Miteinander gegen die Ohnmacht
Immer weniger junge Leute fühlen sich politisch selbstwirksam. Was das mit Einsamkeit und Demokratieferne zu tun hat und was dagegen unternommen werden kann.
Als ich in der Schule war, war es mit der Politik einfach: Schulsprecher*innen wurden diejenigen, die beliebt waren. Alle kannten sie und wählten sie vor allem deswegen. Sonderlich große Auswirkungen hatte das nicht: Ein neues Beet für den Schulhof wurde gepflanzt und ein Fest wurde geplant. Trotzdem fühlte ich mich bei der Wahl das erste Mal politisch selbstwirksam. Denn ich kam mit den ersten Anflügen des Politischen in Berührung: Wahlen, selbst beeinflussbare Entscheidungsprozesse und die daraus entstehenden Möglichkeiten – sicherlich nicht weltbewegend, aber immerhin.
Heutzutage sind Politiker*innen das Gegenteil von den coolen Kids aus meiner Schule und häufig nach ihrer Wahl nicht mehr sonderlich beliebt. Das steht mit dem Gefühl politischer Selbstwirksamkeit in Verbindung: Menschen wählen andere Menschen, um sich in einer repräsentativen Demokratie für politische Entscheidungen vertreten zu lassen. Wenn dann nicht umgesetzt wird, was im Wahlprogramm steht und versprochen wurde, sind die Wähler*innen unzufrieden oder fühlen sich politisch machtlos. In vielen Fällen kann das zur Nicht-Wahl führen. Die Vorstellung von Politik als Lieferdienst, bei dem man etwas wählt und genau so bekommt, ist allerdings verkürzt.
Für ein besseres Verständnis von demokratischen Funktionsweisen müssen Aushandlungsprozesse direkt erlebt werden. Das fängt beim Beet im Schulhof an. Manche wollen Rosen haben, andere verschiedene Pflanzen, manche wollen Gemüse anpflanzen. Einige wiederum brauchen Unterstützung bei der Pflege des Beetes, manche finden Beete nicht gut und fragen, wieso es an derselben Stelle nicht einen Teich oder eine Sitzbank geben kann. Und dann gibt es vielleicht sogar jene, die das Beet mutwillig beschädigen. So müssen schon bei scheinbar kleinen und irrelevant erscheinenden Entscheidungen viel Aushandlung stattfinden und Kompromisse gefunden werden. Das will gelernt und erprobt sein. Schulen sollten genau dafür da sein. Leider sieht die Realität oft anders aus. Kindern und Jugendlichen fehlen die Räume, um sich hier auszuprobieren.
In der letzten FES-Mitte-Studie 2020/21 werden mehr Räume gefordert, in denen Menschen sich politisch und demokratisch selbstwirksam fühlen. Wer wahrnimmt, dass er*sie etwas verändern kann, schätzt das System wert, in dem dies möglich ist. Das wissenschaftliche Konzept der politischen Selbstwirksamkeit wird unterschiedlich gemessen. Meist geschieht dies mithilfe eines Fragebogens. Eine beispielhafte Fragestellung darin: „Findest du es sinnvoll, dich politisch zu engagieren?“ Das Selbstwirksamkeitsempfinden ist untrennbar verbunden mit eigenen politischen Handlungen. Doch die Ergebnisse entsprechender Befragungen hinterlassen manchmal ein niederschmetterndes Bild: Nur 45 Prozent der Wahlberechtigten zwischen 16 und 30 Jahren haben laut der diesjährigen FES-Jungwähler:innen-Studie das Gefühl, in ihrer Umgebung und bei Themen, die ihnen wichtig sind, selbst etwas verändern zu können. Braucht es wieder die coolen Kids aus meiner Schule, die (sich) für Politik begeistern und einfach beliebt sind?
Ich als Teil der Altersgruppe der zwischen 16- und 30-Jährigen würde mich zu denen zählen, die sich als politisch selbstwirksam empfinden. Einerseits liegt das an meinem Hochschulabschluss, denn Bildung (und Einkommen) spielen laut der FES-Vertrauensstudie 2023 eine besondere Rolle. Mein politisches Interesse war seit der Wahl der Schulsprecher*innen nicht mehr geworden, auch die durchaus politische Schüler*innenzeitung konnte daran nicht wirklich etwas ändern. Zum Glück konnte ich ein Freiwilliges Ökologisches Jahr machen: Auf Seminarfahrten und in meiner Einsatzstelle lernte ich viel über solidarische und nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweisen – und sogar meinen langjährigen Studienort kennen. Ich begann, mich für Politik zu interessieren, angetrieben durch die Frage, wie ich mit anderen zu einer umweltbewussteren Welt beitragen kann.
