Offen und ehrlich
Was ist Beichte im Jahr 2020? Nur noch eine verstaubte Tradition oder ein wohltuendes Gespräch mit konkreten Impulsen für das eigene Leben?
Die katholische Kirche besteht für viele Gläubige aus zwei sehr unterschiedlichen Sphären. Da ist zum einen die persönliche Erfahrung, in der es um den Glauben im Alltag geht, die Gemeinde vor Ort und den Priester oder Pfarrer. Und da ist die Kirche als Institution. Auf dieser zweiten Ebene geht es um die Theorie – um das, was Rom entscheidet. Dazwischen ergeben sich manchmal Widersprüche. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beichte.
Die Beichte ist eines der sieben Sakramente der katholischen Kirche. Daher hat sie einen hohen Stellenwert. Beichtgespräche genießen allerhöchsten Schutz; nichts, was dort besprochen wird, darf nach außen gelangen. „Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“, heißt es im Kirchenrecht. In Deutschland haben Geistliche auch aus Sicht des Zivil- und Strafprozesses ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn es um Pönitenten, also Beichtende und Informationen aus der Beichte geht.
Bußgottesdienste statt Einzelbeichten
Und tatsächlich gilt noch immer, dass jede*r gläubige Katholik*in mindestens einmal im Jahr beichten muss. 2016 schrieb Stefan Oster, Bischof von Passau, in seinem Blog, die Beichte sei sogar die Voraussetzung für den Eintritt in die Gemeinschaft Gottes.
In den jeweiligen Gemeinden scheinen viele Priester das alles längst nicht mehr so eng zu sehen. Schon in den 1970ern gab es Auseinandersetzungen mit Rom. Gerade jungen Priestern erschien die Beichte als veraltet, sie führten Bußgottesdienste an Stelle von Einzelbeichten ein.
Voraussetzung hierfür: Seit 1974 ist der Beichtstuhl keine Pflicht mehr, stattdessen kann das Beichtgespräch auch andernorts stattfinden, etwa im Pfarrhaus. Damit wollte die Kirche wieder mehr Menschen zur Beichte bewegen: „Der Vatikan versucht zu retten, was schon verloren ist“, urteilte das Magazin Der Spiegel im selben Jahr und schätzte bereits damals, dass von 1000 Katholiken lediglich noch fünf alle vier Wochen oder öfter zur Beichte gingen.
Christus selbst vergibt die Sünden
Dieser Trend hat angehalten. Christoph Schwerhoff, Kaplan im nordrhein-westfälischen Wallfahrtsort Kevelaer, vermutet, dass nur noch zwei bis drei Prozent der Kirchgänger regelmäßig beichten. „Die Beichte ist zwar etwas angestaubt und hat ein schlechtes Image“, sagt er. Doch das Prinzip finde er „genial“.
Spricht man etwas länger mit dem 35-Jährigen, bekommt man einen Eindruck davon, wie Beichte im Jahr 2020 funktionieren könnte. Schwerhoff sagt, er versuche zunächst aufmerksam zuzuhören, erst danach empfehle er, was zu tun sei, anschließend bespreche er mit den Beichtenden eine kreative Form der Buße. Manchmal sehe die Realität aber auch so aus, dass jemand lediglich seine Sünden als Bußkatalog aufzähle, wie es früher üblich war. Manchmal vertrauen die Menschen sich ihm aber auch tatsächlich an.
Ob er sich in seiner Position überfordert fühlt? „Ja, ständig.“ Sein Glaube helfe ihm jedoch, sich zu vergegenwärtigen, „dass die Person nicht mit mir redet, sondern mit Gott“.
Für Außenstehende mag diese Stellvertretersituation nicht immer leicht zu verstehen sein. Dem Glauben nach vergibt nicht der Beichtvater die Sünden, sondern Christus selbst. Schwerhoff macht das demütig. Er sei sich seiner Hilfestellung oft unsicher. Manchmal spricht er darum während der Beichte innerlich mit sich selbst. „Lieber Gott, der spricht eigentlich mit dir. Du musst mir aber auch gleich die Antwort geben.“
Die Haltung der Beichtväter
Christoph Schwerhoff erklärt das an einem Beispiel. Eine ältere Frau habe ihm einmal gebeichtet, dass sie vor Jahren abgetrieben habe. Ihr Mann habe das gewollt. Ein Jahr später habe der Mann sie dann verlassen. „Was soll ich der Frau sagen?“, fragt Schwerhoff und erzählt, dass sie unter seinen Händen gezittert habe, als er ihr seine Hand auflegte. Schwerhoff dachte: „Sie wird erleichtert hier raus gehen. Aber das kann nicht von mir kommen.“
Wer vom Bischof zum Priester geweiht wird, erhält damit die Genehmigung, die Beichte abzunehmen. Theoretisch kann diese Erlaubnis zwar wieder aberkannt werden, etwa, wenn sich Gemeindemitglieder beschweren. Praktisch kommt das aber kaum vor.
Wichtig sei die Haltung der Beichtväter, betont Fabian Tilling. Er ist Subregens im Priesterseminar Münster, wo künftige Geistliche ausgebildet werden. Acht Jahre dauert das. In den ersten sieben Jahren beschäftigen die angehenden Priester sich mit ihrer eigenen Beichte. Neben Seminaren zur Gesprächsführung üben sie das Beichtgespräch im Pastoralkurs – als Rollenspiel mit erfahrenen Priesterkollegen.
Das persönliche Verhältnis entscheidet
Die Beichte setzt voraus, dass Menschen glauben. Viele gläubige Menschen haben die Vorstellung, dass Gott verstimmt ist, wenn sie sündigen. Beichten verschafft ihnen Erleichterung. Doch gerade ältere Menschen verbinden damit auch schlechte Erinnerungen. Bis in die 1970er Jahre hinein ging es in Beichtgesprächen oft um sexuelle Verfehlungen. Sogar Kinder sollten sich die Frage stellen, ob sie unkeusche Gedanken gehabt hatten. Auch die erst mit der Zeit offengelegten Missbrauchsvorfälle in der katholischen Kirche haben zum schlechten Image der Beichte beigetragen.
Ob Menschen die Beichte für sich annehmen, hängt auch davon ab, wie sie persönlich ihren Glauben auslegen. Auf der einen Seite kann man die Beichte so verstehen, dass sie einen irdischen Nutzen hat. Christoph Schwerhoff sagt: „Ich möchte, dass die Beichtenden ihr Leben selbst in den Griff kriegen und am besten nachher nicht mehr mit denselben Sorgen zu mir kommen müssen.“ Auf der anderen Seite gibt es die Position von Bischof Oster. Nach diesem Verständnis geht es nicht um den lebenspraktischen Nutzen, sondern um das Verhältnis zwischen Gott und den Gläubigen. Die Beichte als Mittel zum Zweck, um das Verhältnis zwischen Mensch und Gott zu kitten.
In welche Richtung man auch strebt, in jedem Fall ist es gut, dass Katholik*innen heute ihren Beichtvater auswählen können. So können sie selbst entscheiden und ausprobieren, welche Form der Beichte für sie die beste ist.