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Wieso, weshalb, warum?

Von Tom Albiez / 15. Juli 2020
picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Was macht eigentlich die Gesellschaft für deutsche Sprache? Unter anderem kürt sie seit bald 40 Jahren das „Wort des Jahres“ und dokumentiert so ganz nebenbei Zeitgeschichte.

Die Fakten zuerst: Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat ihren Sitz in Wiesbaden. Ursprünglich wurde sie jedoch 1947 im niedersächsischen Lüneburg gegründet und der erste Vorsitzende war – angesichts so mancher Schachtelsätze in der Rechtssprechung fast ein kleines Wunder – ein Jurist. 1955 kam der Zweig in Wiesbaden hinzu und man entschied sich für die hessische Landeshauptstadt als dauerhaften Sitz. Die GfdS, wie sie abgekürzt heißt, hat heute insgesamt ca. 3000 Mitglieder und besitzt weltweit mehr als 100 Zweigstellen.

Den meisten Deutschen ist die GfdS höchstens durch die Wahl des „Wort des Jahres“ bekannt. Dies ist jedoch nur ein Bruchteil der Arbeit, die der von der Kultusministerkonferenz und dem Ministerium für Kultur und Medien finanzierte Verein leistet. Zur Aufgabe gemacht hat er sich, das Bewusstsein für die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit zu schärfen und sogar international zu pflegen sowie die Sprachentwicklung kritisch zu begleiten, wie auch in Sprachfragen zu beraten.

Sprachberatung nicht nur für Bürger

Manchem mag es in digitalen Zeiten veraltet vorkommen: Aber weiß man nicht, wie etwas richtig geschrieben wird oder welche ursprüngliche Bedeutung ein Wort besitzt, kann man sich telefonisch an die Sprachberatung in Wiesbaden wenden. Diese ist für Mitglieder, Ministerien und Anfragende aus dem Ausland kostenlos. Alle anderen müssen einen Obolus in Höhe von knapp zwei Euro pro Minute entrichten, um eine Auskunft zu Rechtschreibung, Grammatik oder die Herkunft von Wörtern zu erhalten. Neben dem telefonischen Service werden auch schriftliche Anfragen beantwortet, die mit 75 Euro für Nichtmitglieder (Mitglieder: 60 Euro) deutlich mehr zu Buche schlagen. Für Firmen und Körperschaften besteht außerdem die Möglichkeit, Texte einzureichen und korrigieren zu lassen. Die Politik in Berlin genießt den Luxus eines hauseigenen GfdS-Redaktionsstabs im Deutschen Bundestag, der Gesetzestexte und auch Reden redigiert und generell Anlaufstelle ist für Parlamentarier, Fraktionen oder Verwaltungsbeschäftigte, die eine entsprechende Beratung suchen.

Auf Basis von Daten der öffentlichen Verwaltung erstellt die GfdS außerdem jedes Jahr eine Liste mit den beliebtesten Vornamen. Sie steht Standesämtern und Eltern zur Seite, wenn diese wissen wollen, ob der gewünschte Name für den Nachwuchs eintragungsfähig ist. Was manchmal bemerkenswerte Blüten treibt: So war 1993 nicht nur La Toya für ein Mädchen als alleiniger Name unzulässig, sondern auch Josephin. Hat man dagegen die Bestätigung für den eigenen Wunschnamen, bietet es sich auch gleich an, von einem weiteren Angebot der GfdS Gebrauch zu machen: der Vornamenurkunde. Ob als Geschenk für Geburtstag, Taufe, Firmung oder Konfirmation, man kann sich jederzeit eine elegante Urkunde über den gewählten Namen ausstellen lassen, die Aufschluss über die Herkunft und Häufigkeit des eigenen Namens gibt.

Wort des Jahres – ein Stück Zeitgeschichte

Abgesehen von sprachwissenschaftlichen Publikationen, Workshops und Seminaren, stellt die Wahl des sogenannten „Wort des Jahres“ das öffentlichkeitswirksame Highlight der Arbeit der GfdS dar. Jedes Jahr wird dafür im Dezember eine Liste mit zehn Begrifflichkeiten veröffentlicht, die das politische, wirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Geschehen in den davorliegenden zwölf Monaten entscheidend geprägt haben. Relevant ist hierbei weniger die Häufigkeit des Vorkommens eines Begriffes, sondern vielmehr seine Signifikanz, sprich die Verwendung in Medien und Gesellschaft und die sprachliche Prägnanz. Darunter versteht man eine Wortneuschöpfung oder die Zuweisung einer neuen Bedeutung. Grundlage für die Auswahl der Wörter bilden neben ihrer medialen Präsenz vor allem aktive Einsendungen mit Vorschlägen.

Wenn man sich heute durch die jährlichen Listen arbeitet und auf die Gewinnerbegriffe blickt, fällt auf, was die GfdS darüber hinaus noch leistet: eine prägnante Dokumentation der Zeitgeschichte. 1971 wurde mit dem Wort „aufmüpfig“ das erste „Wort des Jahres“ gekürt. 1987 stand „konspirative Wohnung“ hoch im Kurs, ein Begriff, der mit der linksextremen Szene und der RAF in Verbindung stand. 1990 stand wörtlich ganz im Zeichen der Wende und wurde mit „Neue Bundesländer“ gekrönt. 2015 wurde auch sprachlich zum Jahr der „Flüchtlinge“ und vermutlich stehen die Chancen gut, dass „Corona“ zum Wort des Jahres 2020 gewählt wird: Ein Ausdruck, der in der Lage zu sein scheint, ein ganzes Jahr mit seinen zahlreichen Entwicklungen auf eine einzige Facette zu komprimieren.

Das Unwort des Jahres als eigene sprachkritische Aktion

Was sonst noch bleibt: „Wort des Jahres“, schön und gut, aber gibt es nicht auch das „Unwort des Jahres“? Ursprünglich wurde die Aktion, ein Unwort des Jahres zu wählen, von der GfdS im Jahr 1991 initiiert. Bei der Listenauswahl zum „Unwort des Jahres 1993“ kam es jedoch zum Bruch zwischen der dafür eingesetzten Jury und der GfdS. Dabei ging es gar nicht mal um das erstplatzierte Wort „Überfremdung“, sondern um den Ausdruck „kollektiver Freizeitpark“, den Helmut Kohl verwendet hatte, um in überspitzter Weise die Forderungen nach weniger Arbeitszeit und mehr Freizeit zu kritisieren. Er sah eine Gefahr für den deutschen Wirtschaftsstandort und argumentierte, dass man die Zukunft nicht sichern könne, wenn man das Land als „kollektiven Freizeitpark“ organisiere. Eine Wortwahl, die für Unbehagen sorgte, da die GfdS die Entscheidung der Jury nicht mittrug. In der Folge machte sich die Jury zur Wahl der Unwörter des Jahres selbstständig. Die institutionell unabhängige Jury legt noch immer die Unwörter anhand von Einsendungen bis zum 31.12. eines jeden Jahres fest.

Übrigens ist die GfdS kein Unikum. Der Verein „Muttersprache“ in Österreich hat sich genauso der Sprachpflege verschrieben wie der „Schweizerische Verein für die deutsche Sprache“. Bei all diesen Institutionen handelt es sich um Einrichtungen, die die Sprachentwicklung beobachten, begleiten und Foren für Sprachinteressierte darstellen.

Womit auch schon alles gesagt wäre.

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