Die bürokratische Essenz des Ichs
Wer in ein anderes Land einreisen will, braucht einen Reisepass. In der Flüchtlingskrise entscheidet er mit darüber, wer in Deutschland bleiben darf. Das Dokument ist Beleg für die Organisation der Welt in Nationalstaaten – und ihr Versagen.
Ein paar hundert Euro kostet ein Pass im Internet. Wer sich dort auf die Suche begibt, findet schnell die ersten Angebote. „Wir bieten nur original hochwertigen echten Pässen“, heißt es auf einer Seite, deren Betreiber nicht zu identifizieren ist. Per E-Mail soll man dort für wenig Geld eine neue Identität in Auftrag geben können.
In der Flüchtlingskrise entscheiden die kleinen Papierheftchen mit über Erfolg und Nichterfolg von Asylanträgen – und damit über das Schicksal der Besitzer. Syrische Pässe sind plötzlich Gold wert. Viele Geflüchtete hoffen aufgrund der hohen Anerkennungsquote der Asylanträge von Syrern1, damit eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen. Dementsprechend viele Händler bieten Geflüchteten aus anderen Ländern die gefälschten Pässe auf den Routen nach Europa zum Verkauf an. Doch wie leicht man die sogenannten Identitätsdokumente fälschen kann, zeigt auch, wie wenig sie über uns aussagen.
Ausweisdokumente seit dem Mittelalter
Ausweise sind lediglich die bürokratische Essenz der eigenen Person. Das sagt der österreichische Historiker Valentin Groebner. In dem Buch „Der Schein der Person“ untersucht er die Geschichte des Reisepasses. Ausweisdokumente gibt es laut Groebner seit dem Mittelalter. Im 13. Jahrhundert begannen verbündete Städte, die Namen gesuchter Verbrecher auf Listen zu sammeln – allerdings nur die Namen, ohne weitere Details.
Erst im 15. Jahrhundert kamen zu den Namen auch Personen- bzw. Kleidungsbeschreibungen dazu. Zeitnah entwickelten sich sogenannte Begleitpapiere. Dazu gehörten unter anderem Gesundheitszeugnisse, die während der Pestepidemien mitgeführt werden mussten. „Auf ihnen wurde bescheinigt, wer der Reisende ist und dass er nicht aus einer von der Seuche betroffenen Region kommt“, so Groebner. Während der Besitz eines offiziellen Ausweisdokuments Anfang des 15. Jahrhunderts noch ein seltenes Privileg gewesen sei, „war sein Fehlen am Ende des 17. Jahrhunderts bereits ein Delikt, auf das empfindliche Strafen standen“.
Die Macht der Reisepässe
Heutzutage ohne Reisepass über Ländergrenzen hinweg zu reisen, ist außerhalb Europas praktisch unmöglich. Der Reisepass ist die Zutrittsgenehmigung in andere Länder, die je nach Nationalität unterschiedlich gerne erteilt wird. So gibt es Rankings der mächtigsten Reisepässe der Welt. Sie zeigen, mit welchem Dokument man besonders leicht Aufenthaltsgenehmigungen in anderen Staaten erhält. Deutschland, die USA und Großbritannien liegen dabei meist vorne. Besonders schlecht schneiden afrikanische Länder ab. An internationalen Konferenzen können Bewohner des Kontinents häufig nicht teilnehmen, weil ihnen ein Visum verweigert wird, etwa aus dem Verdacht heraus, sie könnten nicht in ihr Heimatland zurückkehren wollen.
An Flughäfen ermahnen große Schilder die Reisenden: „Bitte halten Sie ihre Identitätsdokumente bereit.“ Das Bundeskriminalamt schreibt auf seiner Webseite, dass es die Dokumente „mittels mikroskopischer, spektroskopischer und materialanalytischer Methoden“ überprüft.
Dass es dabei viel Identität entdeckt, bezweifelt Jan-Christoph Marschelke. „Das Dokument spiegelt formal betrachtet lediglich die bürokratisch-bürgerliche Identität wider, nicht die biografisch-persönliche“, sagt der Wissenschaftler der Universität Regensburg, der sich mit der Frage von Identität beschäftigt. Die Angaben in Pässen – Größe oder Augenfarbe beispielsweise – sagen nur wenig über uns aus. Sie werden zwar vom Staat genutzt, um unsere Identität festzustellen. „Wenn wir von Identität sprechen, hat dies aber mit der Frage zu tun, wer wir sind und wie wir unsere Lebensaufgaben bewältigen“, sagt Marschelke.
