Kein Ende in Sicht – Spanien und der Separatismus
Sezession – ja oder nein? Diese Frage hält nicht nur Katalonien, sondern ganz Spanien in Atem. Durch die Krise und eine Politik der Konfrontation hat die Separatismusbewegung in den letzten Monaten wieder an Fahrt aufgenommen. Auch nach den vergangenen Regionalwahlen ist kein Ende des Konflikts in Sicht. Lösungsvorschläge gibt es, aber am politischen Mut fehlt es derzeit noch. Dabei wäre ein Ende des Konflikts auch ein starkes Zeichen für ein vereintes Europa.
Katalonien hat gewählt. Am 27. September haben in der Region im Nordosten Spaniens vorgezogene Regionalwahlen mit „plebiszitärem Charakter“ stattgefunden, wie die Regierungskoalition unter dem Regierungschef Artur Mas im Vorhinein angekündigt hatte. Die Wahl sollte stellvertretend und symbolisch für ein Volksreferendum über die Unabhängigkeit der Katalanen stattfinden – ein offizielles Referendum wurde ein Jahr zuvor auf Klage der Zentralregierung vom Verfassungsgericht untersagt. Volksreferenden über die Unabhängigkeit einzelner Regionen sind in der spanischen Verfassung verboten.
Das Wahlergebnis lässt vermuten, dass ein Ende des seit Jahre schwelenden Konflikts noch lange nicht in Sicht ist. Die Koalition der Separationsparteien Junts pel Sí („Gemeinsam ja“) um die vom amtierenden Regierungschef Mas geführte Koalition aus der Mitte-Rechts-Partei CDC und den Linksrepublikanern der ERC und die linksradikale und nationalistische CUP erzielten gemeinsam mit 53,3 Prozent die absolute Mehrheit im Parlament. Aufgrund des Wahlsystems kommt das aber nicht einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen gleich. Hier erreichte die Koalition nur 47,7 Prozent.
Zu wenig, um eine einseitige Unabhängigkeitserklärung zu verkünden, befand Antonio Baños, Spitzenkandidat der CUP. Die anderen Koalitionsparteien hielten sich bedeckt. Ohnehin tritt das Bündnis alles andere als geeint auf. „Das neue Parlament in Katalonien ist fragmentiert, die Koalition von Mas nicht stabil.“, sagt Maria Pallares, die für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid arbeitet und vier Jahre in Barcelona gelebt hat. „Das einzige verbindende Element der Koalition ist die Unabhängigkeit.“ Fraglich sei, ob die CPU überhaupt für Artur Mas als Regierungschef stimmen werde.
Konflikt als Lebensversicherung für den Politikunternehmer Mas
Seit 2010 ist der 59 Jahre alte Mas Regierungschef in Katalonien. „Ein Politikunternehmer“, sagt Felipe Ponce Garcia. Er arbeitet für die Partido Socialista Obrero Español (PSOE) in Madrid und ist im Strategieteam eines PSOE-Kandidaten für die nationalen Wahlen Ende des Jahres. Mas habe nach einem erfolgsversprechenden Thema gesucht und es ausgeschlachtet. Nur so entstünde jetzt diese konfrontative Stimmung zwischen der Zentralregierung und Katalonien. So sehen es viele.
„Seit Ende des Franco-Regimes gibt es einen Teil der katalonischen Gesellschaft, die sich als eigene Nation versteht und eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte beansprucht“, sagt Michael Ehrke, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid. Normalerweise stünden zwanzig, maximal dreißig Prozent hinter der Bewegung. Dass die Independentistas, wie die Unabhängigkeitsbefürworter genannt werden, jetzt so viel Zustimmung erhalten, sei durchaus auch ein Krisenphänomen.
Mas hat genauso wie die Zentralregierung in den vergangenen Jahren eine Sparpolitik durchgesetzt, unter der viele Menschen leiden. Einsparungen im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung machten auch vor einer der reichsten Regionen Spaniens nicht halt. Mas schiebt die Schuld auf die Zentralregierung. Ein unabhängiges Katalonien stünde besser dar, postuliert er.
„Im Fall Kataloniens muss man ganz klar sagen: Die haben die gleichen Fehler gemacht wie alle anderen Spanier auch. Die haben dieselbe Immobilienblase gehabt wie in Madrid“, sagt Sebastian Schoepp, langjähriger Dozent an der Universität Barcelona. Katalonien habe sich auch nicht mit Ruhm bekleckert.
