Der Abfluss ist nicht für alles da
Nicht nur das Meer wird viel zu oft als Müllkippe missbraucht. Ein Blick in unsere Abwässer zeigt: Zu viele Menschen zollen dem lebenswichtigen Element Wasser zu wenig Respekt.
Der Umzug ist geschafft und nun türmen sich Lacke, Terpentin, Tuben mit Spachtelmasse und Farbeimer im Flur. Nur wohin damit? Oder: Das Medikamentenschränkchen quillt über und die Hälfte der Arzneimittel ist abgelaufen. Manche Leute sehen in der Toilette die vermeintliche Rettung. Was aber passiert eigentlich, wenn diese Stoffe in der Kläranlage landen?
„Medikamente und Chemikalien nicht ins Abwasser schütten!“
Sabine Thümler von der Berliner Stadtreinigung (BSR) sagt, dass viele Bürger einfach nicht wissen (wollen), wie diese sorgsam mit ihren haushaltsüblichen Chemikalien und Medikamenten verfahren müssen. Doch bei fast zwei Millionen Haushalten in der Bundeshauptstadt folgt aus solchem Nichtwissen ein großer Schaden für alle. „Eigentlich sollte man Medikamente gar nicht entsorgen müssen, weil hoffentlich nur die Arzneimittel verschrieben werden oder im Medikamentenschrank stehen, die auch wirklich benötigt werden. Das schuldet man der Gesundheit und dem Gemeinwohl, das die Arzneiausgaben finanziert“, sagt die Pressesprecherin.
Doch Thümler weiß, dass es Notlösungen für abgelaufene Arzneien geben muss. „Deren Entsorgung wird bundesweit sehr unterschiedlich gehandhabt. Aber wo die Medikamente auf gar keinen Fall hingehören, ist in die Toilette oder ins Abwasser!“ Thümler verweist auf das Beispiel Antibiotika. „Damit haben die Klärwerke ein Problem, weil sich die Stoffe aus dem Wasser kaum wieder herausfiltern lassen, sodass dieser Entsorgungsweg zu gesundheitlichen Problemen der Bevölkerung führen kann.“ Tatsächlich ist aber genau diese Handhabe nicht unüblich: Eine Untersuchung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) 2016 ergab, dass 47 Prozent der Deutschen sich ihrer Altarzneien über das Abwasser entledigen.
Apotheken können helfen
Die bessere Alternative ist Thümler zufolge, wenn Berliner Bewohner ihre Altmedikamente zurück zur Stammapotheke bringen. In Berlin kann die schwarze „MEDI-Tonne“ bei der BSR bestellt werden. Sie ist mit einem orangfarbenen Sticker gekennzeichnet für „Altmedikamente, gemischte Siedlungsabfälle und nichtinfektiöse medizinische Abfälle“ und kostet die Apotheke bei 120 Litern Fassungsvermögen und 14-tägigem Abholungsrhythmus rund 12,50 Euro im Monat. Im Müllheizkraftwerk in Ruhleben wird der gesammelte Inhalt anschließend verbrannt. Der dabei entstehende Heißdampf wird zur Strom- und Fernwärmeerzeugung genutzt. Kreislaufwirtschaft vom Feinsten.
Nur ganz so einfach ist es nicht. Weder was die Mitmachquote der Kunden angeht noch die Beteiligung der Apotheken. Die Politik wird diese Bequemlichkeit geahnt haben und beschloss: Altarzneimittel zählen rechtlich betrachtet – ausgenommen Sondermüll – zum Siedlungsabfall und dürfen seit Juni 2005 prinzipiell doch in den Hausmüll.
Das hat dem eigentlich bewährten System nicht gerade geholfen. Auch in Berlin werden nur zwei Drittel der schwarzen Tonnen thermisch verwertet, knapp ein Drittel geht ohnehin noch immer in andere Anlagen, die nicht für Medikamente zugelassen sind. „In der Hausmülltonne können wir leider die richtige Entsorgung von Medikamenten nicht sicherstellen“, gibt Thümler zu bedenken. In anderen deutschen Gemeinden werden Anwohnern aus Sicherheitsgründen deshalb immer häufiger Schadstoffmobile oder Schadstoffannahmestellen angeboten.
„Manche Tabletten ähneln Smarties“
Dass solche städtischen Anlaufstellen weiteren Schaden verhindern könnten, sagt auch Evi Thiermann, Pressesprecherin des Abfallwirtschaftsbetriebs München. „Medikamente könnten grundsätzlich im Restmüll entsorgt und in einer normalen Müllverbrennungsanlage thermisch verwertet werden. Allerdings ist es ratsam, Arzneien auf ihrem Entsorgungsweg auch gegen Missbrauch zu schützen.“
Sabine Thümler konkretisiert besorgt: „Da können Kinder dran gelangen – manche Tabletten sehen ja aus wie bunte Smarties. Andere Menschen suchen gezielt nach Medikamenten.“ Ihr zufolge verhindert nur die vollständige thermische Verwertung, dass übrig gebliebene Medikamente letztlich nicht doch irgendwie im Grundwasser landen und damit die Gesundheit der gesamten Bevölkerung belasten.
Nur Müll oder Sondermüll? Das ist die Frage
Laut dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) sind die Bürger selbst verpflichtet, „eine Gefährdung Dritter und die Wiedergewinnung der Arzneimittel für Unbefugte“ auszuchließen. Deswegen müssen folgende Stoffe als „Sondermüll“ behandelt werden: Spritzen und Kanülen (infektiöse Gegenstände), Impfstoffe und blutgetränkter Abfall (infektiöse Materialien), Chemotherapeutika, Chemikalien, Verbandsmittel, Asthmasprays und Quecksilberthermometer.
Kanülen oder Spritzen dürfen nur in einer Ausnahme in den normalen Hausmüll: wenn sie in einem Kanüleneimer „durchstichsicher“ verpackt sind. Kortisone und Salben hingegen müssen bei beschädigter Tube zwingend in den Sondermüll. Nur bei unbeschädigter Tube dürfen sie im Hausmüll entsorgt werden.
Mit Schadstoffsammelstellen auf Nummer sicher
Chemikalien können prinzipiell krebs- und erbgutverändernd, umweltschädlich, explosiv, brennbar oder gasbildend sein – so etwas gehört deshalb unter keinen Umständen ins Abwasser. Deshalb sollten etwa Farbreste, Lacke, Haushalts- und Autobatterien in den Schadstoffsammelstellen (in Süddeutschland: Problemstoffsammelstellen) immer in den örtlichen Recycling- bzw. Wertstoffhöfen abgegeben werden.
Nur das sei umweltgerecht, betont Sabine Thümler von der BSR. „Ein Teil der haushaltüblichen Chemikalien wird in Sonderabfallverbrennungsanlagen entsorgt, andere Reststoffe gehen – soweit möglich – auch noch einmal in eine Art Aufbereitung. Es gibt eine Sonderabfallgesellschaft Berlin-Brandenburg, die die entsprechenden Anlagen für bestimmte Stoffströme aus dem Bereich des Sonderabfalls zuweist.“ Nur durch diese zusätzlichen Anlagen kann die BSR mit der Menge und Vielfalt an Müll zurechtkommen.
Wer es ganz genau wissen will: Auch Insektizide, Abflussreiniger, Unkrautvernichter und Schimmelentferner gehören in die Schadstoffstellen. Sich dafür im Zweifel mit den Nachbarn zusammenzutun, hilft doppelte Wege zu vermeiden wie auch den lokalen Zusammenhalt zu stärken. Und der Umwelt hilft es sowieso.