X Icon Facebook Icon

ProDie Spitze des Bilder-Bergs

Von Marlene Thiele / 28. Februar 2019
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Es ist lächerlich, wegen eines einzigen Memes plötzlich in Panik zu geraten. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir alle haufenweise Daten von uns preisgeben. Jeden Tag.

Frühere Social-Media-Challenges haben ihren Teilnehmern einiges abverlangt: Die Aufgabe war, sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf zu kippen oder ein Bier auf ex zu trinken. Daran gemessen ist der neueste virale Trend denkbar einfach: Vergleiche ein aktuelles Bild von dir mit einem von vor zehn Jahren, garniere das Ganze mit dem Hashtag #10YearChallenge und poste dein Werk auf Facebook, Instagram oder Twitter!

Während sich zahlreiche Stars und Selbstdarsteller über eine weitere Gelegenheit freuen, ihre beste Seite zu zeigen, sind andere in Aufruhr. Über den Zweck der Datensammlung machte sich etwa die amerikanische Journalistin Kate O’Neill auf Twitter Gedanken und trat damit eine Lawine der Besorgnis los. Könnten die Bilder womöglich zu etwas anderem genutzt werden, als sich gut darzustellen und die eigene Filterblase zu amüsieren?!

Die 10-Year-Challenge könnte uns anregen, über unseren Umgang mit Daten nachzudenken

Dabei sollte schon lange klar sein: Wo immer ein Dienst kostenlos ist, zahlt der Nutzer mit seinen Daten. Macht das eine Bild mehr oder weniger wirklich einen Unterschied? Die meisten Nutzer haben die „Datenkraken“ jahrelang freiwillig mit reichlich Bildmaterial gefüttert. Die peinlichen Fotos aus dem Mallorca-Urlaub sind längst gelöscht? Wer weiß das schon wirklich. Abgesehen von den eigenen (scheinbar beseitigten) Spuren gibt es immer noch die der anderen. Seit letztem Jahr bietet Facebook in Deutschland die Funktion der Gesichtserkennung an. Anhand bereits vorhandener Bilder wird ein sogenanntes Template erstellt – eine Art Identifikationsmarke, die den Nutzer automatisch auf neu hochgeladenen Bildern markiert. Der Vorteil: Der Nutzer wird informiert, wenn Bilder ohne sein Wissen ins Internet gelangen. Der Nachteil: Einmal mehr ist unklar, was genau mit den Daten passiert. Facebook hat bei der Einführung jeden Nutzer entscheiden lassen, ob die Funktion für sein Profil aktiviert werden soll. Wer sich in der Eile falsch entschieden hat, kann den Service zu jeder Zeit selbst abschalten, woraufhin, so beteuert Facebook, alle Daten vernichtet werden.

Bevor man sich nun wenig verhängnisvolle Memes zum Feinbild erklärt, lohnt sich eher ein Blick in die eigenen Privatsphäreeinstellungen der sozialen Netzwerke – manch einer ahnt gar nicht, wie freizügig er sich dort gibt. Und nicht nur dort! Mit jedem Klick, mit jeder Google-Suche und mit jedem Online-Einkauf geben wir Informationen über uns preis, die wirtschaftlich und politisch weit wertvoller sind, als unser zehn Jahre jüngeres Gesicht. Ist doch gut, wenn die 10-Year-Challenge dazu anregt, darüber nachzudenken!

Von einem Facebook-Sprecher heißt es übrigens, das Meme sei von den Usern selbst generiert worden und würde nicht für irgendwelche Unternehmenszwecke verwendet. Und ob die künstliche Intelligenz nun mit einem Meme übt oder nicht – für sie wird es mittelfristig kein Problem sein, das Gesicht eines Menschen seinem jüngeren oder älteren Selbst zuzuordnen. Es wird bereits von genug Seiten daran geforscht. Auch hier gibt es Vorteile: In dem amerikanischen Magazin Wired berichtet die Journalistin Kate O’Neill, dass die Polizei von Neu Delhi mit Hilfe von entsprechenden Algorithmen in nur vier Tagen fast 3000 vermisste Kinder aufspüren konnte. Auch bei der Suche nach Straftätern kann die Technologie hilfreich sein. Sie kann aber auch zu einer vollständig überwachten Gesellschaft führen – „1984“ lässt grüßen. Ein solches Szenario entwickelt sich gerade ganz real in China. Dort ist die Gesichtserkennung so weit fortgeschritten, dass mancherorts ein Blick in die Kamera Bürotüren öffnet und die Rechnung bezahlt. Bis 2020 plant die Regierung ein Sozialkredit-System. Mit Hilfe einer gewaltigen Kamera-Infrastruktur will der Staat das Verhalten seiner Bürger überwachen und mit einem Punktesystem Gehorsam belohnen bzw. unerwünschtes Verhalten mit Disziplinierungsmaßnahmen bestrafen.

Viele Teilnehmer nutzen den Hashtag, um auf ernste Themen aufmerksam zu machen

Auch zeigt ein Überblick, dass nicht mal die Hälfte der über vier Millionen Bilder zur 10-Year-Challenge auf Instagram dem wirklichen Ziel des Memes entsprechen. Gegenübergestellt werden unter anderem: das Iphone 3gs und das Iphone XS, Nicolas Cage mit dem historischen Foto eines Doppelgängers sowie ein niedliches Babykätzchen gegen ihr ausgewachsenes Selbst. Grund zur Hoffnung bietet, dass viele Teilnehmer und Nichtregierungsorganisationen den Hashtag #10YearChallenge nutzen, um auf ernste Themen aufmerksam zu machen: die Gleichstellung zwischen Mann und Frau, Kriege im Nahen Osten, Umweltzerstörung. Die gegenübergestellten Naturaufnahmen zeigen 2009 bunte Korallenriffe, üppige Wälder, mit Eis und Schnee bedeckte Gletscher, eine Schnecke auf Wanderschaft. Zehn Jahre später sind die Landschaften verödet und die Schneckenart ausgestorben. Eine im Meer treibende Plastikflasche ist zehn Jahre später dagegen unverändert, aber umgeben von noch mehr umher schwimmendem Plastikmüll.

Wie viele Jahre wirklich zwischen den Bildern liegen, ist im Einzelfall unklar. Darum geht es aber auch nicht. Die Nutzer haben den oberflächlichen, egozentrischen Trend erkannt und umgedeutet, um auf bestehende Probleme aufmerksam zu machen. #ClimateChangeIsReal



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ähnlicher Beitrag
Neues Thema
Meist kommentierter Artikel