Die schleppende wirtschaftliche Erholung bedrohte Mas Machterhalt. „Deswegen investiert er in den Konflikt“, sagt Ehrke, „aus Kalkül.“ Im Rest Spaniens werde das Unabhängigkeitsbestreben der Katalanen oftmals als Projekt der politischen Eliten abgetan. „Eine krasse Fehleinschätzung“, wie Maria Pallares sagt. Die Bewegung sei von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den vergangenen Jahren getrieben worden. Sie sei weit in der Gesellschaft verbreitet. „Diesen Diskurs hat Mas radikalisiert und ausgenutzt“, sagt Felipe Ponce Garcia. In den vergangenen Jahren hat sich in Katalonien alles um die Unabhängigkeit gedreht. Das habe zu einem Reformstau geführt. Einiges sei liegen geblieben, lautet es aus der Europäischen Kommission.
Eine Gesellschaft in Geiselhaft
Wie geht es jetzt nach den Wahlen weiter? Viele Beobachter halten eine Abspaltung Kataloniens für äußerst unwahrscheinlich. Das hat insbesondere zwei Gründe: die konservative Zentralregierung und die Europäische Union. Bei einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung würde Katalonien automatisch aus der EU ausgeschlossen. „Dessen sind sich die Katalanen nicht bewusst“, sagt Ehrke. Aber die Vertragslage sei eindeutig.
Sogar Angela Merkel äußerte sich zur Thematik. Die Integrität des spanischen Territoriums sei laut europäischen Verträgen ein Gut, das alle EU-Mitglieder schützen müssten. Auch aus der Europäischen Kommission in Madrid verlauten ähnliche, wenn auch zurückhaltendere Töne. Die Aufgabe der Europäischen Union sei es, Menschen zusammenzubringen, nicht sie zu spalten. Deswegen sehe man das, was in Katalonien passiere, kritisch.
Die einzige Möglichkeit, Katalonien in der EU zu behalten, wäre, wenn die Zentralregierung sich mit der katalanischen Regierung über ein offizielles Referendum verständigen würde. Dafür müsste aber erst die spanische Verfassung geändert werden. „Mehr als unwahrscheinlich“, sagt Ponce Garcia. Die derzeitige Regierung der konservativen Partido Popular (PP) ist erklärter Gegner der Autonomie. Sie möchte den Zentralstaat und ein vereintes Spanien beibehalten. Damit nimmt sie eine ganze Gesellschaft in Geiselhaft. Denn eine Lösung des Konflikts ist nur mit einer ernsthaften Diskussion über eine Reorganisation des spanischen Zentralstaats möglich.
Danach sieht es derzeit nicht aus. „Die Regierung neigt zu schweren Fehlern“, sagt FES-Büroleiter Ehrke. Kurz nach der Regionalwahl hat ein spanisches Gericht Artur Mas angeklagt. Kein Zufall, glauben viele. Er muss sich vor Gericht für das Referendum verantworten. Das sei zusätzliches Öl im Feuer. „Dadurch verstärkt sich die Konfrontation“, sagt Ponce Garcia. Die Unabhängigkeitsbefürworter sähen sich bestärkt.
Ein föderales System könnte die Lösung sein
Seine Partei, die PSOE, sei da gesprächsbereiter. Zwar stehe man einer Abschaffung des Zentralstaats skeptisch gegenüber, aber man sei bereit für einen offenen Dialog. Man könne durchaus über ein föderales System sprechen, aber dann für ganz Spanien mit allen Regionen. Eine Unabhängigkeit komme aber nicht in Frage.
Viele Politikwissenschaftler in Spanien sehen ein föderales System als den dritten Weg, als die Lösung zwischen Zentralstaat und Sezession. „Was die Kompetenzen der Regionen angeht, hat Spanien bereits so etwas wie ein föderales System“, sagt Ehrke. Nur die Mitspracherechte auf nationaler Ebene gibt es nicht. Zwar hat Spanien mit dem Senat eine zweite Kammer neben dem Parlament. Allerdings werden die Mitglieder direkt gewählt und sind nicht wie etwa im deutschen Bundesrat ernannte Vertreter der Regionalregierungen. Um das umzusetzen, bräuchte es eine Verfassungsänderung.
„Die nationalen Wahlen Ende des Jahres sind ein Schlüsselereignis“, sagt FES-Mitarbeiterin Maria Pallares. Denn die neue Regierung, wer immer dies sei, müsse das Thema Regionalismus als Priorität auf die Agenda setzen. Das Thema sei eine politische Herausforderung. Keine einfache Aufgabe. Eine Lösung des Konflikts sehen viele nur in einer Verfassungsreform. Die Diskussion darüber wäre ein langwieriger Prozess. Aber es wäre ein Unterfangen, das in Spanien schon lange auf der Tagesordnung steht. Es wäre eine Chance, den anhaltenden Separatismustendenzen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und es wäre ein Zeichen für ein vereintes Europa. Denn Separatismus und Europäische Integration passen nicht zusammen.