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In einer Beziehung mit Gott und Allah

Von Anna Steinmeier / 2. November 2022
picture alliance / Godong | P Deliss / Godong

Sie glaubt an Gott, er an Allah. Spätestens, wenn die beiden Kinder bekommen wollen, wird es schwierig. So denken viele Menschen. Dabei ist der Alltag in einer interreligiösen Beziehung viel einfacher als manche annehmen.

Man stelle sich folgende Szene vor: Zwei Menschen beten vor dem Zubettgehen. Er rollt nach seiner Waschung den Teppich Richtung Mekka aus und sie öffnet die Bibel. Scheint etwas ungewöhnlich, oder? Fast schon aus der Zeit gefallen. Nicht nur, weil die beiden Anfang 30 sind, sondern auch ein Paar.

Doch genauso denken die Menschen über den Alltag in unserem Zuhause. Ich bin gläubig, genauer gesagt evangelisch, mein Partner ist praktizierender Muslim. Für viele ist der Gottesglaube für sich genommen heute ein mittlerweile befremdliches Konzept. Und dann auch noch zwei Religionen unter einem Dach vereint? Geradezu unmöglich.

Die Schweinefleisch-Causa

Zuallererst halten die meisten Menschen bei interreligiösen Beziehungen an den Unterschieden fest. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich bereits mit der Frage konfrontiert wurde, ob ich denn Schweinefleisch esse. Ja, esse ich, ja, auch zuhause. Nein, mein Partner nicht. Dafür esse ich andererseits keine Melonen, die mein Partner vor allem im Spätsommer so gerne verzehrt, dass unsere ganze Wohnung nach Melonen duftet – oder aus meiner Sicht eben stinkt.

Insbesondere viele Menschen, die als Deutsche wahrgenommen werden, sehen den Verzicht auf ihr geliebtes Schweinefleisch als etwas Einschneidendes an. Dabei gibt es in allen Beziehungen Speisen, die dem einen Partner schmecken und dem anderen nicht; Dinge, die ein Partner gut findet und der andere nicht; einen Glauben, den ein Partner hat und der andere nicht. Wenn mein Partner im Fastenmonat Ramadan auf Alkohol verzichtet, mache ich mir keine Flasche Wein vor ihm auf, weil ich das gemein fände. Aber wenn ich allein auf einer Veranstaltung oder bei Freunden bin, trinke ich ohne schlechtes Gewissen auch ein Glas Wein. Oder zwei. Als Koch kann mein Freund das nachvollziehen.

Verschieden und sich doch ähnlich

Fundamentalisten – genau das sind viele Muslime in Deutschland eben nicht. Das Problem ist gerade in religiösen Fragen der fehlende Dialog. Am Anfang unserer Beziehung haben mein Partner und ich viel geredet. Nicht nur über unseren Glauben, aber auch. In der Bahn auf dem Weg zur Arbeit haben wir uns kennengelernt. Wir haben miteinander gesprochen und Nummern getauscht. Am nächsten Tag hat er mich von der Arbeit abgeholt. Wir saßen im Park im strömenden Regen unter einem Regenschirm und haben geredet.

Uns ist bald klar geworden, dass unsere Werte für uns das Entscheidende sind. Ein Beispiel: Wir Christen verweisen gerne auf die Nächstenliebe. Ein ähnliches Konzept gibt es, einfach gesprochen, im muslimischen Glauben. Den Armen zu geben ist sogar eine der fünf Säulen, auf die der Islam sich stützt. Selbst wenn der ein oder andere Theologe im Detail protestieren würde, so bedienen sich unserer Meinung nach fast alle Religionen der gleichen universalen Werte. Und das ist es, was für sämtliche Beziehungen essentiell ist: diesen Werten zu entsprechen, sie zu teilen.

Ein wichtiges Prinzip ist für uns zudem, dass Glaube zuallererst eine persönliche Angelegenheit ist. Ich missioniere meinen Partner nicht und er mich auch nicht. Wenn er eine Frage hat, fragt er, ich antworte, umgekehrt genauso. Das Interesse an den Glaubensansätzen des Gegenübers ist da und trotzdem sind wir fest in unserer jeweiligen Religion verankert. Mag sein, dass das in einer interreligiösen Beziehung nach Widerspruch klingt. Aber es ist einer, den man aushalten muss. Und meiner Ansicht nach handelt es sich hierbei um einen Widerspruch, den man mit festem Glauben und gegenseitigem Respekt auch gut aushalten kann. (Das sage ich nicht nur, weil ich beruflich Projekte managen können muss.)

Viel Reden hilft viel

Dennoch höre ich jetzt die Zweifler fragen: Welche Religion werden eure Kinder haben? Die ehrliche Antwort: keine – und doch zwei. Unsere Kinder werden nicht getauft und doch in die Kirche ihrer Mutter gehen. Sie werden sich nicht zu Allah bekennen und trotzdem die Geschichte des Propheten kennen. Sie werden Weihnachten und Zuckerfest, Ostern und Opferfest feiern. Und ob sie Teil einer Religionsgemeinschaft werden möchten oder eben nicht, das können sie zu gegebener Zeit selbst entscheiden. Sie sollen ihr Leben leben genau wie wir es tun: mit einem offenen Herzen und viel Neugier für die Welt um sie herum.

In unserer interreligiösen Beziehung geht es vor allem darum, die eigenen Wertmaßstäbe immer offen zu kommunizieren. Wie wir unsere Kinder erziehen wollen. Wie wir heiraten wollen und wie wir, ganz allgemein, unsere gemeinsame Zukunft gestalten wollen. Dieser Dialog und alle damit verbundenen Diskussionen hören nicht auf und genau darauf kommt es uns an. Es darf nicht darum gehen, einfach nur recht haben zu wollen.

Deshalb haben wir auch kein Problem damit, Traditionen zu hinterfragen oder auszusetzen. Erst wollte mein Freund muslimisch heiraten, mit Imam. Dies war seine Tradition. Für mich war das okay, da ich dafür nicht konvertieren muss. Dann kam uns Corona in die Quere. In der Zeit haben wir viel darüber gesprochen, welche Alternativen es darüber hinaus gibt. Dabei sind wir über die Option gestolpert, eine ökumenische Trauung in einer evangelischen Kirche zu haben. Und in einer Kirche heiraten, ist attraktiv für uns. 

Es bleibt dabei: Wir beide glauben aus vollem Herzen – an unseren jeweiligen Gott und an unsere Beziehung. Und vielleicht beten wir auch deshalb jeden Abend vor dem Schlafengehen zusammen. Jeder für sich und doch gemeinsam.

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