Willkommenskultur – nur eine Worthülse?
Comedy-Schauspiel-Coach und Autorin Mona Sharma hat selbst einen Migrationshintergrund: Sie ist als Kind aus Indien nach Deutschland gekommen. In Zeiten von PEGIDA möchte sie ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen und fördert Patenschaften für Flüchtlinge.
Neu Delhi, Anfang der 1970er Jahre. Mona Sharmas indisch-deutsche Eltern sind überrascht von den kulturellen Unterschieden zwischen ihnen. Diese sind größer, als das Paar je vermutet hätte. Widersprüchliche Erwartungen aufgrund ungleicher Sozialisierung in komplett verschiedenen Kulturkreisen sowie unvereinbare Wert- und Rollenvorstellungen erlebt die junge Familie als immense Herausforderungen.
Die Eltern trennen sich, Sharma zieht mit ihrem Bruder und ihrer Mutter nach Deutschland – ein Schock für sie. „In Indien gehörten wir zur Upperclass, in Deutschland hingegen mussten wir von Null anfangen und fielen – wie auch viele Flüchtlinge heute – in eine vollkommen andere, weit weniger privilegierte Lebenssituation“, erinnert sich Mona Sharma.
Dass die Entwicklung jedes Einzelnen immer davon abhängt, wo, wann und unter welchen Umständen er geboren wird und aufwächst, gehört deshalb zu Mona Sharmas Selbstverständnis. Sie ist überzeugt, dass sie nicht zu einer eigenständig handelnden, selbstbewussten Frau geworden wäre, wenn sie in Indien aufgewachsen wäre. „Dort gibt es keine alternativen Lebensmodelle für Frauen. Ich hätte gelernt, mich in der Familie und der Gesellschaft innerhalb der für mich vorgesehenen Rollen und Vorgaben zu verhalten.“
Nächstenliebe nicht nur predigen
Sharma ist nicht religiös. Dennoch gilt Weihnachten für sie als Fest der Familie, des Teilens und der Nächstenliebe. Weihnachten 2014 kam es ihr sinnlos vor, in eine Kirche zu gehen und einen Pfarrer über Nächstenliebe predigen zu hören oder sich einfach zuhause an den üppig gedeckten Tisch zu setzen. „In dem Wissen darum, was zurzeit in unserem Land vor sich geht, schien mir das absurd. PEGIDA, der Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkünfte bei Nürnberg, die sich ausbreitende Fremdenfeindlichkeit: All das hat für mich nichts mit Nächstenliebe zu tun.“
Als sie ihrer Familie den Vorschlag machte, an Heiligabend ein Bonner Asylbewerberheim zu besuchen und die Flüchtlinge willkommen zu heißen, waren alle, auch der zehn Jahre alte Sohn, sofort begeistert. „Jeder redet darüber, jeder weiß es besser, aber nur wenige gehen zu diesen Menschen und hören, was sie erlebt haben. Ich wollte den Asylbewerbern meine Anteilnahme an ihrem Schicksal ausdrücken“, erläutert die Künstlerin ihre Motive. Die Lebensmittel, die Sharma und ihre Familie an dem Abend mitbringen, betrachtet sie als kleine Geste, die aber nicht zwingend notwendig für die Annäherung gewesen sei. „Die Geste des persönlichen Erscheinens hat die Menschen weitaus mehr genährt und gerührt.“
Ohne Bürgschaft geht nichts
In der Bonner Unterkunft leben vor allem Flüchtlinge aus Syrien. Sie wohnen in kleinen Räumen, die Gefängniszellen gleichen: zwei Betten, ein Tisch, ein paar Stühle, ein Schrank und der Koffer unter dem Bett. Es gibt eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad. Alles wirkt sauber und zweckmäßig.
Sharma traf an jenem Abend hauptsächlich auf Familien mit Kindern. Ein Vater sprach Englisch und dolmetschte. Er erzählte, dass syrische Flüchtlinge nur legal einreisen dürften, wenn sie in Deutschland Bürgen hätten, die für sie eine Art Versicherung unterschrieben. „Damit sichert sich der deutsche Staat ab, nicht für alle Kosten alleine aufzukommen“, erklärt Sharma. „Im Gespräch mit den Flüchtlingen fühlten wir Schwere. Das oftmals unreflektierte Ver- und Beurteilen wandelt sich in Mitgefühl, wenn du in den direkten Kontakt kommst.“
8.000 bis 10.000 Dollar für die Schleppermafia
Der Familienvater erzählte weiter: Manche der Syrer hätten tatsächlich Verwandte oder Freunde in Deutschland, die für sie unterschrieben. Es handele sich bei diesen Flüchtlingen um Menschen aus der Mittel–und Oberschicht ihres Herkunftslandes. Manche arbeiteten in internationalen Konzernen und hätten dadurch Kontakte ins Ausland, die sie um Hilfe und Bürgschaften bitten könnten. Die anderen ohne solche Kontakte, die Mittellosen, könnten nur illegal einreisen und müssten der Schleppermafia 8.000 bis 10.000 US-Dollar zahlen. Viele profitierten von dem Leid dieser Menschen. Viele der Flüchtlinge kämen auf der Flucht um.
