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ContraBesser unerkannt durch das Netz

Von Jacqueline Möller / 19. Dezember 2015
picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach

Die amerikanische Soziologin Sherry Turkle prophezeite vor zwanzig Jahren, ein „multiples und dezentriertes Selbst“ würde bald nicht mehr existieren. Heute haben viele Menschen unterschiedliche Identitäten online und offline. Und das ist gut so.

Durch die Verknüpfung von Online-Diensten untereinander, durch die zunehmende Pflicht, sich mit Klarnamen zu registrieren oder online eine Kreditkartennummer zu hinterlegen, scheint das Ende der anonymen Netzaktivität gekommen. Die Offenlegung unseres Ichs im Netz ist scheinbar eingeleitet.

Paragraph 13 des Telemediengesetzes (TMG), welches den Datenschutz im Internet regelt, gesteht den Nutzern eine anonyme Verwendung von Telemedien zu, „soweit dies technisch möglich und zumutbar ist“. Demnach gibt es das Recht auf Anonymität im Netz durchaus. Dies stellt besonders Urheberrechtsschützer vor gewaltige Herausforderungen. Soll ein Internetnutzer identifiziert werden, der sich via Online-Streaming einen urheberrechtlich geschützten Film angeschaut hat, ohne dafür zu bezahlen, müsste nicht nur die IP-Adresse erfasst, sondern das gesamte Nutzerverhalten des Users ausgewertet werden.

Totalüberwachung im Internet

Eine gläserne Internetnutzung jedoch bedeutet Totalüberwachung. Zu den ersten Konflikten, mit denen ein Jurastudent im Laufe seiner Ausbildung konfrontiert wird, gehört, dass alle Grundrechte, ausgenommen Artikel 1 GG, gegeneinander abzuwägen sind, und dass es keine Wahrheitsfindung um jeden Preis geben darf.

Letzteres ist ein Herzstück unserer Demokratie. Gingen wir nun dazu über, eine „Ausweispflicht“ für alle Internetnutzer einzuführen, unser reales Ich mit dem des Netzes in Übereinstimmung zu bringen, wäre das nicht nur ein Angriff auf noch geltendes deutsches Recht, sondern es wäre der erste Schritt zur Untergrabung unserer Staatsform sowie eine Fundgrube für kriminelle Machenschaften.

Wie weit diese Auswirkungen gehen können, zeigt der Präzedenzfall aus Südkorea von 2007. Die südkoreanische Kommunikationskommission forderte damals alle Webseiten mit mehr als 100.000 Besuchern dazu auf, ihre Nutzer in Zukunft anhand von Kreditkarten und Steuernummern zu registrieren. Das sollte beleidigenden Kommentatoren das Handwerk legen. Das Ergebnis: verheerend. Statt des erhofften deutlichen Rückgangs aggressiver Verhaltensweisen im Internet (tatsächlicher Rückgang nur um 0,9 Prozent) wurden 35 Millionen Nutzerdaten von Hackern gestohlen.1 Das Experiment musste daraufhin eingestellt werden.

Pseudonyme als Katalysatoren für politischen Diskurs

Gingen wir dazu über, unsere Netzidentität mit der unseres realen Lebens etwa durch die Verwendung von Klarnamen zu verbinden, würden wir politischen Diskussionen genau das nehmen, wovon sie leben, nämlich dem Wissen um freie Meinungsäußerung. Pseudonyme dienen in dieser Hinsicht als Katalysatoren im politischen Diskurs. Bekräftigt wird dies von der politischen Diskussionsplattform Disqus, die angibt, dass 61 Prozent2 der Kommentare in politischen Debatten auf Disqus von Nutzern mit Pseudonym gemacht werden. Diese Nutzer sind die treibende Kraft hinter dem politischen Dialog.

Eine vollständige Zentralisierung unseres Ichs, wie die Soziologin Sherry Turkle sie prophezeit hat, ist zumindest noch nicht vollständig abgeschlossen, denn nicht nur sieht das Gesetz eine anonyme Internetnutzung vor, es gibt nach wie vor viele Seiten im Internet, die eine Verwendung von Pseudonymen ermöglichen. Unterstützung erhalten sie dabei auch von Webseiten wie www.mynameiscampaign.org, die für genau dieses Recht plädieren. Selbstverständlich ist es heutzutage möglich, einen Nutzer durch seine IP-Adresse zu ermitteln, doch kann dies nicht willkürlich geschehen, sondern stets auf der Grundlage eines Gerichtsbeschlusses.

Wollen wir weiterhin unserer Demokratie die Treue halten, darf eine vollständige Offenlegung unseres Ichs im Netz nicht geschehen. Zumal die treibende Kraft, die sich hinter dergleichen Forderungen verbirgt, oft einem utopischen Ideal einer sogenannten Netiquette hinterherrennt, welche weder im wahren noch im virtuellen Leben umsetzbar ist. Das wiederum hat sich am Beispiel von Südkorea gezeigt: Es wird immer Menschen geben, die Anderen nicht wohlgesonnen sind. Die Verwendung von Klarnamen im Netz kann das nicht verhindern.

1 http://www.nytimes.com/2011/09/05/technology/naming-names-on-the-internet.html?_r=2&

2 http://mediacdn.disqus.com/1379024760/img/marketing/research/infographic_lg.jpg



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