Wie geht… politische Teilhabe?
Trotz einer ungewissen Zukunft: zuversichtlich. So gaben sich junge Leute aus dem Nahen Osten und Nordafrika vor zwei Jahren, dokumentiert eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Während der Gerechtigkeitswoche2018 sprechen Autorinnen und Befragte noch einmal über die Perspektivlosigkeit in einer Region, die im Aufbruch begriffen ist.
Am Ende konnte es gar nicht genug geben. Weder Zeit, um zu der laufenden Diskussion im Konferenzsaal der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) etwas beizutragen. Noch Köstlichkeiten aus der arabisch-afrikanischen Küche, die den Besuchern der Fishbowl-Diskussion Naher Osten und Nordafrika – Jugend und Politik nach der „Facebook-Revolution“ bereitet worden waren.
Allerdings hatte die Abendveranstaltung der Gerechtigkeitswoche2018 mit einigen Startschwierigkeiten zu kämpfen. So kam die offene Debatte über Ergebnisse der Studie „Zwischen Ungewissheit und Zuversicht – Jugend im Nahen Osten und in Nordafrika“ nur langsam in Fahrt.
Dabei waren nicht wenige derjenigen im Publikum zu finden, die auch den Fokus der Jugendstudie ausmachen: Menschen aus der MENA-Region, deren überdurchschnittlich junge Bevölkerung (fast ein Drittel sind zwischen 15 und 29 Jahre alt) nur wenig Anteil an politischen Entscheidungen hat und wirtschaftlich abgehängt ist.
Perspektivlosigkeit auf der einen und Hoffnung auf der anderen Seite sind für diese Generation Antrieb genug, den weiten Weg nach Europa anzutreten. Doch bereits während des „Arabischen Frühlings“ gewann die eingeschränkte Teilhabe von Millionen von Jugendlichen internationale Aufmerksamkeit. Und auch ihr Umgang mit sozialen Medien.
Die Euphorie ist verflogen
Was also hat sich seitdem getan? Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind dabei ebenso tagespolitisch relevant wie ernüchternd. So berichten Dr. Sonja Hegasy und Prof. Dr. Carola Richter – beide Teil des Autorenteams –, dass jenseits Bahrain, Marokko und Ägypten die Jugend überall sonst mehrheitlich findet, die Geschehnisse seit 2011 hätten ihre persönliche Situation deutlich verschlechtert.
Vom anfänglichen Optimismus der Revolutionswelle ist keine Spur mehr. Stimmen aus dem Publikum bestätigen diese Ansicht. Laut Blogger Mohamed sei die Lage in Libyen von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung geprägt. In Jordanien und Syrien sehe es ähnlich aus, so Salma, die in Berlin Medizin studiert.
Überraschenderweise gaben die meisten für die Studie befragten Teilnehmer an, mit der wirtschaftlichen Situation ihrer Familie zufrieden zu sein. Anders war dies nur in den Bürgerkriegsländern Jemen und Syrien. Auch bezüglich der Zukunft der Gesellschaft zeigten sich die Jugendlichen 2016 (im Jahr der Befragung) optimistisc Dies sollte jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, es sei alles in Ordnung.
Sonja Hegasy warnt, dass Effekte der sozialen Erwünschtheit das Bild verzerren – ein bekanntes Problem nicht nur sozialwissenschaftlicher Forschung, sondern insbesondere von „westlichen“ Forschern in der Region. Zudem seien vor allem länderübergreifende Geldtransfers innerhalb von Familien für viele Befragte eine wichtige Geldquelle, nicht eigene Arbeit. Von einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit könne keine Rede sein.
Aus dem Publikum bekräftigen mehrere Diskussionsteilnehmer die Studien-Erkenntnis, dass viele ihrer Bekannten in den MENA-Ländern erwägten, auszuwandern. Auch zehn Prozent der vor zwei Jahren befragten Jugendlichen gaben an, die Einwanderung nach Europa zu planen und weitere fünfzehn Prozent hatten zumindest schon einmal darüber nachgedacht.
Aber ist dieser Anteil hoch oder niedrig? Zu hoc sind sich an diesem Mittwochabend alle einig, aber dennoch niedriger als erwartet. Einige Diskutanten vermuten aber, die Lage habe sich in den letzten zwei Jahren noch einmal deutlich verschärft.
Vertrauensverlust in die sozialen Medien
Galten Facebook und Co. vor fast zehn Jahren noch als Orte des freien Meinungsaustauschs und der demokratischen Mobilisierung, so sei die „Tahrir-Blase“ nun geplatzt, fasst es Carola Richter mit Blick auf den Ausgangspunkt der sozialen Umbrüche in Ägypten zusammen.
Die Umfrage zeigt, dass die sozialen Medien heutzutage als Instrument zur Meinungsmache wahrgenommen werden – überschwemmt von Fake News sowie polarisierenden Posts und unterwandert durch repressive Regime. Die Befragten verwendeten soziale Medien fast ausschließlich für persönliche Zwecke und vermieden politische Äußerungen. Viele hätten angesichts der allgegenwärtigen Repression Angst, sich politisch verfolgbar zu machen. Nicht ohne Grund: Denn das Internet vergisst nicht.
Unzufriedenheit mit Parlamenten, die als „Quatschbuden“ gelten, und Oberhäuptern, die ihr Volk nicht repräsentieren
Die Aussage vieler Befragten, sie interessierten sich nicht für Politik, dürfe nicht falsch verstanden werden, warnt indes Hegasy. Unter „Politik“ werde der politische Apparat verstanden, also die als „Quatschbuden“ empfundenen Parlamente genauso wie nicht repräsentative Staatsoberhäupter. Auf die Frage, welche Themen sie beschäftigten, nannten die Jugendlichen geradezu hochpolitische Inhalte wie den Kampf gegen Korruption, dysfunktionale Bildungs- und Gesundheitssysteme.
Ein harter Kern bleibt aktiv
Wie die immer reger werdende Debatte zwischen Podium und Publikum, so verweist auch die FES-Studie neben besorgniserregenden Ergebnissen auch auf positive Inhalte. Gesellschaftlich aktive Bevölkerungsgruppen unter jungen Leuten gibt es noch immer – dank verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp.
Auf ihnen lastet die Hoffnung der Berliner Diskussionsteilnehmer; hier können die sozialen Medien ihr emanzipatives Versprechen noch erfüllen. Einer, der daran glaubt, ist Zahad. Er gibt sich überzeugt, dass Tunesien in fünf Jahren besser dastehen werde als heute. Und er sieht es als seine Mission, der Desillusionierung entgegenzuwirken: „Jetzt ist an uns, den Traum wieder aufleben zu lassen“, sagt er.
Ein Wunsch, den Carola Richter nicht unkommentiert lassen will. Die weiterhin politisch Aktiven der Befragten, gibt sie zu bedenken, könnten nicht für die Gesamtheit der betrachteten Gesellschaften stehen. Was aber auch nicht verwundern wird. Letztendlich stehen junge Menschen in der MENA-Region vor der Frage, zu welchen Kosten man sich überhaupt noch politisch engagieren kann.