Zwischen globalen Krisen und biographischen Tiefen
In Kunstausstellungen zerfasert der rote Faden zuweilen in grenzenlose Willkür. „what we dream of – what we pay for“ ist da anders. Diese Ausstellung behält die Künstler:innen hinter dem Werk im Blick – ihre Biografien und Erfahrungen als Teil dieser krisenhaften Welt.
Sektgläser klirren, Menschen drängen in die hell beleuchteten Räume des Künstlerhaus Bethanien und während der Eröffnungsreden sitzen Kinder mit Kopfhörern in einer Ecke und schauen sich einen Film an. Die Ausstellung markiert den Endpunkt des interdisziplinären Projekts „Wer zahlt die Zeche?“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Im Zentrum von „what we dream of – what we pay for“ stehen die Werke von acht Kunststipendiat:innen der FES. Sie drehen sich um zentrale Fragen und die großen Krisen des 21. Jahrhunderts: Klimakatastrophe, Krieg, soziale Ungleichheit, das Machtgefälle zwischen Globalem Norden und Globalem Süden.
Ambivalente Heimaten
In zwei Räumen nehmen großformatige fotografische Reihen die Wände in Beschlag. „Piedemonte“ von Gabriel Enrique Corredor Aristizábal erstreckt sich über mehrere Meter mit zahlreichen schwarz-weiß Fotografien. In düstere Motive ist der dichte kolumbianische Regenwald getaucht. Kleine farbige Familienportraits der ’90er kontrastieren die großen Bilder. Als Betrachter sieht man die Heimat des Künstlers und kann sich Gefühlen von Bedrohung und Geborgenheit kaum entziehen.
Die satte Natur wird im Nachbarraum durch rohe Industrie kontrastiert. „Shift – Apple – 4“ von Anastasiia Batishcheva zeigt Arbeiterinnen beim Kohleschaufeln im Donbass und dem anschließenden erfrischenden Bad im See zum Feierabend. In Batishchevas Arbeit drückt sich eine Reflexion der eigenen Lehrjahre in der Ukraine aus. Unter dem Einsatz künstlicher Intelligenz überlappen sich mehrere Bilder in einer digitalen Fotomontage. Die Arbeiten wirken wie bildhafte Satire auf den sowjetischen Realismus. Unverkennbar dabei: ein Funken Hommage an das Herkunftsland der Künstlerin.
Die Dritte im Bunde der Fotograf:innen, Magdalena Kallenberger, geht buchstäblich im Handstand die Wände hoch. Mit ihren dynamischen Perspektiven in „Going up the walls“ gibt sie der emotionalen Lebenswelt als alleinerziehende Künstlerin zwischen Existenzangst und künstlerischem Ausdruck eine Form. Als selbstbezogenes, zentrales Motiv bleibt die Künstlerin dabei bewusst gesichtslos und damit Projektionsfläche für alle, die sich fragen, ob man selbst oder die Welt um einen herum Kopf steht.
Aus der Zweidimensionalität der Fotografie geht es auf eine Stadtführung. Mit der Anwendung von Google Street View erschaffen João Pedro Prado und Jacky Lai die interaktive Installation „maps.gaps“, bei der sich die Besucher:innen an einem großen Bildschirm durch die Favelas São Paulos klicken. Prado reichert als biographischer Stadtführer die Tour mit Anekdoten und persönlichen Bezügen an und haucht dem so prekären wie obszönen Stadtbild jenseits der digitalen Ebene spürbar Leben ein.
Eine Dimension kleiner, von der Stadt zum Gebäude, überrascht eine architektonische Vision aus dem Iran von Amir Tabatabaeis. Mit den auf Leinwand projizierten Skizzen versucht „species sans properties“ vor dem Hintergrund weitverbreiteter Wohnungsnot neue Formen des Wohnens zu denken. Und zeichnet ein nüchternes Modell von existenzieller Tragweite inmitten politischer Aufbrüche.
Träume, Tarot und Teddybären
In einer dunklen Ecke, geradezu separiert vom Rest der Ausstellung, wartet ein kleiner Raum auf mit schwarzen Wänden. Versunken in großen Sitzsäcken formieren die Gäste hier einen Halbkreis, Blick zur Mitte. Der kleine Altar dort, auf dem Tarotkarten eine rot schillernde Figur mit heiligem Schein umringen, macht die okkulte Atmosphäre perfekt. Im Hintergrund zu sehen: dokumentarische Szenen über die dramatischen Bedingungen in der Textilindustrie Guatemalas. „The Thread“ zieht in den Bann. Insbesondere der finale fiktive Kurzfilm lässt Diego Antonio Oliva Tejedas magischen Realismus wortwörtlich in den Raum treten.
In ähnlicher Konstellation will ein zweiter Filmbeitrag irritieren. In flauschige, Teddybär-förmige Sitzkissen gebettet blickt man bei „From us only our Teddy Bears remain: RADIFE Aroosak!“ auf Szenen politischer Proteste aus der Mitte der Gesellschaft von Lützerath bis Syrien. Die Iranerin Shokoufeh Eftekhar konterkariert gekonnt harte Realitäten mit der kindlichen Unschuld des Kuscheltiers.
Ein letztes kleines Highlight der Ausstellung ist der Kurzfilm „Trees Dreaming“. Die lettische Filmemacherin Astra Zoldnere erschafft in ihrer Montage einen treibenden Rhythmus, von der Zerstörung der Umwelt zum Eigenleben der Natur. Fast schon psychedelisch anmutend verschwimmen Bilder der Baumkronen zu einem tatsächlichen Höhepunkt in einem grünen Mosaik.
Am Ende wird klar: Man braucht Zeit für einen Besuch der Ausstellung. Und das trotz ihrer überschaubaren Größe. Mit etwas Muße entlädt sich auch, was der Titel verspricht: ein Spannungsfeld zwischen katastrophalen Realitäten und utopischer Vorstellungskraft. Die Auseinandersetzungen mit Krisen verlieren sich dabei nicht in künstlerischer Abstraktion. Sie bleiben greifbar nicht zuletzt durch die intime Nähe des Werks zu den Künstler:innen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Juli 2023 im Künstlerhaus Bethanien Berlin zu sehen https://www.fes.de/themenportal-geschichte-kultur-medien-netz/kultur/ausstellung-what-we-dream-of