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ProAbsolute Sicherheit gibt es nicht

Von Bettina Ehbauer / 1. April 2016
picture alliance / PantherMedia | Kiyoshi Takahase Segundo

Terror kann nicht durch strengere Sicherheitsmaßnahmen vermieden werden. Er wird sich immer neue Wege suchen. Wir werden uns mit einer geringeren Sicherheit zufriedengeben müssen.

Ich habe nach jedem Terroranschlag in Europa den Eindruck, dass sich dasselbe Szenario unweigerlich wiederholt: Die Toten sind noch nicht identifiziert, die Täter nicht gefunden, die Hintergründe des Attentats nicht aufgeklärt, da beeilen sich Politiker und besorgte Bürger schon, die Werte der Freiheit zu betonen, dem islamistischen Terrorismus den Kampf anzusagen und den Sieg des Westens zu prognostizieren.

Das ist so, als würde eine Schneekanone angeworfen, nur dass diese statt weißer Flocken abstrakte Phrasen und wenig greifbare Beschwörungen ausspuckt. „Die Täter sind Feinde aller Werte, zu denen wir uns bekennen. Unsere freien Gesellschaften werden sich stärker erweisen als der Terrorismus“, sagte Angela Merkel kurz nach den Brüsseler Attentaten vom 22. März. „Der Terror wird nicht siegen“, war sich der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier im November nach den Anschlägen in Paris sicher.

Meist werden diese Aussagen noch ergänzt durch die Forderung nach strengeren Sicherheitsvorkehrungen, die mit jedem neuen Anschlag an Unterstützung gewinnt. 77 Prozent der Deutschen sind laut ARD-Deutschlandtrend der Meinung, dass die Sicherheitsmaßnahmen an deutschen Flughäfen und Bahnhöfen dauerhaft verstärkt werden müssen. SPD-Chef Gabriel mahnte nach Brüssel: „Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der auch in der Lage ist, die Menschen zu schützen.“

Wer Menschen töten will, dem wird dies gelingen

Doch die teils allzu eilig abgegebenen Statements erzählen nicht die ganze Wahrheit. Zu jener gehört nämlich auch das, was der Journalist und Satiriker Jan Böhmermann nach den Brüsseler Anschlägen offen aussprach: „Wer Menschen mit Bomben töten will, dem wird das immer gelingen.“

Daran, dass die selbsterklärten Gotteskrieger des IS und anderer terroristischer Organisationen auch weiterhin töten wollen und töten werden, kann kein Zweifel bestehen. Natürlich ist es möglich, die Sicherheit an bisherigen Anschlagsorten wie Flughäfen durch mehr Kontrollen und Überwachung zu erhöhen. Dieses Konzept übersieht aber einen entscheidenden Punkt: Absolute Sicherheit gibt es nicht.

Diejenigen, die glauben, die Terrorgefahr durch eine Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen eindämmen zu können, unterschätzen den Fanatismus und die kriminelle Energie der Terroristen. Wenn Terroristen nicht mehr mit Bomben töten können, werden sie es mit Maschinengewehren, Messern oder Handgranaten tun. Wenn sie nicht mehr an Flughäfen oder Bahnhöfen angreifen können, dann eben im Einkaufszentrum, im Kinosaal oder in der Kneipe um die Ecke. Die tödliche Geiselnahme in einem Supermarkt nach dem Charlie-Hebdo-Attentat oder die Schießereien in Pariser Bars und Restaurants im November vergangenen Jahres haben das erschreckend deutlich gemacht.

Es empfiehlt sich ein Blick nach Israel, das seit Jahrzehnten mit der Gefahr terroristischer Anschläge lebt. Die Flughäfen dort gehören dank Zugangskontrollen und intensiven Befragungen der Passagiere zu den sichersten der Welt. Schon Kilometer vor dem Ben-Gurion-Flughafen von Tel Aviv werden Personen, die dort hin wollen, überprüft.

Andererseits sind in den vergangenen Monaten Dutzende Menschen Messerangriffen radikaler palästinensischer Attentäter zum Opfer gefallen: auf offener Straße, in den Innenstädten und an den Stränden des Landes. Die Atmosphäre ist angespannt, Militär und Sicherheitsbehörden fällt es schwer, mit der neuartigen Bedrohung umzugehen. Das Frühstücksfernsehen zeigt, wie Passanten sich gegen plötzliche Messerangriffe mit den bloßen Händen wehren können.

Terror in neuen Gewändern

Das brutale Repertoire von Terroristen beschränkt sich nicht auf das Zünden von Sprengstoffgürteln auf Großveranstaltungen und aufwendig geplante Bombenanschläge auf wichtige Infrastruktureinrichtungen. Es geraten zunehmend „weiche“ Ziele in den Fokus, etwa Einkaufszentren, Bibliotheken oder Universitäten. Deren vollständiger Schutz ist schon aus personellen und finanziellen Gründen nicht möglich. Zudem zeigt das Beispiel Israel, wo Taschendurchsuchungen und Metalldetektoren vor dem Einlass in solche Gebäude zur Normalität gehören, eben auch: Terroristen finden immer neue Ziele und Mittel. Der Terror kleidet sich in neue Gewänder und schleicht sich so in immer mehr Lebensbereiche ein. Wir können immer mehr Freiheiten aufgeben, aber die dadurch hinzugewonnene Sicherheit ist minimal angesichts der Verlagerung von terroristischen Angriffen auf immer diffusere Ziele.

Zwar mögen strengere Sicherheitsvorkehrungen ihren Teil dazu beitragen, dass große Anschläge vermieden werden. Aber kleinere terroristische Überfälle sind auf eine andere Art besonders perfide: Sie verbreiten mehr Schrecken. Es ist eine Art von Unbehagen, das langsam die Kehle hochkriecht und dafür sorgt, dass wir uns nirgendwo mehr sicher fühlen. Sie sind völlig unvorhersehbar, können jeden jederzeit treffen, beschränken sich nicht auf stark frequentierte Orte und Metropolen, die man vermeiden könnte. Dadurch greifen sie letztlich viel stärker in unser subjektives Sicherheitsgefühl ein, schüren Ängste vor alltäglichen Aktivitäten wie dem Einkaufsbummel oder dem Theaterbesuch, und führen schlimmstenfalls dazu, dass wir unser Leben mit den bisher als selbstverständlich erachteten Freiheiten immer mehr einschränken.

Dieser Teufelskreis aus Anschlägen, Angst und daraus resultierenden Änderungen von Lebensgewohnheiten, die den Islamisten verhasst sind, ist die größte Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht. Weil dieser Teufelskreis uns lähmt, die Atmosphäre in unserer Gesellschaft nachhaltig verändert und damit den Terroristen in die Hände spielt. Auf dieses Spiel dürfen wir uns nicht einlassen.

 

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Debatte | Sicherheitspolitik im Schatten des Terrors?

Contra | Nicht weniger Sicherheit, sondern neue Methoden



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