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ContraEinschränkung von gestern

Von Angelina Scholz / 31. Januar 2024
picture alliance / Westend61 | David Molina Grande

Alter ist Orientierung, nicht Maßstab. Einem Lebensabschnitt quasi ein Verfallsdatum zu geben, weil man zu alt dafür geworden wäre, ist falsch. Ob typisch oder nicht, was zählt, ist die eigene mentale und körperliche Verfassung.

„So etwas kann ich nicht mehr tragen, dafür bin ich schon zu alt“, sagte mir meine Tante, als sie bei einem Stadtbummel ein Kleidungsstück gefunden hatte, das ihr offensichtlich gefiel und zu der Zeit bei der jüngeren Generation im Trend lag.

Altersgrenzen nach unten und nach oben hin begleiten uns, egal wohin. Letztere beschäftigt mich inzwischen häufiger. Die meisten werden das Gefühl kennen, für etwas vermeintlich “zu alt“ zu sein. Als Kind war es vielleicht ein bestimmtes Spielzeug oder Kuscheltiere im Allgemeinen; als Erwachsene sind es dann endlose Partynächte oder ein Neuanfang in der Berufswelt. Doch kann man wirklich für etwas zu alt sein?

Die Angst, aus der Reihe zu tanzen

Gibt man in die Suchleiste bei Google „zu alt für“ ein, erscheinen direkt Ergänzungen, wie „Ausbildung“, „Kinder“, „Studium“, „Partys“ etc.

Zu alt für Partys ist man laut Umfrage des britischen Online-Händlers Currys PC World aus dem Jahre 2017, wenn man 37 Jahre alt ist. Dagegen könnte man halten, dass es in verschiedenen Clubs keine Seltenheit ist, ein Publikum anzutreffen, das älter ist als erwartet. Ebenso gibt es Ü40- oder Ü50-Partys, die bei einem mangelnden Interesse der Zielgruppe gar nicht erst zustande kämen.

Und warum sollte man zu alt für ein Studium oder eine Ausbildung sein? Zu alt dafür, sich neu zu orientieren oder sein Wissen zu vertiefen? Das Sprichwort „Man lernt nie aus“ kommt nicht von ungefähr. 2021 waren zwar 84,8 Prozent der Studierenden in Deutschland zwischen 20 und 29 Jahre alt und unter Auszubildenden im Jahre 2020 betrug das Durchschnittsalter stattliche 19,6 Jahre. Aber die Anzahl älterer Menschen in Studium oder Ausbildung steigt stetig. Und diese Rechnung geht auf: Jedes Lebensalter bringt seine Vorteile mit sich. Die einen liefern neue Ideen und setzen Impulse, die anderen bringen mehr Erfahrung ein und können Theorie mit der bereits bekannten Praxis verknüpfen.

Was den Kinderwunsch betrifft, liegt auf der Hand, dass der Zeitraum für natürliche Schwangerschaften aus biologischen Gründen endlich ist. Durch die moderne Medizin ist es jedoch heutzutage möglich, den Kinderwunsch einer 50- oder 55-jährigen Frau zu erfüllen. Ob sinnvoll oder nicht, darüber lässt sich streiten. Nur, weil etwas möglich ist, ist es nicht automatisch gut.

Bezüglich eines Haus- oder Wohnungskaufes gibt es auch keine Altersgrenze. Allerdings ist es den Banken wichtig, dass die möglichen Schulden innerhalb der durchschnittlichen Lebenserwartung vollständig beglichen werden können.

Nun kann zwar niemand einem den Hauskauf, eine berufliche Neuorientierung oder das Ausgehen verbieten, viele zögern aber an dieser Stelle. Es passt für sie selbst (möglicherweise auch für das Umfeld) nicht in das von der Gesellschaft geprägte Bild dieser Altersstufe oder jenes Lebensabschnittes. Nur nicht aus der Reihe tanzen, negative Reaktionen vermeiden ist die Devise. Doch was bringt es, sich in die eigene, vermeintliche Komfortzone zu verkriechen und ein “ungelebtes Leben“ zu führen?

Ü30, berufliche Neuorientierung und die Aufnahme eines Pflegekindes

In meinem direkten Umfeld gibt es eine Person, die sich nicht durch die Altersfrage oder Reaktionen anderer davon hat abschrecken lassen, zu tun, was für sie der richtige Weg war, als es für sie der richtige Weg war. Meine Mutter hat nach ihrem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Arzthelferin abgeschlossen, war jahrelang in der Radiologie und im ambulanten Pflegedienst tätig. Mit Mitte 30, zum Ende meiner Grundschulzeit, begann sie die Ausbildung zur Erzieherin, holte ihr Fachabitur nach und war seither im Kindergarten tätig.

Schon länger hatte sie überlegt, ein Pflegekind aufzunehmen. 2021 sollte sich dieser Wunsch erfüllen. Sie konnte ein Pflegekind im Kindergartenalter aufnehmen, das seitdem mit uns zusammenlebt. Da meine Mutter ihr Wissen sowohl erweitern als auch vertiefen wollte und sich einen pädagogischen Beruf außerhalb des Kindergartens vorstellen konnte, begann sie Ende 2023 mit Mitte 40 das Bachelor-Studium für Heilpädagogik. Seit Anfang dieses Jahres macht sie außerdem noch ihren Übungsleiterschein, um Mutter-Kind-Turnen anbieten zu können.

Die altersmäßig untypische Geschichte meiner Mutter verdeutlicht, dass man sich immer die Frage stellen muss, was einen persönlich glücklich machen kann. Bei größeren, lebensverändernden Entscheidungen (wie einer beruflichen Neuorientierung oder einem Hauskauf) sollten auch andere Faktoren miteinbezogen werden. Zum Beispiel, ob man die Situation (finanziell) stemmen kann oder gegebenenfalls Hilfe und Unterstützung von anderen benötigt. Egal, in welchem Alter.

Niemals jedoch sollten die Meinungen und Reaktionen anderer ausschlaggebend für den Entscheidungsprozess sein. Wer etwas festlegen will, muss Sorge tragen, Stillstand zu vermeiden. Eigene Werte und Prioritäten könnten dabei unter den Tisch fallen. Wenn es also keine körperlichen oder mentalen Grenzen gibt oder Gesetze, gegen die man verstoßen würde: Einfach machen!



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