Die Manipulation der Zeit
Ein Mann reist in die Vergangenheit und verhindert, dass seine Eltern sich kennenlernen. Eine Frau muss sich entscheiden, ob sie den Lauf der Geschichte ändert, um jemandem das Leben zu retten. Warum kommen in so vielen Serien, Filmen und Büchern Zeitreisen vor?
Reisen durch die Zeit ist uns in einem gewissen Sinne allen vertraut. Wir kehren in unseren Erinnerungen an vergangene Schauplätze zurück und vergegenwärtigen uns die Vergangenheit. Oder wir sind mit wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert, beispielsweise aus der Klimaforschung, die uns eine bestimmte Zukunft ausmalen lassen. Wir bewegen uns dabei gedanklich mit größter Selbstverständlichkeit zwischen ganzen Epochen, persönlichen Ereignissen oder auch möglichen Zukunftsaussichten hin und her. Unsere Zukunft wird zur Gegenwart, unsere Gegenwart stetig zur Vergangenheit. Man könnte dabei von unserer persönlichen Reise durch die Zeit sprechen.
Das buchstäbliche Reisen durch die Zeit dagegen, das Zeitreisen, ist bisher nur bekannt als ein Phänomen aus Filmen, Serien und Büchern. Dabei sind die Protagonist:innen in der Regel in der Lage, mithilfe einer Maschine, eines magischen Artefakts oder auch eines Portals in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen. Spätestens seit Serien wie „Doctor Who“ und Filmen wie „Zurück in die Zukunft“ ist die Zeitreise fest in der Popkultur verankert. Auch die erste von Netflix in Deutschland gedrehte und produzierte Serie setzt sich intensiv mit dem Thema des Zeitreisens auseinander: „Dark“ wurde weltweit von Kritiker:innen gelobt und hat viele Zuschauer:innen in ihren Bann gezogen.
Vor dem Hintergrund der großen Beliebtheit von Zeitreisegeschichten stellt sich die Frage: Wieso sind diese so populär? Was fasziniert uns so sehr daran?
Paradoxe bringen uns zum Staunen
Widersprüche und Schwierigkeiten, die sich in Geschichten aus Zeitreisen ergeben, üben eine besondere Faszination auf die Zuschauenden aus. Der Wunsch nach einer Auflösung erzeugt Spannung und regt zum Nachdenken über die vielen möglichen Konsequenzen an, die aus solchen Widersprüchlichkeiten folgen.
Ein besonders häufig dargestelltes Paradox ist das sogenannte „Großvaterparadox“. Im Film „Zurück in die Zukunft“ reist der Protagonist Marty McFly versehentlich mit einer Zeitmaschine ins Jahr 1955. Eine unglückliche Verkettung von Ereignissen führt dazu, dass Marty seine Eltern daran hindert, sich zu treffen und zu verlieben. Dies bedroht Martys eigene Existenz. Wenn seine Eltern sich niemals treffen, dann wird er niemals geboren werden. Marty muss also seine Eltern zusammenbringen, um seine eigene Geburt zu gewährleisten. Das Paradoxe daran ist jedoch Folgendes: Wenn seine Eltern sich niemals treffen und er nie geboren wird, dann wird er auch niemals in der Zeit zurückreisen können, um versehentlich das erste Kennenlernen seiner Eltern zu verhindern. Also wird er doch geboren. Dann kann er in der Zeit zurückreisen und das Kennenlernen verhindern. Und so weiter.
Von „Großvaterparadox“ ist hier die Rede, da der Kern dessen auch folgendermaßen, in einem etwas grausamen Beispiel, beschrieben werden kann: Jemand reist zurück in die Vergangenheit, tötet seinen Großvater, bevor dieser die eigene Mutter zeugt und vernichtet damit die eigene Möglichkeit, jemals in der Zeit zurückzureisen, um den eigenen Großvater zu töten. Also wird man doch geboren. Und kann den eigenen Großvater töten. Teilweise wird dies in Geschichten so zu lösen versucht, dass das Töten des Großvaters einen weiteren Zeitstrahl erzeugt, quasi ein Paralleluniversum, in dem der Zeitreisende nie geboren wurde. Er selbst löst sich aber nicht auf, da er in seinem Ursprungsuniversum eben doch geboren wurde.
Unerwartete Veränderungen machen uns neugierig
Meist nehmen Geschichten an Fahrt auf, wenn sich im Leben der Hauptfigur durch ein einschneidendes Ereignis plötzlich alles verändert. Dieses Navigieren der Hauptfigur durch einen Dschungel an Veränderungen, macht uns neugierig. Der britische Journalist Will Storr bringt es auf den Punkt: „Unexpected change makes us curious, and curious is how we should feel in the opening movements of an effective story“. (“Unerwartete Veränderung macht uns neugierig, und neugierig sollten wir sein zu Beginn einer effektiven Geschichte.”) Zeitreisegeschichten bieten eine enorme Bandbreite an Möglichkeiten mit Blick auf die Veränderung der Welt und Umgebung der Hauptfigur. Sie kann sich in völlig anderen Epochen wiederfinden, deren Bräuche und Sitten sie nicht versteht, kann mit wilden Tieren konfrontiert sein, die eigentlich seit Millionen von Jahren ausgestorben sind, oder in eine zukünftige Welt hineingeworfen werden, in der unvorstellbare Technologien vorhanden sind.
Moralische Entscheidungen faszinieren uns
Zeitmaschinen, die aussehen wie britische Telefonzellen in „Doctor Who“, Portale in „Donnie Darko“, magische Uhren bei „Harry Potter“ oder ungeklärte Umstände in „Täglich grüßt das Murmeltier“: Zeitreisegeschichten müssen eine Erklärung anbieten, wenn zwar nicht wie, dann doch zumindest wodurch die Zeitreise möglich ist. Dies kann selbst äußerst faszinierend sein. Das, was an Zeitreisegeschichten so fesselt, ist die Auseinandersetzung der Figuren mit der Frage danach, was sie in Anbetracht dieser Möglichkeiten tun sollen. Wofür sollen sie diese Fähigkeit zur Manipulation der Zeit nutzen?
Sowohl in „Donnie Darko“ als auch in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ wird die Zeitreise für die Rettung von Leben genutzt. Es steht zudem oft im Mittelpunkt von Zeitreisegeschichten, beispielsweise in Terry Gilliams „Twelve Monkeys“, ob eine Katastrophe rückgängig gemacht werden kann oder nicht. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Aspekt des Zeitreisens findet sich in Stephen Kings „Der Anschlag“, in dem der Protagonist versucht, das Attentat auf John F. Kennedy zu verhindern. Doch was er auch tut, es wird ihm nach und nach klar: Von der Vergangenheit kann er zwar lernen, doch lässt sich eine bessere Zukunft nur von der Gegenwart aus anstreben.
Spannender Artikel 🙂 gefällt mir genauso gut wie der Erste
interessantes Thema, interessant wären noch Einsteins Gedanken zum Thema Zeit.
Leider gegendert, das nervt mich in jedem Text, zerstört den Fluss der Sprache für mich