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Zeig mir deinen Pass und ich sag dir, wo du nicht einreist

Von Melina Aboulfalah / 11. März 2020
picture alliance / Jan Haas | P4263

Als deutsche Touristin brauche ich nur für wenige Länder ein Visum. So bleibt der bürokratische Aufwand für den Urlaub minimal. Anders sieht es immer noch für Menschen aus dem globalen Süden aus, die in Deutschland Urlaub machen möchten.

Nächste Woche fliege ich in die USA. Die Reisevorbereitungen dafür waren denkbar einfach. So füllte ich online einfach das Formular für die Einreiseerlaubnis aus. Mein Mann schaute nur skeptisch. „Das war‘s schon?“, fragte er. Das war‘s. Zumindest für mich. Für Staatsangehörige der meisten anderen Länder ist eine Reise in die USA viel komplizierter und bedarf eines “echten“ Visums. Das gilt auch für die meisten Menschen, die die EU bzw. den sogenannten Schengen-Raum bereisen wollen. Es sind vor allem Menschen aus dem globalen Süden, die von der Visumspflicht betroffen sind. Genau wie mein Mann.

Papiere allein reichen nicht

Er ist in Marokko geboren und aufgewachsen. Drei Jahre lang führten wir eine Fernbeziehung. Was es bedeutet, wenn der Partner auf einem anderen Kontinent lebt und nur mit einem Visum ins eigene Land einreisen darf, kann man sich kaum vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Der deutschen Botschaft in Marokko eilt ein strenger Ruf voraus, dem sie mehr als gerecht wird. Mein heutiger Mann, damaliger Freund, hatte bei seinem ersten Visumsantrag alle Papiere dabei: Nachweis der Sozialversicherung. Bezahlte Flugtickets. Eine Verpflichtungserklärung, die meine Mutter bei der Ausländerbehörde unterschrieben hatte. Er erschien pünktlich zum Termin in der Botschaft. Die bloße Lust auf andere Kulturen, neue Erfahrungen, die viele junge Leute aus Deutschland in ferne Länder treibt, ist aus Sicht der deutschen Botschaft noch lange kein triftiger Grund, Deutschland selbst für Reiselustige zu öffnen.

Ein paar Tage später ging er seinen Pass abholen. Anstelle des schillernd bunten Schengen-Visums lag ein zusammengefaltetes Papier lose darin, beschrieben in kryptischem Beamtendeutsch. Auf diesem Papier wurden neun mögliche Ablehnungsgründe genannt. Der neunte Grund war angekreuzt: „Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.“

Dass mein Mann in seine Heimat zurückkehren würde, davon war die deutsche Botschaft also nicht überzeugt. Seinen Touristenstatus anerkennen? Sicher nicht. Die Rede war von mangelnder familiärer, beruflicher und wirtschaftlicher Bindung an das Land. Offenbar reichte es nicht, dass seine gesamte Familie in Marokko lebte und er zu diesem Zeitpunkt bei seinen Eltern wohnte. Und auch nicht, dass er einen festen Job als Ingenieur vor Ort hatte, der ihm ein verhältnismäßig hohes Gehalt garantierte.

Ein Anwalt bot uns an, gegen die Entscheidung der Botschaft zu remonstrieren, Widerspruch einzulegen. Mit einer Klage würde man nicht weit kommen, da es kein Recht auf Visa gibt. Dass nicht jeder Antragsteller einen deutschen Anwalt zu Rate ziehen kann, bloß um in Deutschland Urlaub zu machen, ist auch den Auslandsvertretungen klar. In solchen Verfahren wird ohne Scheu ausgesiebt, wer die “Festung Europa“ besuchen darf. Besagter „Grund 9“ eignet sich dabei bestens für die Ablehnung jedes Antrags, dem schlicht nicht stattgeben werden soll. Das ist nicht plausibel, aber wo kein Recht, da kein Kläger.

