„Man darf die Dinge nicht einfach laufen lassen“
Unendliches Wirtschaftswachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen kann nicht funktionieren. Prof. Dr. Hermann Ott, Klimaforscher und ehemaliger Bundestagsabgeordneter für die Grünen, der eine Arbeitsgruppe zur Entkopplung von Wirtschaften und Ressourcen in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ leitete, will unser Wirtschaftssystem in den Grenzen des Planeten halten. Ein Interview
Sagwas: Eine solide Wirtschaft ist ganz klar Staatsziel. Was haben Sie gegen Wirtschaftswachstum einzuwenden?
Hermann Ott: Wirtschaftswachstum im Sinne eines steigenden Bruttoinlandsprodukts darf kein Selbstzweck sein – das ist es aber für viele Politiker und andere Akteure. Mit einem steigenden BIP werden eine ganze Menge Probleme scheinbar aus dem Weg geräumt. Erstens muss man die Gerechtigkeitsfrage nicht mehr stellen, denn wenn alle mehr haben, dann kriegen die einen etwas ‚mehr’ mehr und andere etwas weniger mehr, aber alle bekommen mehr und können sich freuen. Zweitens hängt die Zukunft der sozialen Sicherung in hohem Maße am Wachstum des BIP, weshalb es immer weiter angekurbelt wird. Aber zum Einen stimmt die Rechnung nicht mehr, denn das ‚mehr’ an materiellem Wohlstand kommt ‚unten’ nicht mehr an. Und zum Anderen führt auch mehr materieller Wohlstand nicht unbedingt dazu, dass es uns besser geht. Wir erkaufen uns dieses Mehr durch ein Weniger an ideellem Wohlstand – an Zeit, an Freundschaften oder an Natur.
Sie sind Klimaforscher. Wodurch kamen Sie vom Umweltschutz zur Wachstumskritik?
Das Wachstum des BIP ist an einen wachsenden Ressourcenverbrauch gekoppelt. Dabei stößt die Abfallerzeugung – und CO2 ist auch Abfall – an natürliche Grenzen, die sogenannten planetaren Grenzen. Die globalen Ökosysteme kippen zu einem bestimmten Zeitpunkt und werden das Leben auf dieser Erde für Menschen sehr schwierig machen. Die Klimapolitik ist aber als Politikfeld zu klein, um das Klimaproblem zu lösen. Im Grunde ist es die Art und Weise unseres Wirtschaftens, die darüber entscheidet, ob wir die Klimaziele erreichen oder nicht. Es ist fraglich, ob wir die nötigen Emissionsreduktionen erreichen, wenn das globale Bruttosozialprodukt gleichzeitig um zwei bis drei Prozent pro Jahr wächst – was ja eine Verdoppelung in 30 Jahren bedeutet!
Sie waren Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestags. Was haben Sie aus zweieinhalb Jahre überparteilicher Beschäftigung mit dem Thema Wachstum mitgenommen?
Wir sind zu dem sehr wichtigen Konsens gekommen, dass die Grenzen unseres Planeten eingehalten werden müssen. Uns war aber auch klar, dass diese vielfach schon verletzt sind, so wie in den Bereichen Klima, Biodiversität und Stickstoff. Deshalb muss der globale Ressourcenverbrauch in vielen Bereichen absolut reduziert werden. Technologische Innovationen allein reichen dafür nicht aus. Wir brauchen gesellschaftliche, soziale und kulturelle Innovationen. Soweit der Konsens – ganz schön weit finde ich!
Das klingt nach einem schönen Konsens. Aber nichts davon ist politisch bindend, oder?
Die direkten politischen Konsequenzen sind gering. Eines der Minimalergebnisse der Kommission, das auch im Koalitionsvertrag steht, war, dass ein Berichtssystem entwickelt wird, welches Wohlstand neu definiert; nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und ökologisch. Aber die Entwicklung eines solchen Berichtssystems wurde immer weiter hinausgezögert. Es stand zwar im Koalitionsvertrag, es gab auch Vorbereitungen – aber dann hat sich die Bundesregierung doch nicht getraut. Lediglich ein weiterer Bericht zur Lebensqualität in Deutschland durch das Bundeskanzleramt ist herausgekommen.
Haben Sie deshalb das Gegenstück zur offiziellen Kommission – die „Zivile Enquete Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ – gegründet?
Wenn die Politik es nicht macht, muss man es halt selbst machen. Also habe ich 2014 auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig eine Zivile Enquete ins Leben gerufen, die zwar nicht den gleichen Auftrag hat wie die offizielle Enquete-Kommission des Bundestags, die aber ein Ort sein soll, an dem der Streit um unsere Vorstellung von Wohlstand ausgetragen werden kann. Sie soll eine Plattform sein, wo Leute zusammenkommen, die sich sonst nicht treffen würden. In der Zivilen Enquete sitzen Vertreter aus Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft und Medien, leider noch zu wenige aus der Wirtschaft. Wir veranstalten Konferenzen, z.B. am 12. Juli zu „Postwachstum in Zeiten des Rechtspopulismus“ und werden im Juli Vorschläge für eine Wirtschaft ohne Wachstum herausgeben.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen einen grundlegenden Wandel unserer Einstellungen und Wertvorstellungen. Solange wir unseren Erfolg an der Menge von Dingen messen, die wir anhäufen, wird sich nichts ändern. So kommen wir sehr schnell zum Kollaps. Und wir brauchen einen Wandel auf der systemischen Ebene – unsere Infrastruktur muss sich so verändern, dass sich der Einzelne nachhaltig verhalten kann.
Wenn Sie zu diesem Zweck ein Gesetz schaffen oder verändern könnten: Was würden Sie tun?
Ich würde eine Gewährleistungspflicht von sieben Jahren für Produkte einführen. Das hieße, wenn ein Produkt innerhalb von sieben Jahren von selbst kaputtgeht, muss es umsonst repariert oder erstattet werden. Das wäre eine extrem wirksame Stellschraube, weil man dadurch den gesamten Produktkreislauf auf einmal verändern würde. Der Ressourcenverbrauch würde drastisch reduziert. Es würden ganz neue Handwerkszweige entstehen, die sich aufs Reparieren spezialisieren. Im ganzen Land würden zigtausende neuer Repair-Cafés aus dem Boden sprießen.
Würden die kaputten Produkte nicht viel eher nach China geschickt werden, um dort repariert zu werden?
Das glaube ich nicht, denn die Transportkosten wären wahrscheinlich zu hoch. Aber Ihre Nachfrage ist ein guter Hinweis darauf, dass es nicht die eine ‚goldene’ Maßnahme gibt. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, die sich gegenseitig ergänzen. Mit der Gewährleistungspflicht müsste auch eine Verteuerung des Transports einhergehen.
Glauben Sie, dass es gelingen wird, die globale Wirtschaft so umzugestalten, dass wir den Planeten nicht zerstören?
An manchen Tagen bin ich sehr optimistisch gestimmt. Aber es gibt auch solche, an denen ich starke Zweifel habe. Was auch immer man glaubt, man muss sehr stark aktiv bleiben und darf die Dinge nicht einfach laufen lassen. Die Friedensbewegung hat auch nach 150 Jahren noch keinen Erfolg gehabt und trotzdem müssen wir immer weiter für Frieden und Menschenrechte kämpfen. Eine derzeit geringe Erfolgsaussicht darf kein Grund sein, aufzuhören.