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ProDie Zensurfabrik stoppen

Von Christoph Fischer / 28. Februar 2022
picture alliance / Westend61 | Manu Reyes

Mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und dem „Index“ der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz versuchen Politik und Filmwirtschaft die Jugend vor schädlichen Einflüssen zu schützen. Die Kunst findet zum Glück stets einen Weg vorbei an den Barrieren von Sittlichkeit und Wohlfühlzone.

Regelmäßig schränken Staat und Filmindustrie die Verbreitung von Inhalten ein, die sie für jugendschädigend halten. Das Ziel ist ein hehres: Die zarte Kinderseele soll ihre Unschuld nicht durch Konfrontation mit Gewalt, Sex und Propaganda verlieren. Doch die deutsche Verbotskultur ist Ausdruck eines fehlgeleiteten Verständnisses von (filmischer) Kunst und einer überaus skeptischen Sicht auf die Jugend.

Aufmerksamkeitsökonomie

Der Zombie-Film “Day of the Dead” von George A. Romero war außerhalb des Dunstkreises der Genre-Liebhaber*innen kaum bekannt. Was diesen Film jedoch in die Schlagzeilen brachte, war ein Lapsus des deutsch-französischen Kooperationssenders ARTE. “Day of the Dead“ ist in Deutschland indiziert und nach einem Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten aus dem Jahr 1990 zur Beschlagnahme ausgeschrieben. Als ARTE versehentlich anstatt der erlaubten geschnittenen Version das ungeschnittene Material ausstrahlte, wurde der Film zum Debattengegenstand. Unverhoffte Nebenwirkung: So gewann das Werk enorm an Bekanntheit.

Kleiner Exkurs an dieser Stelle: Dass sich der Wunsch nach Geheimhaltung oder der Versuch, etwas unter Verschluss zu halten, gerne mal ins Gegenteil verkehrt, dieses Muster findet sich auch abseits der Filmindustrie. So erinnert der Vorfall von 1990 an den Gerichtsprozess, den Barbra Streisand 2003 gegen den Fotografen Kenneth Adelman führte. Dieser veröffentlichte eine Luftaufnahme, auf der unter anderem Streisands Villa an der Küste Kaliforniens zu sehen war. Das wollte die Sängerin mit Verweis auf ihr Recht auf Privatsphäre nicht akzeptieren und forderte 50 Millionen US-Dollar Schadensersatz. Der Streit sorgte für einen Medienrummel, zum Sachverhalt findet sich mittlerweile ein eigener Wikipedia-Artikel.

Wird also ein Film indiziert und kommt auf die Liste der jugendgefährdenden Medien der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ, bis April 2021 ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)), dann wird genau dieser Effekt wieder und wieder ungewollt bedient: Die Bundeszentrale liefert unfreiwillig eine To-watch-Liste für Rebell*innen.

Das profane Übel

Meist werden solche Produktionen indiziert, bei denen das Publikum vor dem Fernseher seine Augen mit den Händen verdecken würde. Werke, denen man ihren Hang zum Ekel ab der ersten Minute anmerkt. Filme, die uns in jedem Bildwinkel dazu zwingen, Blut und Sperma zu betrachten. Nazipropaganda, die vor offensichtlichen Hetzparolen nur so strotzt.

Was es aber ohne staatlichen Eingriff zu sehen gibt, sind vermeintlich harmlose Serien und Filme, die auf eine unterschwellige Art und Weise problematisch sind. Sei es durch das Frauenbild, das uns “Sex and the City“ transportiert, die Ressentiments gegen Schwule, die “Das perfekte Geheimnis“ schürt oder die Geschichtsklitterung, die die legendäre Geschichte des “Forrest Gump“ betreibt. Öffentlich gefördert wird dann auch der zweihundertste Heimatfilm, der den Zuschauenden kommuniziert: „Entspann‘ dich und genieße deine Beschränktheit!“

Würde das Jugendmedienschutzkonzept in Deutschland wirklich konsequent gelebt, so müsste es auch fordern, all diese ideologisch fragwürdigen Werke zu zensieren. Darauf lässt man sich aber nicht ein. Wo man tiefer in die Bedeutungsebenen der Kunst vordringen müsste, macht der deutsche Jugendmedienschutz halt.

Die Kraft der Kunst

Das ist es aber nunmal, was Kunst auszeichnet: Sie ist vielschichtig und nicht nur in der einen oder anderen Weise zu verstehen.

Kunst war schon immer ein probates Mittel, um die Grenzen des Sozialverträglichen auszutesten und zu sprengen. Man denke hier beispielsweise an die Aktion “Kunst und Revolution“ vom 7. Juni 1968 in Wien. Hier arbeiteten die vertretenen fünf Künstler mit Fäkalien, Verstümmelung und generell allem, was man so als widerlich bezeichnen würde. In den sehr konservativ geprägten ’60er Jahren brachen sie damit sämtliche Tabus. Wenig überraschend: Die Aktion wurde weltweit rezipiert.

So derb diese Performance gewesen sein mag, so entlarvend war ihr Echo. Die öffentliche Diskussion drehte sich vor allem um das Spannungsfeld zwischen Sitte und Kunst. Wenig Raum wurde jedoch der Frage gewidmet, ob es sich vielleicht einfach um schlechte Kunst handelte? In aller Regel wurde die Aktion nach den Maßstäben der (guten) Sitten bewertet, aber nicht nach denen der Kunst, wobei letztere es sind, die überhaupt nur klären können, welchen Gehalt ein Werk hat.

Grundlage der Wertungen von FSK und BzKJ ist ein Blick auf Filme, der wesentlich naiver ist, als es der eines Kindes je sein könnte. Sie betrachten Leinwand und Bildschirm durch eine Schablone des Anstands, durch die man sicher manches Werk hervorragend sehen – und vor allem nach eigenem Gusto beurteilen – kann. Im Zweifel für dessen Zensur.

Der kindliche Blick ist jedoch ein freierer. Wer ein mündiges Publikum will, sollte besser nicht in den Büros der deutschen Zensurfabrik, sondern in der Hasengruppe der KiTa Sonnenschein danach suchen.



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