Wird alles anders
Der Kapitalismus ist der König unter den Buzzwörtern. Alle haben dazu etwas zu sagen. Jetzt macht „Digitalisierung“ ihm den Thron streitig. Die Debatte um digitalen Kapitalismus in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung war dementsprechend aufgeladen.
„Es gibt viel, über das wir sprechen könnten“, beginnt Frank Pasquale, Rechtsprofessor an der University of Maryland, die Konferenz „Digitaler Kapitalismus – Revolution oder Hype?“. Das Thema bewegt. Der Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin ist an diesem kalten Novemberabend gerappelt voll. Wenn der Digitalisierungsexperte Pasquale nicht moderiert, widmet er sich den gesellschaftlichen Risiken von Big Data, Künstlicher Intelligenz und Algorithmen. Themen, mit denen er sich auskennt und die ihm deshalb umso mehr Sorgen bereiten. „Wir beobachten heute, wie Teilnehmer des Marktes zu Kontrolleuren des Marktes aufsteigen, während nationale Regierungen die Kontrolle verlieren.“ Die wesentliche Frage der Konferenz sollte also diejenige sein, wie eine Gesellschaft es schaffe, die Digitalisierung aktiv zu gestalten anstatt von ihr überrollt zu werden, so Pasquale.
Tatsächlich beschäftigt diese Frage auch die Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion, neben Pasquale die Fraktionsvorsitzende der SPD, Andrea Nahles, sowie Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und Henning Kagermann, enger Berater der Kanzlerin in Digitalisierungsfragen. Sie alle bringen ihre Steckenpferde mit. Nahles möchte die Digitalisierung demokratisieren, Hoffmann will einen fairen Wandel für die Arbeitnehmer, Kagermann wirbt für das Konzept Industrie 4.0, das er selbst mitentwickelt hat.
Macht im digitalen Kapitalismus
Die Stimmung auf dem Podium lässt sich einerseits am besten beschreiben als beunruhigt. Welche Werkzeuge hat die Politik gegen internationale Plattformen in der Hand, die sich nicht an nationale Gesetze halten, sondern für sich selbst neues Recht schaffen wollen? Wie kann jeder Einzelne den unaufhaltbaren digitalen Wandel bewältigen, ohne darin unterzugehen? Man gibt sich nicht mutlos, aber kritisch. Und dann wird plötzlich klar, dass viele bei der Diskussion aufgeworfenen Fragen von einer Frage abhängig sind: Wer hat die Macht im digitalen Kapitalismus?
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Onlineplattformen wird in der öffentlichen Diskussion oft diese Macht zugesprochen. Airbnb, Amazon, Ebay und Uber vermitteln Anbieter und Nachfrager – und machen diese von sich abhängig. Andrea Nahles zufolge vermittele der Begriff „Plattform“ jedoch ein falsches Bild. „Das klingt mir viel zu niedlich. Meine Tochter hat in ihrem Baumhaus eine Plattform. Sprechen wir doch lieber von Monopolen, denn darum geht es den Firmen, um Monopolstellung und Profitmaximierung.“
Nahles: Es geht um Monopolstellung und Profitmaximierung.
Es bleibt nicht der einzige Kommentar, mit dem die SPD-Politikerin an diesem Abend punkten kann. In den vergangenen Wochen hat Nahles bereits mehrmals Schlagzeilen mit ihrer Forderung nach der „Demokratisierung der Digitalisierung“ gemacht. Nahles fordert das „Primat der Politik“ zurück. Um die Rechte der Bürger zu schützen, müsse man mehr Regulierung zulassen. Henning Kagermann gibt sich weniger kampfeslustig. Er glaubt nicht daran, dass Regierungen Internetplattformen in Schach halten können. „Da hinken wir bloß hinterher.“ Die Chancen für Deutschland, in der digitalen Welt voranzugehen, sieht er dagegen in der Annäherung mittelständischer Unternehmen an die Digitalisierung.
Digitales Proletariat
Egal, ob der digitale Kapitalismus nun Revolution oder Hype ist, fest steht: Der technologische Wandel wird vieles verändern. Die Art und Weise, wie wir leben, wie wir lernen und wie wir arbeiten. In einem Land wie Deutschland, in dem eine hohe Arbeitsmoral die Kultur bestimmt, schürt das Angst: Studien prophezeien den Wegfall von tausenden Arbeitsplätzen.
So pessimistisch manche Aussage auch wirkt – geschlagen geben will sich keiner. „Die Digitalisierung birgt die Chance auf mehr Selbstbestimmung“, sagt Nahles. Arbeitnehmer sollen in Zukunft vermehrt selbst entscheiden können, wann und wie sie arbeiten. Darin sind sich alle Panellisten einig: Damit die Veränderung der Arbeitswelt fair von statten geht, wollen sie besonders die Internetriesen in die Pflicht nehmen.
„Plattformen wie Uber und Airbnb zahlen keine Krankenversicherung, keine Rente, nicht einmal Steuern“, ärgert sich Gewerkschaftler Hoffmann. „Sie verweigern sich schlichtweg, ihre Rolle als Arbeitgeber anzunehmen.“ Wenn die Plattformen nicht bald ihre Pflichten als Arbeitgeber wahrnähmen, drohe die Entstehung eines digitalen Proletariats, warnt Hoffmann und ergänzt, die Diskussion um digitalen Kapitalismus sei schon lange kein „Schönwetterdiskurs“ mehr.
Während der Konferenz häufen sich unter dem Hashtag #DigitalCapitalism Kommentare aus der Online-Community. Auch eine Anmerkung von Gesine Schwan aus dem Publikum findet auf Twitter Nachhall: Wir neigten dazu, Neuem, das nur sehr wenige durchschauen, mit alten politischen Forderungen zu begegnen, so Schwan. Ein Twitterer sieht darin die noch ungeklärte „Gretchenfrage“ wiedergegeben. „Wenn man richtig regulieren will, dann muss man auch die Materie gründlich verstehen.“
Es liegt also noch viel Arbeit vor uns – auch, um zu verstehen, was am digitalen Kapitalismus Revolution und was Hype ist.