, dieser Behinderte. Als der dann fährt, begleiten ihn Fanfarenklänge aus dem Keyboard, das soll wohl Triumph bedeuten. Allerdings fährt der Mann nicht auf der Straße, sondern auf einem abgesperrten Stück Wüste im Staate Oregon. Weitweg vom Mainstream. Und nur einmal. Aber dank Mercedes.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich plädiere nicht dafür, dass Menschen mit Sehbehinderung massenhaft in Autos steigen und losdüsen. Es ist auch eine tolle Idee des Sohnes, seinem Vater dieses Erlebnis zu schenken. Aber die Kamera macht es eben zum Inspirations-Porno. Hier die Behinderung, hinreichend erbarmungswürdig, und dort die paternalistische Firma, hinreichend interessegeleitet. Wenn ich mir Darsteller_innen mit Behinderung in Werbefilmen wünsche, dann nicht sowas.

Der Weg, den wir in der Medienkultur zurückzulegen haben, ist länger als ein ausgetrocknetes Seengebiet im US-amerikanischen Oregon.

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