Ein Generalverdacht und seine Folgen

Die Antragsstellung meines Mannes fiel in das Jahr 2015, das Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise. Möglicherweise bestand der Verdacht, er würde über ein Schengen-Visum einreisen und hier Asyl beantragen. Der Migrationsforscher Jochen Oltmer vermutet, dass die bundesdeutschen Vorstellungen von Afrika ausschlaggebend sind: „Afrika wird vor allem als ein Kontinent gesehen, der von Armut, extremer Ungleichheit und hohem Migrationspotenzial gekennzeichnet ist.“ Ob diese negative Auffassung – die die Afrikaner meint – Schuld an der Einreiseverweigerung hat, lässt sich nicht sicher sagen, da alle neun Gründe im Ablehnungsbescheid zumindest vordergründig auf die Person des Antragstellers Bezug nehmen, nicht auf die politische Lage in seinem Herkunftsland.

Zu unserer Hochzeit in Deutschland im Oktober 2018 wollten die Eltern, der Bruder und die Schwester meines Mannes kommen. Den Eltern, einem gestandenen marokkanischen Ehepaar, wurden die Visa ausgehändigt. Bei den Geschwistern lag wieder das verhängnisvolle Papier im Pass. Auch hier bestanden aufgrund einer unterstellten mangelnden familiären und wirtschaftlichen Bindung an Marokko Zweifel an deren Rückkehrabsicht. Zynischer geht es kaum: Die ganze Familie will gemeinsam die Hochzeit des ältesten Sohnes feiern, aber die familiäre Bindung wird infrage gestellt.

Die französische Botschaft gibt sich bei der Vergabe von Schengen-Visa großzügiger, zumindest für Antragsteller aus Nordafrika. Freunde aus Marokko und Ägypten erzählen, dass man für eine Reise nach Europa am besten das Visum in der französischen Botschaft beantragt und von dort aus in andere Länder des Schengen-Raums weiterreist. Die Ablehnungsquote etwa im Konsulat in Rabat lag 2018 nur bei 7,8 Prozent, so die Europäische Kommission. Dagegen wurden 30 Prozent der Anträge auf Schengen-Visa bei der deutschen Botschaft in Marokko abgelehnt. Nochmal: Wir reden hier nur von Visa für Kurzaufenthalte für Touristen. Dieser frappierende Unterschied lässt sich auch durch die Kolonialgeschichte Frankreichs nicht erklären.

Herkunft macht den Unterschied

Auch bei Visa für Studienaufenthalte wird die Hoffnung auf Anerkennung oft bitter enttäuscht. Zum Studium in Deutschland muss man 10.236 Euro an finanziellen Rücklagen nachweisen. So viel Geld hat der deutsche Durchschnitts-Studi wohl kaum auf dem Konto, ein ausländischer kommt nicht drum herum, solch ein dickes Portemonnaie vorzuweisen. Ein Bekannter aus Ägypten durfte nicht in Deutschland studieren, weil laut Ablehnungsbescheid seine bisherigen akademischen Leistungen eher mittelmäßig seien und Zweifel bestanden, dass sein Studium „erfolgreich und in der Regelstudienzeit abgeschlossen wird“. Jetzt mal ehrlich – wie viele von uns haben ihr Studium in der Regelstudienzeit abgeschlossen?

Währenddessen profitieren wir Deutsche davon, dass keine Botschaft der Welt diese hohen Anforderungen an uns stellt. Wir, die weltoffenen Akademiker aus dem globalen Norden, bereisen die Länder, auf die wir gerade Lust haben. Weltoffenen Akademikern aus dem globalen Süden wird dagegen unterstellt, dass sie nur aus ihrer vermeintlich furchtbaren Heimat raus wollen. Dass diese perfiden Visa-Verfahren in absehbarer Zeit eingestellt werden, ist leider nicht realistisch. Aber als Antragsteller sollte man durchaus erwarten dürfen, dass die Entscheidungen fair, transparent und nicht auf Basis eines Verdachts getroffen werden. So viel Anerkennung muss sein.

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