„Die Digitalisierung ist für die Politik kein Allheilmittel“
Online-Portale von öffentlichen Ämtern, Info-Seiten zu Wahlen und kommunale Bürgerhaushalte: Die Digitalisierung ist auch in Politik und Verwaltung angekommen. Die sogenannte E-Democracy steht in Deutschland aber erst am Anfang, sagt Daniel Roleff, Referent für digitale Kommunikation bei der Berliner Senatsverwaltung und Sprecher auf der #DigiKon15.
Ein Interview von Daniel Lehmann
Herr Roleff, was bedeutet E-Democracy für Sie?
E–Democracy ist für mich die Fortführung demokratischen Lebens und Handelns im digitalen Raum. In der Literatur wird auch ein Konzept von E-Democracy beschrieben, das losgelöst und eigenständig von tatsächlichen analogen Vorbildern und Grundlagen existiert. Da wird dann oft der Fokus auf die freiheitliche und dezentrale Struktur des Netzes gelegt und diese mit politischen Deutungen gefüllt. Ich als Verwaltungsangestellter sehe aber eher die pragmatische Verbindung.
Wie beurteilen Sie das Ausmaß von E-Democracy in Deutschland? Wo steht die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Die Bundesrepublik ist bemüht, wäre die Kurzantwort. Gerade im Bereich E-Government und E-Administration ist Deutschland dabei, sich dem digitalen Status Quo vieler Bürger anzunähern. Das bedeutet digitale Service- und Partizipationsangebote, Zugang zu Informationen und digitale Konsultationsprozesse. Generell kann man sagen, dass es in einem Flächenland wie Deutschland schwieriger ist, sich politisch zu digitalisieren, als in kleineren Staaten wie zum Beispiel Estland, den Niederlanden oder der Schweiz.
Estland gilt als Paradebeispiel in Sachen Digitalisierung der Politik. Was ist dort so besonders?
Estland ist vor allem in Sachen E-Voting Vorreiter. Kein anderes europäisches Land ist in diesem Punkt derart durchdigitalisiert. Bereits 2007 fanden in Estland die ersten rechtlich bindenden Onlinewahlen statt. Mittlerweile können die Bürger sogar per Handy wählen. Dennoch ist die Wahlbeteiligung deutlich geringer als in Deutschland. Die Infrastruktur allein bringt demnach nichts.
Ist eine digitale Wahl nach estnischem Vorbild in Deutschland trotzdem wünschenswert?
Hier greift ein wichtiger Aspekt, der nicht nur für Wahlen gilt: Das „e“ in E-Democracy darf nicht für „exklusiv“ stehen. Eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Bislang war es so, dass der Personalausweis und die Wahlbenachrichtigung gereicht haben, um in Deutschland wählen zu können. Würde man nun E-Voting forcieren, käme noch ein Computer oder ein ähnliches Gerät mit Internetzugang hinzu. Zwar sind die deutschen Haushalte in hohem Maße technologisiert. Es wäre aber falsch, dies vorauszusetzen, weil dadurch auf jeden Fall Menschen ausgeschlossen würden. E-Voting ist auch keine Lösung, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Es wählt niemand von zu Hause aus, der nicht ohnehin wählen gehen wollte.
Wo gibt es hierzulande noch Potenzial? Was ließe sich kurz- oder mittelfristig verbessern?
Das sind spannende Fragen, die auch bei meinem Panel bei der #DigiKon15, der Digitalisierungskonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung, besprochen werden. Daher will ich hier nicht alles vorwegnehmen. Generell kann man feststellen, dass es einige vielversprechende Versuche gegeben hat, sich innovativ auf neue Pfade zu bewegen, von denen aber viele schlussendlich gescheitert sind. Die Gründe liegen nicht nur auf der Seite der Anbieter, die vermeintlich schlechte Angebote gemacht hätten, sondern auch auf der Seite der Nachfrager und der Umsetzer. Dazu dann mehr auf der Konferenz.
Welche Entwicklungen können die Bürger in den nächsten Jahren erwarten?
Der bisher begangene Weg ist nicht mehr umkehrbar, das ist klar. Und sicher ist auch, dass die Politik sich weiterhin bemühen wird. Das Thema ist bekannt, es gibt immer weniger typische Verweigerer-Institutionen in Politik und Verwaltung. Der Bürger kann also auf ein immer größeres digitales Service-Angebot und erweiterte Kommunikations- und Konsultationskanäle hoffen. Ob Letzteres wirklich einen demokratischen Mehrwert hat, bin ich mir nicht so sicher. Aber es hat sicherlich einen Mehrwert für die Sichtbarkeit und Wahrnehmung. Deshalb hilft es auch beim Marketing und der Akzeptanz.
Welchen Grenzen unterliegt E-Democracy?
E–Democracy kann kein Allheilmittel sein, sondern ist bislang eher als Ausweitung der demokratischen Spielwiese zu begreifen. Sich mit dem Thema trotzdem jetzt schon auseinanderzusetzen, ist pure Logik. Digitale Politik wird eines Tages ein Zustand der Normalität sein. Klar ist aber auch, dass die Erwartungshaltung der Bürger immer den Status Quo von konkreten E-Democracy-Parametern übersteigen wird.
Warum ist das klar?
Die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts ist nicht kompatibel mit der Innovationsreaktionszeit von Politik und Verwaltung. Gerade bei den Themen Datenauswertung und Datenverwertung steuern wir auf einen großen Konflikt hin. Der Treibstoff der Digitalwirtschaft heißt Daten. Da sitzt der Staat als der oberste Hüter der Daten – insbesondere der seiner Bürger – in der Zwickmühle. Mir fällt außerdem auf, dass sich das Internet hervorragend dazu eignet, gegen etwas zu sein. Jeder kann eine Petition oder eine Demo gegen eine Sache ins Leben rufen. Doch auf der anderen Seite gibt es kaum Beispiele für Konstruktives.
Daniel Roleff ist Referent für digitale Kommunikation bei der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen sowie Gründer und Gesellschafter der Agentur für zeitgenössische Kommunikation buero fuer neues denken (www.bfnd.de). Von 2009 bis 2011 arbeitete er als Redakteur bei politik-digital.de. Er war außerdem Associate der Stiftung Neue Verantwortung und arbeitete in der Forschungsgruppe Neue Digitale Gesellschaft. Er publizierte vielfach zu Themen aus Politik und digitaler Kommunikation.
Sicher kein Allheimittel, aber gegen was sollte die Medizin „Digital“ denn auch helfen? Richtig eingesetzt, ist Digitalisierung aber sicher eine Erleichterung.