Zwerg will wachsen
Litauen verzeichnet ein Wirtschaftswachstum, das es so fast nirgendwo in der Europäischen Union gibt. Der Beitritt zur Staatengemeinschaft vor zehn Jahren hat die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetrepublik beflügelt. Noch sind die beruflichen Chancen für junge Menschen im Ausland jedoch besser als in Litauen. Sicherheit, das ist ein Wort, das seit der europäischen Schulden- und Bankenkrise […]
Litauen verzeichnet ein Wirtschaftswachstum, das es so fast nirgendwo in der Europäischen Union gibt. Der Beitritt zur Staatengemeinschaft vor zehn Jahren hat die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetrepublik beflügelt. Noch sind die beruflichen Chancen für junge Menschen im Ausland jedoch besser als in Litauen.
Sicherheit, das ist ein Wort, das seit der europäischen Schulden- und Bankenkrise nur noch selten mit dem Euro in Verbindung gebracht wird. Wenn litauische Politiker über die Währung sprechen, nennen sie Sicherheit aber immer wieder: So verspricht der litauische Premier Algirdas Butkevičius wirtschaftliche, finanzielle und politische Sicherheit in Folge des Beitritts seines Landes zum Euro, der Anfang 2015 vollzogen werden soll.
Die Litauer glauben ihm: Rund 62 Prozent sehen laut einer Studie der Europäischen Kommission die zukünftige Entwicklung der EU optimistisch – und damit auch die ihres Landes. „Litauen hat wirtschaftlich stark vom Beitritt zur EU profitiert“, sagt Šarūnas Liekis, Politikprofessor an derMykolas-Romeris-Universität in der litauischen Hauptstadt Vilnius. „Deswegen ist der Großteil der Bevölkerung pro-europäisch eingestellt.“
Junge Menschen wandern aus
Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs verlassen viele junge Menschen Litauen und ziehen ins EU-Ausland. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Brain-Drain-Trend im Jahr 2010, als aufgrund der Wirtschaftskrise mehr als 83.000 Menschen das Land verließen. Vor allem nach Großbritannien und Irland zieht es die jungen Litauer. „Dort liegt das Lohnniveau sehr viel höher als hier und mit der gleichen Arbeit ist sehr viel mehr Geld zu verdienen“, sagt Kazimieras Kaminskas, Geschäftsführer des deutschen Unternehmens Klasmann-Deilmann in Litauen. Mit der Erholung der Konjunktur ist die Zahl der Auswanderer in letzer Zeit wieder gesunken, viele Emigranten sind nach Litauen zurückgekehrt. Doch noch immer verliert Litauen jedes Jahr rund 20.000 Einwohner durch Abwanderung – bei einer Gesamtbevölkerung von etwa drei Millionen Menschen.
Die Regierung in Vilnius versucht mit Förderprogrammen, ausgewanderte Litauer in ihr Heimatland zurückzulocken. So stehen beispielsweise 100 Millionen Euro an Risikokapital für junge Unternehmen bereit, die sich in Litauen gründen. Finanziert wird das Projekt von der EU.
EU-Mitgliedschaft lockt Investoren
Dass Gehalt und Lebensstandard in Litauen immer noch unter dem europäischen Durchschnitt liegen, hat auch mit der Geschichte des Landes zu tun. Mit dem Ende der Sowjetunion brach auch das Wirtschaftssystem Litauens zusammen. Nach der Wende hat sich der Staat kontinuierlich an der Politik und Wirtschaft Westeuropas orientiert – was schließlich in den Beitritt zur Europäischen Union mündete.
„Der Beitritt hat Litauen den Zugang zum europäischen Binnenraum erschlossen“, sagt Kazimieras Kaminskas. „Zudem hat er auch Investoren zu uns gelockt.“ Der Litauer Kaminskas hat Betriebswirtschaftslehre in Hamburg studiert und ging 2004 für den deutschen Substrathersteller Klasmann-Deilmann zurück in seine Heimat. „Die EU-Mitgliedschaft bedeutet für ausländische Unternehmen wie uns vor allem Stabilität und Investitionssicherheit“, sagt er. Durch EU-Förderprogramme in nahezu allen Wirtschaftsbereichen finden Investoren aus dem Ausland in Litauen gute Geschäftsbedingungen vor. Mittlerweile sind rund 1.200 deutsche Unternehmen in Litauen tätig. „Viel Geld ist in die Infrastruktur und in die Ausbildung von Arbeitskräften geflossen. Das hilft uns natürlich sehr“, sagt Kaminskas.
Der positive Wirtschaftstrend soll sich fortsetzen: Laut Prognosen der Europäischen Kommission wird Litauen 2014 das zweitstärkste Wachstum der EU vorweisen können. Damit kann die litauische Wirtschaftskraft als erste in den baltischen Ländern wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Ein Ende dieses Wachstums sei auch in den kommenden Jahren noch nicht abzusehen, sagt Jürgen Rothlauf, Professor für Interkulturelles Management an der FH Stralsund. „Das Land ist sehr zukunftsorientiert und wird auch weiterhin Wachstumsraten verzeichnen, die über dem EU-Durchschnitt liegen.“
Im Januar 2015 soll nun auch der Euro nach Litauen kommen – ein weiterer Schritt in Richtung europäischer Integration und gleichzeitig auch ein Schlusspunkt hinter die wirtschaftlichen Reformen der vergangenen Jahre. Nachdem das Land von der Wirtschaftskrise 2007 schwer getroffen worden war, hat es sich durch einen harten Sparkurs wieder erholt. Mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 0,6 Prozent und einem Staatsdefizit in Höhe von 20,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfüllt Litauen nun die Auflagen, um den Euro einzuführen. Die Reformen zur Überwindung der Krise waren zwar nicht populär, aber sie zeigen ihre Wirkung, meint Jürgen Rothlauf. „So wird Litauen in zehn Jahren das wirtschaftlich stärkste der baltischen Länder sein.“