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DebatteHintergrund: Berliner Bezirke zwischen Aufwertung und Ausgrenzung

Von Daniel Lehmann / 6. November 2014
picture alliance / ZB | Jens Kalaene

Berlin steht exemplarisch für die Gentrifizierung und deren Folgen. Bezirke werden attraktiver, die Mieten steigen, Einkommensschwache werden verdrängt. Neubauten sind geplant – doch deren Standorte müssen durchdacht sein. Die deutsche Hauptstadt wächst. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung ist das „BIP“ Berlins zwischen 2005 und 2013 durchschnittlich um 2,2 Prozent pro Jahr […]

Berlin steht exemplarisch für die Gentrifizierung und deren Folgen. Bezirke werden attraktiver, die Mieten steigen, Einkommensschwache werden verdrängt. Neubauten sind geplant – doch deren Standorte müssen durchdacht sein.

Die deutsche Hauptstadt wächst. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung ist das „BIP“ Berlins zwischen 2005 und 2013 durchschnittlich um 2,2 Prozent pro Jahr gestiegen.

Zahlreiche Unternehmen sehen das Potential eines hiesigen Standorts und verlegen ihren Hauptsitz in Deutschlands größte Metropole oder expandieren mit Zweigstellen dorthin.

Auch Touristen wählen immer häufiger Berlin. Waren es 1993 lediglich knapp drei Millionen Besucher, konnten im vergangenen Jahr mehr als elf Millionen begrüßt werden.

Nachdem die Bertelsmann Stiftung im vergangenen Jahrzehnt noch einen Bevölkerungsrückgang bis 2030 prognostiziert hat, rechnet man im Senat inzwischen sogar mit einem Wachstum um 250.000 Einwohner.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat mit dem „Stadtentwicklungskonzept Berlin 2030“ einen Plan erarbeitet, der die Hauptstadt als international konkurrenzfähige Region festigen und die Lebensqualität steigern soll.

Mieten für Altbau und kleinere Wohnungen steigen

Allein: Gestiegen sind zuletzt insbesondere die Mieten. Beim Vergleich der drei vergangenen Mietspiegel fällt auf, dass gerade kleinere Wohnungen, nach denen die Nachfrage hoch ist, deutlich teurer geworden sind.

Ebenfalls einen signifikanten Mietpreisanstieg erfuhren Altbauwohnungen. Davon sind vor allem die Bezirke Moabit, Neukölln und Wedding betroffen. Die Erhöhungen sind auf Modernisierungen der Wohnanlagen durch Investorengruppen zurückzuführen, aber auch auf kulturelle und infrastrukturelle Veränderungen im Bezirk.

In der Folge sehen sich wirtschaftlich schwächer gestellte Bevölkerungsgruppen zum Auszug gezwungen, während die nach wie vor hohe Nachfrage den Preis weiter steigen lässt und sich wohlhabendere Haushalte ansiedeln.

Wohndefizit für Haushalte mit geringem Einkommen

Auf seiner „GentriMap“ hat der Soziologe Andrej Holm diesen als Gentrifizierung bezeichneten Strukturwandel in Berlin für den Zeitraum 2007 bis 2011 visualisiert. Auf der Karte ist zu erkennen, dass sich die Verhältnisse auch in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain umgekehrt haben.

Zudem habe die Gentrifizierung inzwischen einen „Mainstream“-Charakter. „Aufwertung und Verdrängung sind nicht länger auf einzelne Kieze beschränkt, wie etwa auf den Kollwitzplatz Ende der 1990er Jahre, sondern ein fast flächendeckendes Phänomen in den Innenstadtbezirken“, erklärt der 43-Jährige.

Verbunden mit der insgesamt angespannten Wohnungsmarktsituation reduziere sich mit der Aufwertung von Bezirken der Anteil leistbarer Wohnungen für Haushalte mit geringem Einkommen. „Schon jetzt haben wir ein Defizit von mindestens 120.000 Wohnungen unter 5,50 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete, wenn alle Haushalte mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens mit angemessenen Wohnungen versorgt werden sollen“, berichtet Holm.

