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Alle Jahre wieder – zwei Monate trainieren, ein Jahr lang bezahlen

Von Sebastian Krieger / 22. Januar 2020
picture alliance / Westend61 | gpointstudio

Zu Weihnachten sind die Kirchen voll, im Januar die Fitnessstudios. Spätestens im März ist es mit den guten Vorsätzen aber wieder vorbei. Nur der Vertrag läuft indes weiter. Warum gehen die Leute nicht einfach draußen laufen?

Zu Beginn des Jahres gehen noch weniger Trainer*innen durch das Studio als gewöhnlich. Sie werden am Counter gebraucht, wo sie Mitgliedsanträge bearbeiten. Dann nämlich verzeichnen McFit, FitnessFirst und Co. die meisten Neukund*innen. Im Netz sprechen Expert*innen davon, dass bis zu 20 Prozent der Neuverträge eines Jahres im Januar abgeschlossen werden. Die guten Vorsätze sind ja auch noch frisch, Weihnachtsgeld ist übrig und überhaupt, die ersten Monate sind „super günstig“! Mehr als elf Millionen Menschen waren 2018 in Deutschland Mitglied eines Fitnessstudios – doppelt so viele wie 2007.

Die günstigen Fitnessstudios sollten Anfänger*innen aber meiden, rät Dr. Mara Konjer, Sportwissenschaftlerin an der Uni Münster. „Dort gibt es oft nur eine kurze Einweisung. Aber gerade, wenn man das erste Mal Sport macht, müsste man am Anfang intensiv betreut werden.“ Konjer zeigt sich deshalb wenig überrascht, dass viele Neukund*innen bereits nach kurzer Zeit wieder aufhören. Wer die Übungen falsch macht, sieht keine Erfolge oder bekommt Schmerzen. Ihr Tipp: „Geht in einen Sportverein, da erlebt ihr schönere Dinge!“

Dass Sportverein und Fitnessstudio sich nicht ausschließen müssen, betont Dr. Mischa Kläber vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB): „Rund 3.000 Sportvereine betreiben eigene Fitnessstudios, die kommerziellen Studios in nichts nachstehen, aber deutlich geringere Kosten mit sich bringen“. Sie reagieren damit auf die Anforderungen ihrer Mitglieder nach mehr Flexibilität.

Ratternde Laufbänder, stöhnende Sportler und trashige Werbung

Trotzdem entscheiden sich viele Menschen für kommerzielle Sportstudios. Vor allem die Laufbänder dort sind beliebt. Weihnachtsbraten, Glühwein und Schokolade müssen schließlich schnell abtrainiert werden. Bewegung an der frischen Luft wird dagegen weniger geschätzt. Oder wie Pierre Geisensetter, Sprecher der McFit-Kette den Zulauf am Jahresanfang erklärt: „Draußen ist es zu dieser Zeit eher ungemütlich, zudem erschweren Regen, Glätte und Schnee das Outdoor-Training.“

Zusätzliche Vergünstigungen, hoffen die Betreiber, locken sogar noch mehr Menschen ins Fitnessstudio – draußen Kälte, drinnen Rabatte. Klingt doch einladend! Und so, scheint es, sollten sich die sportlichen Vorsätze für’s nächste Jahr mit dieser Formel locker in die Tat umsetzen lassen. Aber ganz so simpel ist es nicht.

Laufbänder rattern mechanisch vor sich hin. Im Hintergrund läuft ein Mix aus Disco- und Technomusik, der nur durch Werbung für Trash-TV-Formate und die neuen Group-Workouts unterbrochen wird. Vollendet wird dieser unverwechselbare Soundtrack durch das laute Stöhnen testosterongeschwängerter Muskelmänner im Sport-Top, die publikumswirksam mit letzter Kraft Gewichte stemmen. Ein weiterer Grund übrigens, warum es in vielen Studios inzwischen eigene Trainingsbereiche für Frauen gibt. „Wir wissen aus Amerika, dass 60 Prozent der Frauen den Freihantelbereich nicht nutzen, weil sie sich dort beobachtet, beurteilt oder sportlich inkompetent fühlen“, erklärt Mara Konjer. „Darauf haben kluge Fitnessstudios reagiert und Frauenbereiche geschaffen, um dieses Klientel nicht zu verlieren.“

Maschinen geben die Bewegung vor, die Freiheit bleibt zu Hause

Eigentlich ist es komisch: Im Grunde haben wir zu Hause alles, was wir für ein Workout brauchen – mit dem eigenen Körpergewicht. Es schenkt uns nachhaltigen Genuss der Bewegung. Der sei im Training an Geräten nicht möglich, ist Monika Roscher, Privatdozentin für Ästhetische Bildung an der Philipps-Universität Marburg, die seit 2014 auch Sportethik an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität lehrt, überzeugt. „Was wir im Fitnessstudio empfinden, ist keine Lust an der Bewegung, sondern ein Moment der Herrschaft über den eigenen Geist“, sagt sie. Das sei weder nachhaltig noch ästhetisch. Disziplin ist für Roscher jedoch die Bedingung für das Erleben von Freiheit. „Wenn ich einem formvollendeten Körper begegne, ist das ein Augenblick wahren künstlerischen Schaffens. Das ist der Moment, wo dieses achtsame, ewige, jahrelange Üben in Freiheit übergeht. Diese Freiheit kann sich nicht ereignen, wenn ich automatisiert an Maschinen hänge.“

Zum Glück reißen die zahlreichen Bildschirme einen schnell aus Gedanken wie diesen. Dort präsentieren Sportmarken ihre Produkte und Instagram-Influencer*innen ihre perfekten Körper. Doch wer genau hinschaut, entdeckt einen wesentlichen Unterschied zur eigenen Umgebung: In Wettkämpfen treten die Bildschirm-Stars an Barren gegeneinander an, machen Stabhochsprung in Innenstädten, trainieren auf einem Autohof. Kurzum: Man sieht, wie jemand draußen das freie Spiel der Kräfte entdeckt und sich gerade nicht von Maschinen die eigene Bewegung vorschreiben lässt.

Auch Sportwissenschaftlerin Konjer beobachtet einen Trend weg von reinem Krafttraining im Studio. Den zeige zum Beispiel die wachsende Cross-Fit-Szene: „Da arbeitest du mit dem eigenen Körper oder so altmodischen “Geräten“ wie Medizinbällen. Und die Studios reagieren auf diesen Wunsch. Den meisten Leuten ist reiner Kraftsport zu stumpf.“

Überhaupt, es ist ja nicht alles schlecht an der Welt der Studios. Wenn es draußen dunkel ist und man keinen Bock hat, zwischen parkenden Autos und Fahrrädern Slalom zu laufen, dann ist es sehr angenehm, wenn das Gym durchgängig geöffnet hat. Auch dass es dort eine Klimmzugmaschine mit Gegengewicht gibt, an der man auch dann Klimmzüge machen kann, wenn einem das eigene Gewicht noch zu schwer ist – praktisch! Und es ist durchaus motivierend, wenn man sich dort von Woche zu Woche steigern kann.

Im Frühling klappt es dann bestimmt auch mit dem ansehnlichen Klimmzug an der Turnstange auf dem Spielplatz. Dumm nur, wenn das teure Studioabo dann noch weiterläuft…

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