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Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen

Von Christina Mikalo / 8. Januar 2021
picture alliance / Jan Eifert | Jan Eifert

Aufforstung liegt im Trend. Bäume gelten als Wundermittel gegen den Klimawandel. Doch was nach einer guten Idee klingt, ist oft mehr Marketing als nachhaltiger Klimaschutz. Oder zumindest wenig durchdacht.

Alle, so scheint es, lieben heutzutage Bäume. In den vergangenen Jahren hat sich ein regelrechter Dschungel an Aufforstungsinitiativen und Waldprojekten gebildet. Zahlreiche Unternehmen versprechen, für den Kauf ihres Produkts einen Baum zu pflanzen. Und selbst notorische Leugner des Klimawandels wie der noch amtierende Präsident der USA, Donald Trump, schließen sich dem Baum-Hype an.

Auf den ersten Blick scheint dieser Trend durchaus seine Berechtigung zu haben: Wälder speichern CO2 und können dadurch der Erderwärmung tatsächlich entgegenwirken. Daran zweifeln ExpertInnen inzwischen kaum noch, wohl aber an der Interpretation und Umsetzung dieses Fakts.

Bäume sind kein Allheilmittel für die Klimakrise

Denn Aufforstungsenthusiasten erwecken schnell den Eindruck, als seien Bäume die ultimative Rettung in der Klimakrise. ForscherInnen der Technischen Hochschule Zürich (ETH) veröffentlichten 2019 im Fachmagazin Science eine Studie, in der sie die These aufstellen, dass Aufforstung das effektivste Mittel gegen den Klimawandel sei.

Dem widersprachen zahlreiche kritische WissenschaftlerInnen kurze Zeit später. In einer ebenfalls in Science publizierten Stellungnahme schrieben sie, dass der Einfluss von Wäldern auf das Weltklima geringer sei, als die VerfasserInnen der Studie behaupteten. Anstatt sich nur auf Bäume zu konzentrieren, so der Tenor, sollte man beispielsweise auch Moore, Savannen und Grasland schützen, die deutlich mehr CO2 speicherten als bislang angenommen.

Zu wenig Raum für den Baum

Doch von einer solch umfassenden ökologischen Betrachtungsweise sind viele Aufforstungs- und Waldschutzprojekte weit entfernt. Statt Vielfalt setzen sie auf Masse und versuchen UnterstützerInnen mit opulenten Versprechen zu ködern. So will etwa die 2007 von einem damals neun Jahre alten deutschen Unternehmersohn gegründete Stiftung Plant-for-the-Planet nicht weniger als 1000 Milliarden Bäume auf der Welt pflanzen.

Die Frage, die sich KritikerInnen dieses Vorhabens stellen: Wo sollen diese ganzen Bäume Platz finden? Bereits heute entfallen etwa 37 Prozent der weltweiten Landfläche auf Agrarböden. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung wird der Bedarf an landwirtschaftlich genutzter Erdoberfläche in Zukunft wohl noch steigen.

Wo Bäume mit dem Platzbedarf von Menschen um (Nutz-)Fläche konkurrieren, gibt es ein Problem. Viele Aufforstungsinitiativen – darunter die grüne Suchmaschine Ecosia – pflanzen deshalb laut eigenen Angaben in Gebieten, in denen die lokale Bevölkerung an der Aufforstung mitwirken kann und zugleich ein hoher sozialer und ökologischer Ertrag erzielt wird. Etwa im pazifischen Tiefland von Nicaragua, wo Bäume der Gefahr einer Bodenerosion entgegenwirken und die Wasserversorgung verbessern sollen.

Mit dem Pflanzen allein ist es nicht getan

In der Theorie klingt das gut. Doch bis aus einem frisch gepflanzten Setzling ein (wirkungs-)mächtiger Baumriese wird, vergehen meist Jahrzehnte. Und bis dahin kann alles Mögliche passieren, was den BefürworterInnen von weltweiter Aufforstung einen Strich durch die grüne Rechnung macht. Eine solche Kritik wird nicht gern gehört, selbst wenn sie sich als wahr erweist.

Das fängt schon bei der Auswahl der Bäume an. Verschiedene Arten haben verschiedene Ansprüche an ihren Standort. Aufgrund des Klimawandels ändern sich die Standortbedingungen aber so schnell, dass sich viele Bäume nicht ausreichend anpassen können. Neue Baumsorten, mit denen ForscherInnen derzeit experimentieren, laufen Gefahr, einzugehen oder die heimische Tier- und Pflanzenwelt zu verdrängen.

Dazu brauchen frisch gepflanzte Setzlinge umfassende Pflege und zusätzlichen Schutz vor Umweltkatastrophen, Abholzungen und Rodungen. Bekommen sie dies nicht, ist der neue Wald oft schneller wieder zerstört, als die Initiativen mit dem Aufforsten nachkommen.

„Reiner Aktionismus hat bisher nur selten zum Ziel geführt. Beim Bäumepflanzen muss man sich genau anschauen, wo gepflanzt wird, was gepflanzt wird und wie es anschließend bewirtschaftet wird“, fasst der Forstberater Lorenz Freiherr Klein von Wisenberg gegenüber dem Magazin Utopia zusammen.

Statt grünem Konsum lieber weniger Konsum

All das macht die Aussaat von Samen und das Pflanzen unzähliger Setzlinge zu einer komplexen und langfristigen Aufgabe. Bewaldung ist nichts, was sich mal eben mit einem Griff ins Supermarktregal erledigen lässt. Viele Unternehmen und Initiativen vereinfachen jedoch das Thema Klimaschutz mit ihren Aufforstungsversprechen und bieten einen falschen Anreiz: dass (“richtiger“) Konsum die Erderwärmung stoppen kann.

Dadurch kann schnell der Glaube entstehen, dass sich durch ein paar Milliarden neu gepflanzter Bäume jeder CO2-Ausstoß kompensieren lässt – quasi ein Freischein, um weiter so zu machen wie bisher? Das ist falsch. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn statt anders weniger als bisher konsumiert und emittiert wird und wenn bestehende natürliche Kohlenstoffspeicher geschützt werden, damit Menschen aus ärmeren Ländern ihre Existenz auf andere Weise als durch das illegale Abholzen von Wäldern sichern können.

Erst wenn all das beachtet wird, kann Aufforstung – unter der fortwährenden Berücksichtigung zahlreicher ökologischer Faktoren und ihrer wechselseitigen Wirkung – ein Teil der Lösung für die Klimakrise sein. Aber nicht die Lösung, wie es AnhängerInnen von Pflanzprojekten immer wieder gern öffentlichkeitswirksam suggerieren. Wer so denkt, übersieht das dringend benötigte System Wald vor lauter Bäumen.

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