Mehr Baugenehmigungen als im Vorjahr

Die Politik reagiert mit Neubauprogrammen auf das Defizit. Laut einer Pressemitteilung vom Amt für Statistik sind 2013 in Berlin 6641 Wohnungen fertiggestellt worden, darunter 4647 als Neubau.

Von Januar bis März 2014 wurden zudem 4394 Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt, ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten vollzogenen und geplanten Bautätigkeiten sind in den Bezirken Lichtenberg und Mitte verortet.

„Die aktuellen und auch notwendigen Neubauprogramme werden als Lösungsansatz nicht ausreichen“, kritisiert Holm. „Es muss als zweite Säule einer sozial orientierten Wohnungspolitik ein nachhaltiger und wirksamer Bestandsschutz entwickelt werden.“

Kodex für Baupläne umstritten

Kritikwürdig sind nach Meinung von Heiner Funken, Vorstandssprecher der Mauerpark Stiftung Welt-Bürger-Park, die Orte, an denen gebaut werden soll. „Grünflächen wie den Mauerpark muss man prinzipiell schützen und nicht als Bauplatzreserve sehen“, sagt Funken.

Generell fehle ein Kodex oder eine Art gesellschaftliche Vereinbarung, die bestimmte Flächen aus dem Bauplan herausnimmt. „Dazu zähle ich auch Kinderspielplätze, Kleingartenkolonien und Friedhöfe.“ Stattdessen schlägt Funken vor, leerstehende Gewerbebauten in Wohnraum umzubauen und Bezirke außerhalb der Innenstadt zu entwickeln, wie etwa Marzahn und Hellersdorf.

„Ein starrer Kodex ist weder durchführbar noch förderlich“, meint Derk Ehlert von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Die Bauleitpläne dienten dazu, eine geordnete städtebauliche Entwicklung und eine dem „Wohl der Allgemeinheit“ entsprechende sozialgerechte Bodennutzung zu gewährleisten.

„Hierbei sind die unterschiedlichen Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen. Insofern unterliegt die Nutzung des städtischen Gebietes auch immer wieder Veränderungen, die im ständigen politischen Austausch und der fachlichen Abwägung festgelegt werden“, so Ehlert.

Trotzdem gelte, dass Grünflächen ein wichtiges Gut seien, sodass es nur in sehr wenigen Einzelfällen Umwidmungen von zum Beispiel Kleingartenflächen geben werde. „95% aller Berliner Kleingartenflächen sind dauerhaft gesichert. In den letzten Jahren sind außerdem zahlreiche neue Grünflächen entstanden, wie beispielsweise der Gleisdreieck-Park“, berichtet Ehlert.

„Sanieren ja, aber sozial verträglich“

„Der Wohnungsmarkt bricht nicht zusammen, wenn mal ein Bauplan nicht umgesetzt wird“, meint hingegen die Aktivistin der Initiative 100% Tempelhofer Feld Margarete Heitmüller. Es gebe viel zu wenig sozialen Wohnungsbau.

Zu oft werde am Bedarf vorbei gebaut. „Man muss sich fragen: Wollen wir wie in Paris oder London leben? Oder hat Berlin eigene Möglichkeiten?

Gegen die Aufwertung von Bezirken an sich sei Heitmüller nicht. „Sanieren ja, aber sozial verträglich“, wünscht sich die 54-Jährige.



Eine Antwort zu “Hintergrund: Berliner Bezirke zwischen Aufwertung und Ausgrenzung”

  1. Von berlinerin am 14. November 2014

    Danke für diesen Artikel. Die Berliner haben ja gottseidank gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes gestimmt. Es gibt soooo viele Freiflächen in Berlin, die nicht genutzt werden. hinter dem ganzen Wohnungsmarkt steckt so viel geldmacherei, die sozial schwachen können da nur verlieren.

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