Erschütterliche Identität
Reisepässe sind vor allem Beleg für den Siegeszug der und die Organisation der Welt in Nationalstaaten. Die stetige Entwicklung unserer Identität passt nicht auf die wenigen Seiten des Dokuments. Die Situation der Flüchtlinge macht dies besonders deutlich. Viele von ihnen haben in ihrer Heimat und auf der Flucht Gewalt erlebt und sind traumatisiert. „Die massive Missachtung durch Andere kann bereits zu einer schweren Erschütterung der eigenen Identität führen“, sagt Marschelke. Dazu werden sie aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen – aus der eigenen Familie, der Sprach- und Religionsgemeinschaft. „Sie arbeiten außerdem nicht mehr in ihren Beruf und verlieren so den Status, den sie durch ihn errungen haben.“
Zu dieser Verunsicherung kommt die neue Umgebung, die einerseits fremd ist und in der es oft viele rechtliche Beschränkungen gibt. Geflüchtete dürfen sich in Deutschland nicht aussuchen, wo sie wohnen und arbeiten. Durch die Residenzpflicht dürfen sie sich nicht einmal frei bewegen. „Es sind auch rechtliche Bestimmungen, die sie daran hindern, sich wieder eine vertraue Umgebung aufzubauen, die für die eigene Identität und Lage wichtig wäre“, sagt Marschelke. Identität habe viel damit zu tun, die Kontrolle über den eigenen Alltag zu haben. „Einige Flüchtlinge können mit der Identitätsänderung besser umgehen als andere“, sagt Marschelke. „Aber niemand ist unerschütterlich.“
Nationalität polarisiert seit Jahrhunderten
Während bei der Identität das soziale Umfeld eine große Rolle spielt, ist es mit der Nationalität und damit dem Reisepass sehr viel einfacher: Diese kann man nämlich einfach kaufen. Allein in der Europäischen Union bieten unter anderem Spanien, Portugal und Malta an, eine Staatsbürgerschaft zu vergeben, wenn der Bewerber eine gewisse Summe in den Staat investiert. Dass Nationalität damit so leicht zu erwerben ist wie ein Auto oder eine Immobilie, ist wahrscheinlich nicht jedem Anhänger einer nationalen Bewegung klar. Denn diese betrachten Nationalität als ein Gut, das man nur durch Geburt und Blut erhalten sollte.
Dass Nationalität so polarisiert, hat laut Marschelke historische Gründe. „Der Nationalismus hat im 18. Jahrhundert ein legitimatorisches Vakuum gefüllt, das durch das Ende des Absolutismus als Herrschaftsform und das Fortschreiten der Säkularisierung entstanden war.“ Bis heute hält sich der Glaube an die Nation.
Am Ende hat wahrscheinlich der Schriftsteller Berthold Brecht recht, der unter Hitler-Deutschland selbst zum Geflüchteten wurde und im Exil seine wichtigsten Werke schrieb: „Der Pass ist der edelste Teil an einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und Weise, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.”
1 http://www.proasyl.de/de/themen/zahlen-und-fakten/
Zitat >>>
„Geflüchtete dürfen sich in Deutschland nicht aussuchen, wo sie wohnen und arbeiten. Durch die Residenzpflicht dürfen sie sich nicht einmal frei bewegen.
>>> Lea zu Ende zitiert!
Geflüchtete oder Flüchtlinge: Was soll’s? Sie dürfen in Deutschland immerhin residieren. Die große Mehrheit darf das einstweilen sogar widerrechtlich. Wem dieses Residieren als lästige Pflicht erscheint, der kann speziell als ILLEGALER GRENZGÄNGER (spanisch: clandestino) dieses liberal geartete Land auch gerne wieder verlassen.
Lea Deuber: Es ist klar, daß du hier auf einer linken Platform mehr oder weniger linksgerichteten Zeitgenossen der weltfremden Sorte imponieren möchtest. Aber laß die Kirche dennoch im Dorf!
Es ist dir ja auch bekannt, wie die Verhältnisse in Deutschlands östlichen Nachbarstaaten geartet sind. In Polen und in Tschechien haben die Staatschefs eine dir und anderen Linken diametral entgegenstehende Sichtweise.
Einmal wird hierzulande von Flüchtlingen gesprochen, dann aber wiederum von Asylbewerbern. Was die Flüchtlinge betrifft, so werden sie im Ausland (nicht nur in Ungarn) als solche weitestgehend negiert. Man will sie also nicht haben. Mit Asylbewerbern verhält es sich so, daß sie in Japan, falls sie dort überhaupt erscheinen, ABGELEHNT werden, weil
sie fast nie ihre Papiere mitbringen. Kein Mensch interessiert sich dort für die Frage, warum sie keine Papiere dabei haben. Da wird erst gar nicht danach gefragt.
Das Wochenblatt „Zeit“ wußte aus diesem Land zu berichten und verfaßte einen „ergooglebaren“ Artikel mit der Überschrift „Japan und seine sechs Flüchtlinge“,
Flüchtlinge kommen in Japan allenfalls auf dem Flughafen an. Wer mit dem Flugzeug dort ankommt, hat von Haus aus schlechte Papiere, egal ob er welche dabei hat oder nicht. Aber Japan soll trotzdem sehr touristenfreundlich sein. Deutsche, die in Japan landen haben gute Papiere. Aber man sollte auch als deutscher Tourist in Japan seine Papiere dabei haben. Als Einwanderer werden Deutsche genausowenig
akzeptiert wie andere. Es hat in diesem Land nämlich maximal 2% Ausländer. Dabei wird es auch bleiben.
Vielleicht haben sich die linken Zeitgenossen sich über die japanischen Verhältnisse noch nicht sonderlich informiert. Nach ihren Kategorien wäre aber die japanische Regierung als eine rechtsextremistische zu bezeichnen. Nun, wenn man ein Brett vor dem Kopf hat, wird man kaum über den Suppentellerrand hinausblicken und Japan erst gar nicht wahrnehmen. Für einen linken Kiezideologen ist es halt doch ein bißchen weit weg.
Also liebe Lea: Immer schön die Kirche im Dorf lassen; zwischendurch auch mal ein Fernrohr zu sich nehmen. Vielleicht auch mal danach fragen, ob dein Aufsatz außerhalb linker Zirkel als Desinformation aufgefaßt werden könnte.
CQ (DD)