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„Das Wort Inklusion wird noch zu oft missbraucht“

Von Daniel Lehmann / 17. März 2016
Foto: Mosaik

Peter Estenfelder ist Technischer Leiter bei den Mainfränkischen Werkstätten, einer Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung hilft, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Außerdem ist er „Mädchen für alles“ in der Inklusionsband Mosaik. Ein Gespräch über Toleranz, überraschenden Zuspruch und fehlenden Mut.

sagwas: Herr Estenfelder, wie ist die Inklusionsband Mosaik entstanden?

Peter Estenfelder: Bei den Werkstätten suchen wir immer wieder Möglichkeiten, wie sich unsere 1.300 geistig und mehrfach behinderten Mitarbeiter verwirklichen und Selbstvertrauen tanken können. So haben wir beispielsweise ein eigenes Theater, in dem behinderte Darsteller auftreten. Im Herbst 2010 kam die Idee auf, in Anlehnung an die Casting-Show Deutschland sucht den Superstar (DSDS) unseren eigenen Wettbewerb zu starten – die Mainfränkischen Werkstätten suchen den Superstar (MFWSDS).

Wie haben Ihre Kollegen darauf reagiert?

Die interne Resonanz war enorm. Für uns war die Überraschung darüber groß, welche Talente in unseren Mitarbeitern schlummerten. Für alle Beteiligten war schon während des Finales klar, dass das Projekt damit nicht vorbei sein konnte. Viele Teilnehmer wollten weitermachen. Die Rockmusikerin Steffi List, die auch Teil der Jury war, brachte uns schließlich vollends auf den richtigen Weg und wir gründeten Mosaik. Aktuell besteht die Band aus zehn Mitgliedern mit und ohne körperliche oder geistige Behinderung. Musikalisch wird mit eigenen Stücken und Cover-Versionen bekannter Songs aus Pop, Schlagermusik und Rock’n’Roll ein breites Spektrum bedient.

Wie gelang der Start als Band?

Unseren ersten öffentlichen Auftritt als Mosaik hatten wir auf Einladung von Steffi List im November 2011 bei der Varieté-Show Nacht der Toleranz . Als Christian Schmitt mit seinem Rollstuhl auf die Bühne kam, um seinen Siegersong aus MFWSDS zu präsentieren, herrschte plötzlich Totenstille. Aber nach wenigen Tönen hatten wir die Zuschauer auf unserer Seite, die Reaktionen waren voller Wärme. Ein unvergesslicher Moment.

Wie oft können wir Mosaik auf der Bühne sehen?

Wir spielen regelmäßig vor Publikum. In den vergangenen drei Jahren haben wir jeweils 25 bis 30 Konzerte gegeben. Für 2016 ist ebenfalls viel geplant. Für gewöhnlich treten wir bei Veranstaltungen mit sozialem Charakter auf, so etwa die Benefizgala RollOn in Innsbruck oder Respect Yourself in Villingen-Schwenningen. Für unsere Musiker ist das großartig. Sie freuen sich wie Kinder auf jeden Auftritt. Dabei ist ihnen egal, ob sie vor zehn, 50 oder 500 Leuten spielen. Es macht ihnen einfach Freude.

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In Aktion: Mitglieder der Band Mosaik. (Foto: Mosaik)

Christian Schmitt und Frederick „Freddy“ Calloway sind 2015 sogar bei der RTL-Fernsehshow Das Supertalent aufgetreten.

Eine tolle Geschichte. Die beiden kamen bis ins Halbfinale und erfuhren unter anderem für ihre Version von Peter Maffays „Ich möchte nie erwachsen sein“ massenhaft Zuspruch. Schade, dass nicht mehr daraus wurde. In der Rückmeldung des Fernsehsenders hieß es nur, dass es nicht für das Finale reichen würde. Schwer zu sagen, ob das wirklich der Grund war. Ich glaube eher: Entweder war man dann doch zu kommerziell eingestellt oder man hatte Angst, den Weg bis zum Ende zu gehen. Denn bis dahin wurden wir positiv überrascht.

Wie meinen Sie das, positiv überrascht?

Wenn ich mir anschaue, wie andere Formate bei RTL aufgezogen werden, bin ich erstaunt, welche Sensibilität der Sender bei uns an den Tag gelegt hat. Für die Vorstellungsclips wurden keine gestellten Szenen produziert, es gab keine Anweisungen. Das Kamerateam verbrachte einfach den Tag mit Freddy und Christian. Hinterher wurden wir gefragt, ob Formulierungen wie „mehrfach behindert“ im Beitrag geäußert werden dürfen.

Was zeichnet die Band Mosaik aus?

Natürlich gibt es bessere Künstler als uns. Doch gute Musik definiert sich nicht nur über die Fähigkeiten der Interpreten, sondern auch über deren Ausstrahlung und Authentizität. Mosaik hat wahnsinnig viel zu bieten. Vor allem haben wir eine Botschaft. Uns geht es darum, zu zeigen, dass Behinderte in die Gesellschaft gehören – auch auf Bühnen.

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In diesem Motto findet sich jeder wieder. (Credit: Mosaik)

Deshalb wollte Christian Schmitt auch 2014 am Eurovision Song Contest teilnehmen.

Das hat leider nicht geklappt. Ich bin mir aber sicher: Wir wären nicht wie Ann Sophie mit null Punkten auf dem letzten Platz gelandet, sondern im Mittelfeld. Österreich hat mit Conchita Wurst bewiesen, dass sich Mut lohnen kann. Inzwischen gab es ja auch eine Inklusionsband beim ESC: Finnland schickte die aus drei Männern mit Down-Syndrom und einem Autisten bestehende Punkband Pertti Kurikan Nimipäivät im vergangenen Jahr nach Wien.

Wie ist es um die Inklusion in Deutschland aktuell bestellt?

Das Wort Inklusion wird mittlerweile oft missbraucht, um an Fördermittel zu gelangen. Der Alltag sieht dann aber so aus, dass Rollstuhlfahrer häufig einfachste Erledigungen nicht alleine bewältigen können, weil es keinen barrierefreien Zugang gibt. Doch genau da fängt Inklusion an.

Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir schon recht weit, nichtsdestotrotz ist es noch ein langer Weg. Körperliche Behinderungen werden schon eher akzeptiert. Aber schwere geistige Behinderungen gehören ebenso dazu, auch die müssen toleriert werden. In meiner Idealvorstellung ist es für andere Menschen eines Tages ganz normal, an einer Ampel mit einem Rollstuhlfahrer zu warten. Oder einen geistig Behinderten im Fernsehen zu sehen, der sich vielleicht nicht gut ausdrücken kann, aber dafür singt wie ein Weltmeister.

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