Einsamkeit und Demokratieferne
Laut der kollekt-Studie des Progressiven Zentrums fühlen sich junge Menschen, die einsam sind, weniger politisch selbstwirksam als solche, die es nicht sind. In der Pandemie wurde Einsamkeit durch Isolation verstärkt. Im ländlichen Raum wird Einsamkeit noch immer durch das Fehlen von Strukturen bedingt, durch die sich Menschen eingebettet fühlen: regelmäßige zufällige oder geplante Treffen in Vereinen und Gruppen. Genau hier spielt sich das Politische ab. Entscheidungen müssen gefällt werden und Konflikte, die beim Zusammentreffen von Gruppierungen dazugehören, ausgehandelt und gelöst werden. Hier beginnt die Selbstwirksamkeit. Für mich ist das zumindest so: Ich bin mir nicht sicher darüber, wie viel ich als Einzelperson ändern kann. Doch in einem Netzwerk oder einer Interessengemeinschaft liegt die politische Kraft. Austausch mit anderen verlangt die Auseinandersetzung mit eigenen Werten und Vorstellungen. Gemeinsam auf einen Nenner zu kommen und sich sogar gegenseitig in Anliegen unterstützen zu können, gibt Kraft und Mut.
Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach. Politische Gruppen produzieren Ausschlüsse – durch Zeitvorgaben, Treffpunkte, Sprache, ein bestimmtes Verhalten usw. Gleichzeitig ist es wichtig, bestimmte Dinge auszuschließen: anti-demokratisches, menschenverachtendes und diskriminierendes Verhalten muss als solches benannt und geächtet werden. Denn politisches Engagement ist nicht per se zu befürworten. Gerade bei jungen Menschen finden rechtsextreme, menschenfeindliche und rassistische Angebote häufig Anknüpfungspunkte. So heißt es in der kollekt-Studie weiter, dass politische Selbstwirksamkeit mit Populismus und der Billigung politischer Gewalt zusammenhängen kann. Die Vermittlung von Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensrealitäten und Positionierungen sollte also allen ein Kernanliegen sein.
Solche Grundwerte schaffen die Grundlage für ein solidarisches Miteinander, das Einsamkeit entgegenwirken kann. Niemand muss sich alleingelassen fühlen. Gemeinsam lässt sich an kreativen Ideen für politischen Protest feilen. Große gesellschaftliche Probleme kommen mir persönlich dadurch weniger bedrohlich – oder zumindest gestaltbarer – vor. Es ist dieses Gefühl, was mit dem Konzept der politischen Selbstwirksamkeit beschrieben werden soll.
Intime politische Forderungen?!
Soziale Beziehungen sind immer politisch. Anders formuliert: „Das Private ist politisch“, wie es die feministische Bewegung der 1970er auf den Punkt brachte. Politische Forderungen können nämlich auch sehr intim sein. Wenn es zum Beispiel darum geht, Schwangerschaftsabbrüche zu erleichtern, dann geht es ganz konkret um einzelne Betroffene. Oder der Einsatz für Rechte von queeren Personen: Neben Allys – also Unterstützer*innen – kämpfen vor allem Angehörige der Community selber für mehr Anerkennung oder gegen Gewalt. Sich politisch selbstwirksam zu fühlen, heißt also oft, für die eigene Sache einzustehen. Dabei macht man sich besonders verletzlich, wenn es um intime, persönliche Angelegenheiten geht. Nicht jede Person will oder kann sich öffentlich oder vor der Familie outen. Deswegen ist es nicht immer leicht, sich selbst für die eigenen Rechte einzusetzen. Auch das kann zu einem fehlenden politischen Selbstwirksamkeitsempfinden beitragen. Politische Gruppen, die für die Anliegen queerer Menschen oder für feministische oder auch klimapolitische Forderungen aktiv werden, sind umso wichtiger, weil die Engagierten sich zusammenschließen und auf vielfältige Weise unterstützen können.
Um diese gegenseitige Verbundenheit nicht zu schwächen, muss auf parlamentarischer Ebene entschieden gegen die Kriminalisierung von demokratischen politischen Projekten und Gruppen vorgegangen werden. Die extreme Rechte polemisiert strategisch gegen progressive Entwicklungen und versucht, sie in der Öffentlichkeit zu kriminalisieren. Das verstärkt das Ohnmachtsempfinden gegenüber der Politik auch bei politisch Engagierten. Angesichts der vielen Krisen – Coronapandemie, Klima, Energie und Inflation sowie Kriege – soll das demokratische Spektrum gespalten und der Diskurs nach rechts verschoben werden. Doch gerade die Wiedergewinnung der sich politisch machtlos Fühlenden darf nicht den Rechten überlassen werden! Politische Selbstwirksamkeit muss demokratisch ausgelegt werden – und zwar über das Aufstellen eigener Forderungen, die sozial gerecht und anti-diskriminierend sind.
Der Schritt aus dem politischen Ohnmachtsempfinden, unter welchem (einsame) Leute leiden, ist schwer. Die Motivation ist gering und das Erschöpfungsgefühl groß. Hier muss eventuell ausschließendes Verhalten hinterfragt sowie pro-aktiv auf Menschen zugegangen werden, um diese einzubinden. Auch und gerade dann, wenn es um überwiegend private Themen geht. Ganz konkret bedeutet das: Gemeinsam zu einer Demonstration gehen und danach noch im Park abhängen oder sich zuhause zu treffen und Ideen für ein Veranstaltungskonzept überlegen. Und auch mal darüber sprechen, dass man gerade deprimiert ist von den ganzen Krisen, die manchmal so unlösbar erscheinen.