X Icon Facebook Icon

Zukunft Grau

Von Alexander Kloß / 26. März 2025
picture alliance / Sueddeutsche Zeitung Photo | Simon, Johannes

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Was jedoch droht, wenn wir das Ruder nicht schnellstens rumreißen, wissen wir schon. Ein Unglücksszenario.

Wir schreiben den Sommer des Jahres 2040. In Deutschland ist es mollig warm. Nachdem 2024 erstmals die globale 1,5-Grad-Marke der Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreicht wurde, sind wir mittlerweile bei zwei Grad mehr angekommen. Im Südosten des Landes, rund um den Korridor Mainz-Karlsruhe, wird es besonders heiß. Extremtemperaturen von über 40 Grad sind keine Ausnahmefälle mehr, sondern treten regelmäßig auf. Bis 2045 wird es Tage geben, an denen es bis zu 45 Grad hat.

Auch im dicht besiedelten Ruhrgebiet staut sich die Hitze in der Stadt, was zu einer niedrigeren Lebensqualität, größeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deutlich mehr Hitzetoten führt. Gerade Ältere, Kranke und Kleinkinder sind besonders betroffen.

Die zunehmend ausgetrockneten Böden befördern wiederum ein anderes Extremwetterereignis: Überflutungen. Katastrophen wie im Ahrtal 2021 und Dresden 2002 häufen sich trotz verbesserter Vorkehrungen. Während langfristige Überschwemmungen in Deutschland weniger ein Problem sind, trifft der kontinuierlich ansteigende Meeresspiegel andere Erdteile hingegen enorm hart. Die Metropolen Bangkok, Jakarta, Miami, New Orleans und Venedig gibt es nicht mehr.

Andere Regionen haben mit extremen Dürren und Hungersnöten zu kämpfen. Schätzungsweise jedes vierte Kind weltweit wächst in einem Umfeld auf, das unter extremer Wasserknappheit leidet. Humanitäre Krisen wie jene in Darfur, Somalia oder im Jemen brechen unentwegt neu aus und verschärfen sich noch drastischer, insbesondere nach dem Wegfall großer Teile der internationalen humanitären Hilfe Mitte der 2020er-Jahre.

Festung Europa mit dicken Burggräben

Die Zahl der Menschen, die versuchen, vor diesen Katastrophen zu fliehen, hat sich drastisch erhöht. Die Flüchtlingswellen der 2030er-Jahre stellen jene der 2010er deutlich in den Schatten. Am stärksten davon betroffen sind die direkten Nachbarländer der Krisenherde, primär in Afrika und Asien. Europa hat sich derweil zunehmend abgeschottet und das Recht auf Asyl immer schärfer eingeschränkt. Die einst von Rechtsextremen beschworene “Festung Europa” wird sehenden Auges zur Realität, das Mittelmeer und die EU-Außengrenzen wachsen zum kaum überwindbaren Burggraben an. Nur gelegentlich wird die Zugbrücke noch heruntergelassen und das Tor öffnet sich – mal für einige Fachkräfte, mal für eine Handvoll Geflüchtete als symbolische Geste des guten Willens.

Auch innerhalb der Europäischen Union wurden nach und nach die Zäune hochgezogen. Im Glauben, dass mehr Überwachung auch für mehr Sicherheit sorgen wird, hat neben Deutschland und Österreich eine Vielzahl der Mitgliedstaaten ihre Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums verstetigt. Diese permanenten Brüche mit den Grundwerten der EU schlagen gesellschaftlich immer noch große Wellen, die aber bis zur nächsten Eskalation meist schnell wieder verebben.

Während die gut vernetzte europäische Rechte ihre Agenda zunächst vermehrt salon- und kurz darauf auch regierungsfähig machen konnte, herrscht im progressiven Lager weiterhin Uneinigkeit. Eine wirksame europäische Sicherheitspolitik gibt es bis heute nicht – genauso wenig wie eine langfristige Lösung gegen Russlands Aggression. Der in der Ukraine erzwungene Diktatfrieden ist brüchig und das Baltikum bangt darum, als nächstes Angriffsziel auf der Liste zu stehen – ob EU und NATO im Ernstfall zur Hilfe eilen würden, bleibt fraglich.

Mehrere Staaten planen Referenden, um die EU zu verlassen; Ausgang ungewiss. Auch um den politischen Nachwuchs steht es schlecht: Aufgrund massiver Anfeindungen in den sozialen Medien und der Öffentlichkeit werden gerade vielversprechende politische Karrieren immer kurzlebiger, bevor sie im Burnout enden.

Der Himmel über Berlin

Mittlerweile ist Winter auf der Nordhalbkugel. Von richtigem Winter kann jedoch kaum wirklich die Rede sein, denn nur selten fällt das Thermometer noch unter null Grad. Schnee ist abseits der Alpen zur Rarität geworden. Gelegentlich kehrt deshalb der KI-gestützte Geist von Rudi Carrell zurück und bringt eine Neuinterpretation seines größten Hits unter dem sarkastischen Titel Wann wird’s mal wieder richtig Winter? in die Charts. An der Ostsee hofft man langsam, dass man eines Tages wie in Australien Weihnachten am Strand feiern kann.

In einer heruntergekommenen Einzimmerwohnung in Castrop-Rauxel läuft gerade Fußball. Dortmund verliert gegen einen englischen Provinzclub, der kürzlich noch in der zweiten Liga gespielt hatte, bis ein saudischer Prinz ihn aufkaufte. In der Halbzeitpause laufen die Nachrichten: Irgendwo, weit weg von hier, gibt es sie wohl doch noch, die Kälte. Mehrere Säuglinge sollen bei einem Temperatursturz in einer Kriegsregion erfroren sein. Zugang zu Decken oder medizinischer Versorgung habe es nicht gegeben. Danach die Innenpolitik: Im Bundestag wird debattiert, ob Kindern von Bürgergeldempfänger*innen kostenlose Schulspeisungen grundsätzlich gestrichen werden sollen, da die Eltern ja ohnehin schon nichts zur Gesellschaft beitrügen.

Irgendwo, am Rande des Regierungsviertels, steht ein Fenster offen. Aus der Ferne dröhnt ein mittlerweile fast vergessener Peter-Fox-Hit: “Alle malen schwarz, ich seh’ die Zukunft pink // Und wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind”, heißt es da. Die Amapiano-Beats des Songs hallen noch eine Weile lang nach, bevor sie endgültig unter dem grauen Berliner Himmel verstummen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Ähnlicher Beitrag
Neues Thema
Hintergrund

Heimweh kann viele Formen haben

Heimat – das ist nicht nur ein Ort. Der Begriff ist verbunden mit Gefühlen. Mit Wohlbefinden, Zugehörigkeit und Vertrautheit. Wer sich danach sehnt, romantisiert nichts, sondern weiß um den Schmerz, wenn die Heimat nicht nur geografisch hinter einem liegt.
Von: Christa Roth / 3. Juli 2024
Meist kommentierter Artikel
Nach oben