Über Stimmungen und Zustände
„Postfaktisch“ wurde gerade zum internationalen Wort des Jahres von den Oxford Dictionaries gekürt. Es passt in den Spirit einer Zeit, in der Stimmungen zunehmend Fakten schaffen und die Demokratie immer wieder auf ihre Standfestigkeit testen.
Es dauerte nicht lange und auf dem Podium herrschte Einigkeit: Fremdenfeindlichkeit und die Affinität zu rechtslastigem Gedankengut seien keine neuen Phänomene in unserer Gesellschaft, so die Gäste der FES-Diskussionsveranstaltung, die Thomas Meyer moderierte, zum Thema „Die Macht der Stimmungen“.
Für die Renaissance bestimmter Stimmungen sei die zunehmend sensationalistische Berichterstattung vieler Medien mitverantwortlich, wie der Grafiker und Verleger Klaus Staeck zu bedenken gab. „Sie haben ihr Gefahrenbewusstsein für die Demokratie verloren“, kritisierte er und warnte: Durch den Versuch, Populisten vor laufender Kamera als solche zu entlarven, laufe man vielmehr Gefahr, diesen nur eine zusätzliche Plattform zur Verbreitung ihrer Thesen zu bieten. „Weshalb muss ich wissen, was thüringische Landespolitiker der AfD für Hetze verbreiten?“
Ulrich Schnabel, Redakteur im Ressort Wissen der ZEIT, sprach die prekäre wirtschaftliche Situation der Medien an. Es stelle sich die „Frage: Wie bekommt man die maximale Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit? Und man weiß: Über Emotion funktioniert das besonders stark“. Deswegen, so Schnabel, setzten viele Medien auf Thesen, die erst einmal schockieren.
Wie schwer es sein kann, mit stimmungsgeladenen Menschen konstruktiv zu diskutieren, musste die Regisseurin Mo Asumang während der Dreharbeiten zu ihrem Dokumentarfilm „Die Arier“ feststellen. „Ich wurde oft weggeschubst, man hat mir einen Cent vor die Füße geschmissen, oder hat gesagt: Guten Heimflug! Aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen und versucht, meine Menschlichkeit zu behalten.“
Dass Fakten gegen Stimmungen teilweise nichts ausrichten könnten, erklärte Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, wo sie zu Ungleichwertigkeit und Rechtsextremismus forscht, mit der mangelhaften Begründung vieler Stimmungen. Frage man Menschen nach ihrer Befindlichkeit, sei die Antwort oft „ganz gut“. Präszisiere man die Frage in einem Vergleich mit einer anderen Gruppe – wie gut geht es den Deutschen im Vergleich zu den Eingewanderten – antwortete die Mehrheit derselben Befragten, die Deutschen seien schlechter gestellt. Küppers Fazit: „Diese Menschen neigen eher zu Rechtsextremismus und zu Populismus.“
„Es läuft über das Herz“
Doch was können wir im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 tun, um ein Erstarken der Populisten zu verhindern, lautete die andere viel diskutierte Frage an diesem Abend.
Mo Asumang empfahl trotz ihrer schlechten Erfahrungen, weiterhin den direkten Kontakt zu Andersdenkenden zu suchen. „Wenn man ins Gespräch kommt, ist man oftmals nicht mehr das Feindbild [der anderen Seite].“ Wann immer Asumang direkt mit den Leuten rede, bestehe für diese die Gefahr, ihre eigene Ideologie ein kleines Bisschen aufbrechen zu müssen. Gefährlich halte sie auch, Leute mit einer anderen Meinung sofort in die rechte Ecke zu schieben. Dafür seien es inzwischen zuviele, als dass man sie einfach ignorieren könnte.
Klaus Staeck forderte, politischer zu werden, negativen Stimmungen positive Emotionen entgegenzusetzen. Aber zugleich gab er zu bedenken: „Man darf nicht mit dem Anspruch daran gehen, die großen Massen bewegen zu wollen. Die Veränderung geschieht im Kleinen. Graswurzelrevolution ist das Stichwort“. Diese könnten Künstler ganz gut bedienen. „Durch Satire hat man immer eine größere Chance, auch Andersdenkende zu erreichen, weil sie in der Regel furchtbar aufregend ist. Meistens konnten die Leute so zum Nachdenken gebracht werden. Es läuft über das Herz.“
Gegen die eigenen Interessen
Kurt Beck, Vorsitzender der FES und ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, äußerte sein Unverständnis darüber, dass vormalige SPD-Wähler ihr Kreuzchen plötzlich bei der AfD setzen. Er habe im Parteiprogramm der AfD kein einziges Mal den Begriff „Wohlfahrtsstaat“ entdeckt und schlussfolgerte daraus, dass viele Menschen eine Partei wählen, die ihren eigenen Interessen widerspricht. Die zunehmende Skepsis großer Teile der Bevölkerung gegenüber der Globalisierung verstehe er. „Wir müssen in einer immer komplexer werdenden Welt die Kraft sein, die aus der Sicht der arbeitenden Menschen und ihrer Familien Politik gestalten will und nicht zuerst fragt: Wie sind Gewinne zu maximieren?“
Gegen die „Macht der Stimmungen“, das wurde an diesem Abend in Berlin, deutlich, ließ sich kein Patentrezept finden. Vielleicht, weil es keines gibt. Doch gerade in Zeiten, in denen kleine Gruppen wieder beanspruchen, „das Volk“ zu sein, scheint es wichtiger denn je, dass die überwiegend stille Mehrheit nicht länger schweigt. Schweigen könnte als stille Zustimmung gewertet werden – und niemand möchte in der Wahlnacht 2017 aufwachen und sagen: Hätten wir mal vorher…