Alte Tradition oder lukrativer Achtsamkeitstrend?
Eine Yogalehrer*innen-Ausbildung kann als mehrwöchige Intensivausbildung bis hin zu langfristigeren Programmen über mehrere Jahre hinweg gestaltet sein. Staatlich anerkannt ist sie nicht. Nelli hat sich mit diesem Beruf trotzdem selbstständig gemacht.
2012 hat sie ihr eigenes Yogastudio in Berlin-Friedrichshain gegründet. Inzwischen hat die 40-Jährige es wieder verkauft, um mehr Zeit für eigentliches Yoga zu haben und weniger für die Organisation im Hintergrund aufzuwenden.
sagwas: Du gibst Kurse, bildest Yoga-Lehrer*innen aus und organisierst Retreats. Seit einem Jahr betreibst du den YouTube-Channel „Forest Yoga mit Nelli“. Ganz schön viel los bei dir! Eins der Ziele von Yoga ist doch Entspannung. Wie nimmt man Leuten den Stress, die man gar nicht kennt? Nelli: In Gruppensettings kann ich nicht auf jeden Einzelne*n eingehen und muss auch gar nicht den Stress aller Menschen kennen. Stressabbau funktioniert durch körperliche Bewegung und bewusstes Atmen. Das reguliert das Nervensystem und man schwitzt die Stresshormone aus dem Körper aus. Die Leute fühlen sich also besser, egal was sie haben. Und je nachdem, ob sie mehr Aktivität oder mehr Ruhe brauchen, gibt es verschiedene Yoga-Stile.
Wie verkauft man Leuten Entspannung, wenn man selbst selbständig ist?
(lacht) Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Selbständigkeit wird oft als die Freiheit schlechthin vermarktet, ist aber natürlich auch sehr anstrengend. Am Anfang war ich vom Unterrichten irgendwann ausgebrannt. Als ich mein eigenes Studio hatte und viele Kurse gegeben habe, musste ich einen Weg finden, das anzugehen, ohne ausgelaugt zu sein. Inzwischen ist es mehr ein Austausch, es nährt mich auch. Wenn ich eine Yoga-Klasse gebe, bin ich in einer anderen Welt. Um meinen eigenen Stress geht es da nicht. Alles, was in meinem Leben gerade passiert, fällt weg und ich bin für die Teilnehmenden da.
Yoga ist eine sehr alte Praxis aus Indien. Als Sportart nebenbei betrieben hat es mit der ursprünglichen Lebensphilosophie nur wenig zu tun. Ist es moralisch vertretbar, sich aus dieser Kultur nur den Teil herauszupicken, der einem passt?
Praktiken einfach weiterzugeben, ohne zu vermitteln, welche Bedeutung dahintersteht, finde ich schwierig. Ich selbst habe meine Yoga-Ausbildung sehr traditionell in Indien gemacht, um zu wissen, wo das herkommt und die Dinge besser zuordnen zu können. Ich bin auch kein großer Fan davon, Yoga so abzuwandeln und zu kombinieren, dass eine völlig neue Sportart entsteht. Auf der anderen Seite: Wenn es jemandem hilft und allen bewusst ist, dass das kein reines Yoga mehr ist, warum nicht? Wenn etwas funktioniert, hat es seine Daseinsberechtigung. Wichtig ist dann eben die Auseinandersetzung damit.
Ist es denn möglich, das an Leute zu vermitteln, die einmal pro Woche einen Kurs belegen?
Das ist sehr unterschiedlich. Das Hot-Yoga, mit dem ich selbst auch begonnen habe, ist zum Beispiel sehr physisch ausgerichtet. Darüber finden viele zum Yoga, die sonst gar nicht zum Yoga gehen würden, weil es ihnen zu spirituell aufgeladen ist. Und mit der Zeit kommt dann das Interesse, sich mehr damit zu beschäftigen, wo das eigentlich herkommt.
„Früher hatten viele bei Yoga so ein Bild von einem Inder im Kopf, der auf einem Tigerfell sitzt und meditiert. Social Media hilft, das Ganze auch aus einer anderen Perspektive zu sehen.“
Nelli, Yogalehrerin
Gerade auf Social Media sind Achtsamkeit und Entspannung im Trend. Inwiefern profitierst du von so einem Hype?
Es ist auf jeden Fall heutzutage leichter, Leute zum Yoga zu bewegen, ja. Natürlich profitiere ich da auch von. Früher hatten viele bei Yoga so ein Bild von einem Inder im Kopf, der auf einem Tigerfell sitzt und meditiert. Social Media hilft, das Ganze auch aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Hast du Angst, dass dieser Hype irgendwann wieder abreißt?
Nein, noch nie. Gerade lese und höre ich immer mehr, dass Krafttraining wieder in den Vordergrund rückt. Da verändert sich also etwas, aber es werden auch viel mehr Praktiken kombiniert. Und dann kommen die Leute oft nach einiger Zeit doch wieder ins Yoga-Studio.
Hinter Yoga steht eine ganze Industrie. Online werden teure Yoga-Matten, Kleidung und Zubehör beworben und die Creator*innen verdienen beim Kauf mit. Wie lässt sich das mit der Yoga-Philosophie verantworten? Ich glaube, auch da ist die Kommunikation wichtig. Man braucht gar nichts, um Yoga zu machen. Gleichzeitig muss man sich vor Augen führen, wie viel Arbeit hinter so einem YouTube-Channel steckt und dass die Kurse da kostenlos angeboten werden. Es gibt sehr gute Inhalte online, was für Menschen, die sich das nicht leisten können, super ist. Ich sehe kein Problem darin, Produkte zu vermarkten. Traditionell gibt es Ashrams, die von den Communities getragen werden, damit Yoga weitergegeben werden kann. Aber wir leben nun mal in einer materiellen Welt und Yoga-Lehrer*innen müssen auch von irgendwas leben. Affiliate Links habe ich auch mit drin. Kein Mensch braucht das, aber wenn jemand es möchte und das Geld dafür hat, dann supportet der damit auch, dass es Menschen machen können, die das Geld nicht haben.
„Manchmal denke ich, das ist doch alles verrückt. Ich würde gerne einfach hier sitzen und nur meditieren. Aber das geht halt nicht.“
Nelli, Yogalehrerin
Um sich Yoga-Kurse, Retreats & Co. leisten zu können, muss man so viel Geld verdienen, dass man davon gestresst ist und die Entspannung auch braucht. Ist das nicht ein bisschen paradox?
Ja, das ist richtig absurd. Aber das ist halt dieses Leben, was wir hier führen. Manchmal denke ich, das ist doch alles verrückt. Ich würde gerne einfach hier sitzen und nur meditieren. Aber das geht halt nicht.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Durch verschiedene Zahlungsmodalitäten. Viele Studios bieten Karma-Yoga an, das heißt man hilft im Studio aus und bekommt einen reduzierten Preis. Ich mache teilweise Veranstaltungen auf Spendenbasis, aber dann zahlen die meisten Leute weniger. Allein davon kann ich nicht leben. Das war für mich auch die Motivation, meinen YouTube-Kanal zu starten. Durch die Inflation musste ich meine Preise anheben, um mein Studio zu erhalten. Ich wollte einen Weg finden, Menschen einkommensunabhängig etwas geben zu können.