Burnout und 20 Kilo leichter
Sie suchen das schnelle Geld, denn sie haben keine Wahl. Griechische Studierende arbeiten unter prekären Bedingungen – bis zur Erschöpfung.
830 Euro brutto – so viel beträgt der Mindestlohn in Griechenland im Monat. Das ist nur etwa ein Drittel des deutschen Mindestlohns. Und das, obwohl die Preise im Supermarkt und für den Quadratmeter an Wohnraum die gleichen sind wie in Deutschland. Um sich das Notwendigste leisten zu können, arbeiten die Griech*innen deswegen durchschnittlich 39,8 Stunden pro Woche, damit führen sie die Rangliste auf EU-Ebene an. In Deutschland beispielsweise betrug die wöchentliche Arbeitszeit 2023 nur 34,3 Stunden. Viele Griech*innen waren seit Jahren nicht im Urlaub oder haben das Land sogar noch nie verlassen. Die Lage der Studierenden ist besonders prekär.
“Die meisten von uns arbeiten schwarz”, sagt Myrto. Sie studiert an der National and Kapodistrian University of Athens und arbeitete bis Januar auf einem Weihnachtsmarkt in Nea Smyrni, einer Gemeinde im Süden der Stadt. Dort bekommt sie 3,85 Euro die Stunde. Die eine Hälfte auf die Hand und die andere mit Steuerabzügen als Lohn. Sozialversichert ist sie nicht. Myrto weiß, dass sie ausgebeutet wird, aber sie braucht das Geld. Auch um ihrer Familie zu helfen. “Ich bin generell nicht sehr privilegiert. Ich wohne bei meinen Eltern in der westlichen Vorstadtregion Ilion, wo viele Menschen wenig Geld verdienen.” Im Februar will sie für ein Erasmus-Semester in die Schweiz gehen. Dort sind die Lebenshaltungskosten noch höher.
Keine Zeit, zu essen
Seitdem Myrto in den Semesterferien arbeitet, wisse sie ihre Freizeit mehr zu schätzen, denn: “Es ist nicht genug”, sagt sie. Während der Vorlesungszeit will sie nicht arbeiten, sonst müsste sie viele Jahre studieren.
Im Sommer 2024 hat sie in einer Buchhandlung gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen waren noch schlechter. “Unser Chef hat uns immer beobachtet, auch mit Hilfe von versteckten Kameras. Er hat uns nicht erlaubt, Wasser zu trinken und auf die Toilette zu gehen”, erzählt Myrto. Sie hat 4,80 Euro die Stunde verdient und zwölf bis 14 Stunden am Tag in zwei Schichten gearbeitet. Ihr blieb kaum Zeit, um zu essen oder zu schlafen, geschweige denn ihren damaligen Freund zu sehen. Gekündigt hat sie nicht, denn sie musste mit dem Geld ihren Führerschein machen. Als der Job vorbei war, ging sie zum Arzt. Diagnose: Burnout.
Orestis, Student an der Panteion University of Athens, hat einen engen Freund, der während der Saison 20 Kilo abnahm. Auch er hätte 14 Stunden am Tag gearbeitet und einfach keine Zeit zum Essen gehabt, erzählt Orestis. “Wenn du 1.500 oder 2.000 Euro bekommst, denkst du nicht an Ausbeutung oder Gesundheitsprobleme, weil es viel mehr ist als der Mindestlohn.” Bei all den Ausgaben würden Student*innen nicht viel Wert darauf legen, legal zu arbeiten. Sie versuchen, im Sommer viel zu verdienen, um über den Winter zu kommen. “Sie haben keine Wahl.”
Kaum legale Jobs
Er selbst ist nach eigenen Angaben einer der wenigen Studierenden in Griechenland, bei denen alles legal abläuft – Mindestlohn, Steuerabgaben, Sozialversicherung, Zuschläge. Denn er arbeitet dort, wo die Regierung die ganze Zeit kontrolliert – am Flughafen. Die Firma habe keine Wahl, sagt er. “Wenn sie könnten, würden sie mich ausbeuten. Da bin ich mir zu 100 Prozent sicher.”
Orestis arbeitet in Teilzeit. “Niemand bietet Studenten eine Vollzeit-Schicht an.” Dafür kann er Arbeitslosengeld beantragen, denn im Gegensatz zu Myrto und vielen anderen Student*innen, die schwarz arbeiten, kann er offiziell vorweisen, die letzten zwei Jahre gearbeitet zu haben. Im Krankheitsfall hat er somit Anspruch auf ein volles Monatsgehalt. Er bekommt ein 13. Gehalt zu Weihnachten, kann Arbeitstage für seine Rente sammeln, hat geregelte Pausenzeiten.
Eine Freundin von Orestis arbeitet als Kellnerin. Hier sei es üblich, sagt er, zehn Stunden zu arbeiten, wovon nur drei versteuert würden. Und wenn die Arbeit nicht gut gewesen oder etwas kaputt gegangen ist, würde das entsprechende Geld vom Lohn einbehalten werden.
Ein korruptes System
Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung gehöre zu den Prioritäten der neuen Regierung, wie Premierminister Kyriakos Mitsotakis nach seiner Wiederwahl 2023 verkündete. Dazu wurde ein Acht-Punkte-Plan ausgeklügelt. Im Rahmen der Offensive schickt die Regierung Menschen in die Läden, um die Bücher der Unternehmen zu überprüfen.
“Wenn der Arbeitgeber hört, dass die Aufseher kommen, gibt er ihnen entweder Geld – sie sind korrupt – oder zahlt die Strafe. Oder er lügt”, sagt Orestis. Im letzten Falle würden die Angestellten so tun, als würden sie nicht in dem Café arbeiten. Das hat er in seinem Heimatdorf miterlebt. Hypothetisch gesehen würde den Angestellten keine Gefahr drohen, wenn sie erwischt werden. “Aber in Wirklichkeit werden sie höchstwahrscheinlich gefeuert“, so Orestis. Es müsste echte Konsequenzen geben, damit die Bestechung aufhöre, fordert er. Womöglich müsste sogar die EU einschreiten, damit sich etwas verändere.
Keine Entlastung in Sicht
Die Ausbeutung von Student*innen in Griechenland ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Strukturen aufzubauen, die das verhindern, kostet Geld. “Aber die Regierung investiert lieber in die Armee als etwa in Bildung oder in den Arbeitsmarkt”, sagt Myrto. Sie kümmere sich nicht um die Arbeiterklasse.
Das griechische Parlament hat im Dezember den Haushaltsplan für 2025 verabschiedet. Mitsotakis hob hierbei Maßnahmen hervor, die angesichts steigender Kosten vor allem einkommensschwächeren Haushalten helfen sollen. Rentner*innen sollen kostenfrei Medizin erhalten, Polizist*innen und Feuerwehrleute sollen einen Bonus für ihre gefährliche Arbeit erhalten. Außerdem sollen Bankgebühren reduziert werden. Der Journalist Nick Malkoutzis vermutet hinter den Maßnahmen ein Buhlen um Wähler*innengunst.