Die Seele aufräumen
Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. Trotzdem akzeptieren manche Familien und Freundeskreise immer noch nicht, wenn sich Betroffene Hilfe suchen. Ohne Unterstützung ist der Weg zur Besserung schwer. Ein Erfahrungsbericht.
Ich habe diese Sätze unzählige Male gehört. Es war, als sei meine Erkrankung meine Schuld und ich müsste sie einfach nur überspielen. Von allen Seiten hieß es: „Mit Mitte 20 sollte man nicht psychisch krank sein. Bei uns gab es sowas früher nicht.” „Wir alle haben mal einen schlechten Tag. Das ist nur eine Phase, das geht wieder vorbei.”
Es ging aber nicht einfach so wieder vorbei. Im Gegenteil: Solche Aussagen haben mich unglaublich einsam und unverstanden fühlen lassen. Es war, als würde man mir meine Gefühle absprechen wollen.
Die Wurzeln meiner psychischen Erkrankung reichen bis in meine Kindheit zurück. Ab meinem neunten Lebensjahr wurde ich in der Schule gemobbt – ausgelacht, verspottet und gedemütigt. Über Jahre hinweg trug ich dieses Leid mit mir herum, ohne es jemandem anzuvertrauen. Das Gefühl, nichts wert zu sein, prägte mein Selbstbild tiefgreifend. Die Schulzeit war für mich ein Alptraum. Tag für Tag wurde ich zur Zielscheibe von immer neuen Mobbingattacken. Die ständigen Demütigungen haben meine Seele tief verletzt. Ich fühlte mich allein, wertlos und hilflos. Um dieses Leid zu ertragen, habe ich es tief in mir vergraben und versucht, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Doch die Dunkelheit, die ich in mir trug, wuchs mit jedem Tag und die Narben blieben.
Mit 22 wurde ich sexuell missbraucht – von einer Person, der ich eigentlich vertraut hatte. Dieses Trauma habe ich jahrelang verdrängt und für mich behalten. Die Scham und die Angst, dass man mir nicht glauben würde, waren überwältigend. Ich fühlte mich schuldig und wertlos. Dieser Missbrauch hat die tiefen Wunden, die das Mobbing in mir hinterlassen hatte, noch weiter aufgerissen. Das bisschen Freude am Leben wich einer tiefen Traurigkeit. Ich schloss mich innerlich in eine Welt der Isolation ein, in der ich mich selbst für alles verantwortlich machte. Es war, als wäre ein Teil von mir für immer verloren gegangen. Es dauerte Jahre, bis ich die Kraft fand, mich meinen Dämonen zu stellen.
Ein erster Lichtblick
2019 fasste ich endlich den Mut, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Verhaltenstherapie war ein erster Schritt, um aus der Dunkelheit herauszufinden. Doch die Scham, als „krank“ bezeichnet zu werden, hielt mich davon ab, mit meinem Umfeld offen über meine Probleme zu sprechen. 2023 erhielt ich dann endlich von meinem Psychiater eine genaue Diagnose: Double Depression, posttraumatische Belastungsstörung, ADHS und eine Autismus-Spektrum-Störung. Es war ein Schock, aber auch eine enorme Erleichterung. Endlich gab es einen Namen für all das Leid, das ich ertragen hatte. Die Diagnose gab mir ein Gefühl von Verständnis und ermöglichte es mir, gezielter an meiner Genesung zu arbeiten. Seitdem habe ich gelernt, meine Erkrankungen nicht als Makel, sondern als Teil meiner Identität zu akzeptieren.
Die konventionellen, von der Krankenkasse bezahlten Therapien haben mir geholfen, meine Probleme zu verstehen und zu benennen, doch mein innerer Frieden blieb unerreichbar. Es war, als hätte ich einen unordentlichen Lagerraum voller Päckchen, die ich zwar öffnen und beschriften konnte, aber nicht wirklich entrümpeln.
Schließlich begann ich mit einer sogenannten Körpertherapie, eine Methode, die das Körpergedächtnis nutzt, um traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. Dabei wird angenommen, dass der Körper Trauma speichert und dieses durch bestimmte Muster von körperlichen Reaktionen, wie beispielsweise Panikattacken, ausdrückt. Durch achtsame Körperwahrnehmung und spezielle Übungen lernte ich also, mit meinen Emotionen und meinem autonomen Nervensystem zu arbeiten. Es war, als würde ich die Sprache meines Körpers endlich verstehen. Die körperlichen Empfindungen, die ich während traumatischer Ereignisse gespeichert hatte, konnten nun langsam gelöst werden. Der Lagerraum wurde Stück für Stück aufgeräumt und sortiert. Obwohl mein Seelenfrieden noch nicht vollständig zurückgekehrt ist, fühle ich mich auf einem guten Weg.
Die Körpertherapie war also der fehlende Baustein. Durch die Arbeit mit meinem Körper konnte ich die tief verwurzelten Traumata auflösen, die in meiner Seele gespeichert waren. Es war ein langer und oft schmerzhafter Prozess, doch letztendlich fühlte ich mich freier und leichter. Ich habe aufgehört, mich selbst zu bemitleiden und gelernt, mich zu lieben. Und das Wichtigste: Ich habe angefangen, meine Grenzen zu kommunizieren und auch mit den Konsequenzen zu leben. Mein Freundeskreis hat sich dadurch zwar verändert, aber ich habe gelernt, dass echte Freundschaften auf gegenseitigem Respekt basieren.
Das Innerste ordnen
Ich war nun bereit, auch weitere unkonventionelle Dinge auszuprobieren. Die Seelenreinigung auf Bali war ein nächster Wendepunkt. Ich fühlte, wie sich eine tiefe Schicht von Traurigkeit und Schmerz löste. Es war, als ob man mir eine schwere Decke von den Schultern genommen hätte. Ich habe erkannt, dass mein innerer Frieden nie wirklich verloren gegangen war, sondern nur begraben unter den Schichten meiner Vergangenheit.
All das hat mein Leben verändert. Früher habe ich mich oft von anderen Menschen ausnutzen lassen. Gegenüber Leuten, die mir schaden wollen, grenze ich mich heute ab und schütze so meine Seele. Ich bin viel widerstandsfähiger geworden und erhole mich schneller von schwierigen Situationen. Ich bin zwar noch lange nicht da, wo ich sein möchte, aber mein seelischer Lagerraum ist nach einer Ewigkeit endlich aufgeräumt.
(Anm. d. Red.: Zum Schutz der Privatsphäre unserer Autorin veröffentlichen wir den Text anonym.)