„Für mich“, sagt Sharma überzeugt, „gibt es bei den Flüchtlingen keine Unterscheidung in legal und illegal. Gerade die illegalen Flüchtlinge haben einen noch schwereren Überlebenskampf hinter sich, bis sie in Deutschland ankommen.“ Das Geld für die Flucht aus ihrer umkämpften Heimat treiben die Syrer überall auf, wo es nur irgend geht. Sie verkaufen Haus und Hof, leihen sich Geld, auch von Kredithaien, und müssen es zurückzahlen, sobald sie in Deutschland arbeiten. Alte und Familien legen zusammen. Meist sind es starke, junge Männer, die eine Flucht besser überstehen und die dann am ehesten in Deutschland Aussicht auf Arbeit haben.
Laut Sharma könnten manche Menschen in Deutschland nun auf die Idee kommen, dass die Syrer so viel Geld auch für eine neue Existenzgründung im eigenen Land einsetzen könnten. „Aber das ist natürlich unmöglich, wenn der IS dort bestialisch wütet, man in Angst lebt und es kaum Lebensmittel gibt.“
Tiefe Traurigkeit
Auf die Frage, wie sie die Flüchtlinge wahrgenommen habe, antwortet Sharma, sie seien sehr freundlich gewesen, aber auch etwas naiv, was ihre Chancen in Deutschland betreffe. „Ich habe ihre Dankbarkeit gespürt, und zugleich sah ich in ihren Augen, dass sie viel Leid erfahren hatten. Der Raum füllte sich mit tiefer Traurigkeit, als die Sprache auf die Verwandten fiel, die sie in Syrien zurücklassen mussten.“
Die Syrer berichteten ihr, dass sie bisher meistens gute Erfahrungen mit dem deutschen Gastgeberland gemacht hätten. „Außer auf dem Sozialamt“, sagt Sharma und bestätigt damit jüngste Presseberichte. Die Flüchtlinge seien sehr froh, wenn sie von Menschen auf der Straße oder im Supermarkt angelächelt würden. „Lächeln ist eine Sprache, die man auf der ganzen Welt versteht. Es gibt den Menschen das Gefühl, angenommen zu sein.“
Unbürokratische Patenschaften
Sharma zeigt sich angesichts der undifferenzierten Betrachtung der Gesamtproblematik entrüstet. „Viele Deutsche mit Ressentiments beschweren sich, dass sich Ausländer nicht gut integrieren. Aber wir müssen mehr und mehr begreifen, dass zur Integration deutsche Bürger nötig sind, nicht nur Ämter und Verwaltung“, so Sharma. „Richtiges Einleben in ein Land, das entsteht durch Schule, Beruf, aber vor allem durch Landsleute, mit denen man sich anfreundet, die einen mit ins Leben nehmen.“
Nach ihrem Besuch im Bonner Asylbewerberheim beschloss Sharma, den Flüchtlingen unbürokratische Patenschaften anzubieten, im Rahmen derer Deutsche die Asylbewerber zum Beispiel zu sich nach Hause zum Essen einladen, sie mitnehmen zu Ausflügen, ins Museum oder zu Festivitäten. „Nur so viel Einsatz soll geleistet werden, wie es jeder aus Freiwilligkeit heraus machen möchte und leisten kann.“ So könnten beide Seiten in hohem Maße von dieser Erfahrung menschlich profitieren. „Ich bin davon überzeugt, dass dadurch wirkliche Integration stattfinden kann.“
„Vorlaufen kann ich, also mache ich das“
Bereits mehrere Freunde, Bekannte und Nachbarn haben sich bei Sharma gemeldet und sich auf ihre Helferliste setzen lassen. „Es ist lehrreich zu sehen, wie viele wirklich einen Beitrag leisten wollen, aber nicht so recht wissen wie. Sie trauen sich nicht und brauchen jemanden, der quasi vorläuft. Vorlaufen kann ich, also mache ich das.“
Mona Sharma wird wieder in die Unterkunft fahren und dort weitere Menschen kennenlernen. Sie wird die syrischen Flüchtlinge mit weltoffenen Deutschen in direkten Kontakt bringen, um ein Zeichen für gelebte Integration zu setzen und um der in der Politik vielfach verwendeten Worthülse „Willkommenskultur“ Leben einzuhauchen.
Wer sich für eine Patenschaft interessiert, kann hier mit Mona Sharma in Kontakt treten und Einzelheiten erfahren.