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Abhängige Ärzte!

Von Sagwas-Redaktion / 18. Januar 2012

Unsere Ärzte sind schizophren. Glaubt man den Ergebnissen einer Studie aus dem Jahre 2010 der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz, könnte man tatsächlich zu diesem Schluss kommen. Für diese Studie wurden niedergelassene Ärzte zum Umgang mit Pharmareferenten befragt. Beinah 80 Prozent der Ärzte erhalten einmal in der Woche Besuch von einem Abgesandten der […]

Unsere Ärzte sind schizophren. Glaubt man den Ergebnissen einer Studie aus dem Jahre 2010 der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz, könnte man tatsächlich zu diesem Schluss kommen. Für diese Studie wurden niedergelassene Ärzte zum Umgang mit Pharmareferenten befragt. Beinah 80 Prozent der Ärzte erhalten einmal in der Woche Besuch von einem Abgesandten der Pharmakonzerne. Im stressigen Arbeitsalltag ist so ein freundliches Gespräch mit einem fachkundigen Gegenüber eine nette Abwechslung. Zumal die Referenten meistens noch Arzneimittelproben, Schreibwaren oder Einladungen zum Essen im Gepäck haben. Von Einflussnahme will aber die große Mehrheit der Ärzte nicht sprechen. Im Gegenteil: Sie weist solch einen Vorwurf weit von sich. Nur sechs Prozent der befragten Mediziner gaben zu, dass die Besuche ihr Verhalten beim Verschreiben von Medikamenten zugunsten des Pharmakonzerns verändert hätten. Allerdings glaubten über 20 Prozent, dass ihre Kollegen durchaus anfällig seien für die Einflussnahme seitens der Pharmaindustrie. Ich bin unabhängig, meine Kollegen allerdings meistens nicht, könnte man das Ergebnis knapp zusammenfassen.

Schaut man auf die Umsätze der großen Pillenhersteller, dürfte das eine gewaltige Fehleinschätzung sein. Allein in Deutschland sind etwa 15.000 Pharmareferenten unterwegs, die mit kleinen und großen Aufmerksamkeiten um die Gunst der Rezeptblöcke buhlen. Jeder dieser Mitarbeiter kümmert sich meist nur um einige wenige Praxen (zwischen 10-15). Diese Intensivbetreuung zeigt Wirkung: Sparen die Pharma­konzerne an ihren Außendienstmitarbeitern, sinkt auch gleich der Umsatz. Kein Wunder, denn die Referenten sind keine einfachen Händler: Sie sind psychologisch geschulte Verkaufsprofis, ausgerüstet mit dem besten Handwerkszeug der Marketingindustrie.

Depressionen erwünscht

Besonders beliebt bei den Pharmafirmen sind Psychologen, Psychiater und Neurologen. Vielleicht weil ihre Diagnosen oft nicht einfach mit Blutbild oder Röntgenaufnahme belegt oder entkräftet werden können. Die menschliche Psyche ist eben in großen Teilen noch ein Mysterium. Die Pharma­konzerne freuen sich darüber, denn die Zahlen im Bereich Psychopharmaka sind seit Jahren steigend. Das kann daran liegen, dass wir tatsächlich immer häufiger an Depressionen und anderen seelischen Leiden erkranken, oder aber an besonders fleißigen Pharmareferenten. Letzteres wäre zumindest für die Volksgesundheit eine gute Nachricht.

Nicht alle Ärzte aber wollen sich dem Diktat der Pharmalobby beugen. So stehen zum Beispiel hinter der Initiative „Mein Essen Zahl Ich Selbst“ (MEZIS) Ärzte, die Pharmareferenten nicht mehr empfangen. Sie wollen sich ihre Unabhängigkeit bewahren. Mit weniger als 100 Einzelmitgliedern ist die Vereinigung noch klein, aber seit sich auch die kassenärztliche Vereinigung Bayerns zu den Richtlinien von MEZIS bekennt, sind es schon circa 30.000 Ärztinnen und Ärzte, die sich den Pharmareferenten bewusst entziehen.

Viele Kollegen aber schütteln den Kopf über solche Abweichler. Denn mit der Pharmaindustrie lässt sich auch Geld machen: Etliche Mediziner verdienen sich als Berater ein ordentliches Zubrot. Neben ihrer Tätigkeit als Arzt treten sie auf Kongressen auf, halten Vorträge oder schreiben Artikel im Auftrag der Pharmariesen. Was dafür genau bezahlt wird, bleibt im Dunkeln, doch Insider sprechen davon, dass 1.000 € das absolute Minimum seien. Auch hier weisen die ärztlichen Berater der Pharma­konzerne jede Abhängigkeit weit von sich. Das aufzugeben, sei ein großer Fehler, denn der Austausch zwischen Arzt und Industrie sei notwendig. Es gehe schließlich um die Verbesserung von Medikamenten, und es würden auch immer wieder gute Gespräche stattfinden.

Die Industrie schreibt mit

Besonders wichtig für Ärzte sind die so genannten Leitlinien, die von Fachgesellschaften herausgegeben werden. In den regelmäßig erneuerten Listen, werden Krankheitsbilder genau beschrieben und passende Behandlungen dafür vorgeschlagen. Diese Bücher nimmt jeder Mediziner regelmäßig zur Hand. Er orientiert sein Verhalten und die Vergabe von Medikamenten oft nach diesen Standardwerken der Medizin. Genau deshalb sind sie auch so wichtig für die Konzerne. Ob aber die an diesen Leitfäden mitschreibenden Mediziner auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie stehen, weiß niemand. Eine Veröffentlichungspflicht besteht nicht.

Zeit, das zu ändern! Oder nicht? Wie wollen wir in Zukunft mit dem Verhältnis Arzt – Pharmaindustrie umgehen?

Sollen wir den Umgang zwischen ihnen detailliert regeln? Oder alles so lassen wie es ist? Sollen wir die Ärzte zwingen, ihre Nebeneinkünfte offenzulegen? Oder Ärzten, die Geld bei der Pharmaindustrie verdienen, die Mitarbeit an den wichtigen Leitlinien untersagen?

Oder schneiden wir uns damit ins eigene Fleisch, weil wir das Verhältnis von Medizinern und forschender Industrie unnötig verkomplizieren und damit letztlich den medizinischen Fortschritt erschweren?

Was meint ihr?

2 Antworten auf „Abhängige Ärzte!“

  1. Von Henryks Bruder am 18. Januar 2012

    dieser beitrag passt wie die faust aufs auge, was meine furcht vor unbekannten ärzten angeht. mein hausarzt wird sich bald zur ruhe setzen und ich frage mich, wohin danach?
    ist es nicht schlimm, dass man kaum noch ärzten vertrauen kann, weil man nicht weiß, 1. ob sie einem richtig zuhören, da die zeit davon rennt, 2. ob er nur geld machen und deshalb alles schnell und fast schon anonym am fließband abfertigen will und eben 3. ob er im höflichen würgegriff irgendwelcher pharmareferenten steckt.
    was ist nur aus der mediziner-ehre und dem hippokratischen eid geworden????

  2. Von tzjab am 20. Januar 2012

    Ich würd meinen, dass Ärzte eher eine Nebenrolle spielen, wenn Pharmakonzerne rein nach Rendite-Aspekten vertreiben und forschen. Übel, wenn man liest, dass wirksame Substanzen unter Verschluss gehalten würden, weil sonst irgendwelche Kassenschlager überflüssig wären. Man sollte die ganze Branche unter Eid stellen.

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