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Die vergessenen Wetterarbeiter

Von Jacqueline Möller / 24. März 2015
picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser

In den öffentlichen Diskussionen um Arbeitslosigkeit bleibt eine Arbeitslosengruppe meist unbeachtet: die Saison-Kurzarbeiter. Ein paar Monate im Jahr arbeiten sie hart, in anderen müssen sie um ihr finanzielles Überleben kämpfen.

Jan H. arbeitet auf dem Bau – zumindest wenn er kann. „Gerade in den Wintermonaten ist es schwer abzusehen, ob ich auf dem Bau gebraucht werde“, so Jan H. „Wenn das Wetter zu schlecht ist, bin ich arbeitslos.“

Jan ist ein Saisonarbeiter. Diese sind oft von saisonaler und damit kurzzeitiger Arbeitslosigkeit betroffen, etwa weil ihre Arbeit vom Wetter oder vom Ernteertrag abhängig ist, oder weil sie in einer Branche arbeiten, die nicht ganzjährig ausgelastet ist, wie etwa der Tourismusbranche

Robert Feiger, Bundesvorstandsvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agra-Umwelt. (Foto: privat)
Robert Feiger, Bundesvorstandsvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agra-Umwelt. (Foto: IG BAU)

„Saisonarbeitskräfte haben nicht nur auf das Jahr gesehen ein geringeres Einkommen, sie wissen auch weniger als alle anderen, ob und wann sie wieder eine Beschäftigung finden werden“, sagt Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Insbesondere im Rentenalter sind sie trotz zusätzlicher tarifvertraglicher Altersversorgung wie etwa in der Baubranche schlechter abgesichert.“

Jan weiß von diesen Belastungen. „Über meine Altersvorsorge mache ich mir gar keine Gedanken, das bringt nur ein ungutes Gefühl auf. Stattdessen fokussiere ich mich darauf, von Tag zu Tag zu leben, mich von einem Kalenderjahr in das nächste zu hangeln“, erzählt er. „Ansonsten könnte ich diese Arbeit nicht machen.“

Saisonale Arbeitslosigkeit bei Wetterschwankungen

Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) führt jedes Grad Frost im Januar zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um 14.000 Personen. Liege hingegen die Temperatur oberhalb des Gefrierpunktes, würde dies umgekehrt zu einer Verminderung der Arbeitslosigkeit von 4.000 Personen führen.

Von den Temperaturen im Dezember und Januar sind laut Studie insbesondere die Land-und Forstwirtschaft sowie die Fischerei und das Baugewerbe betroffen. Bauarbeiter Jan bestätigt: „Von Dezember bis Januar ist es ein regelrechtes Pokerspiel. Macht das Wetter mit oder macht es mir einen Strich durch die Rechnung? Während dieser Monate plagen mich diese Ängste wie keine anderen.“ Laut IG BAU waren im Februar 2015 insgesamt 96.518 Bauarbeiter als arbeitslos gemeldet.

In den Monaten Februar bis April ist laut Studie nicht die Temperatur für die Beschäftigung der Saisonarbeiter ausschlaggebend, sondern ob es Schneefall gibt oder nicht. Von ausbleibendem Schneefall profitiert besonders das produzierende Gewerbe mit Ausnahme der Baubranche. Eine ein Zentimeter hohe Schneedecke im Februar führt zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um 3.400 Personen, im März um 4.000. Der Arbeitsausfall für Kurzarbeiter beträgt laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit durchschnittlich 43 Prozent.

Abhilfe: Saison-Kurzarbeitergeld

Die Bundesregierung hat diese Schwankungen durch die Einführung des Saison-Kurzarbeitergeldes im Jahr 2006, welches das Schlecht-Wetter-Geld abgelöst hat, berücksichtigt. Das Saison-Kurzarbeitergeld soll Arbeitnehmer wie Jan davor schützen, in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden. Es soll für längerfristige Beschäftigungsverhältnisse sorgen und die Arbeitnehmer an den Betrieb binden. Neben dem Baugewerbe wird auch das Dachdeckhandwerk sowie der Garten- und Landschaftsbau mit Hilfe des Saison-Kurzarbeitergeldes unterstützt. „Mit dem Saison-Kurzarbeitergeld auszukommen ist nicht einfach“, sagt Jan. „Oft will ich außerhalb der Saison einen anderen Job annehmen, aber es ist schwierig, kurzfristig einen zu finden.“

Professor Dr. Weber Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und Strukturanalysen" sowie  „Arbeitsmarktprozesse und Institutionen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). (Foto: privat)
Professor Dr. Weber Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und Strukturanalysen“ sowie „Arbeitsmarktprozesse und Institutionen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). (Foto: privat)

Dennoch: Das Kurzarbeitergeld scheint einen positiven Effekt zu haben. „2006 haben sich die Effekte des Wetters auf die Arbeitslosigkeit um rund ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr reduziert“, berichtet Enzo Weber, Betreuer der IAB-Studie. Außerdem sei mit dem Kurzarbeitergeld der Verwaltungsaufwand gesunken, der die mögliche Inanspruchnahme des Geldes ab der ersten Stunde Arbeitsausfall und die auch auftrags- und nicht nur witterungsbedingte Inanspruchnahme ermögliche. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit wurde im Dezember 2014 36.000 Arbeitnehmern Saison-Kurzarbeitergeld gezahlt. Das sind 9.000 weniger als noch vor einem Jahr – dank des milden Winters.

Weitere Maßnahmen zur Unterstützung saisonaler Arbeitskräfte

Trotz guter Erfahrungen ist das Saison-Kurzarbeitergeld längst nicht in allen Branchen, die von saisonal bedingtem Arbeitsausfall betroffen sind, angekommen. Es gibt jedoch Fortschritte. „Es ist uns immerhin gelungen, die Arbeitgeberverbände der Ziegelindustrie von den Vorteilen dieses Instruments zu überzeugen“, sagt Robert Feiger von der IG BAU. Er hoffe, dass die Verhandlungen bald zu einem Abschluss kämen und das Saison-Kurzarbeitergeld auch für diese Branche eingeführt werde. „Ich wünsche mir, dass politisch und gesetzlich zum Ausdruck gebracht wird, dass man in den von saisonalen Beschäftigungsschwankungen betroffenen Branchen die Anwendung des Saison-Kurzarbeitergeldes erwartet statt einer Praxis zu Lasten der Arbeitslosenversicherung mit kurzfristigen Kündigungen und Wiedereinstellungsanspruch nach der Winterperiode.“

Um saisonal bedingte Arbeitslose wie Jan H. weiter zu unterstützen, solle sich die öffentliche Hand insbesondere auf alle Maßnahmen konzentrieren, die die kontinuierliche Vergabe etwa von Bauleistungen sicherstelle, so Feiger. Außerdem sollte Arbeitnehmern mit saisonaler Beschäftigung, die kein Saison-Kurzarbeitergeld bekommen, der Zugang zum Arbeitslosengeld I erleichtert werden. „Ich habe Glück, dass ich in der Baubranche tätig bin und somit von dem Saison-Kurzarbeitergeld profitiere“, sagt Jan. „Ohne wüsste ich nicht, wie ich den Winter überbrücken soll.“

Eine Antwort zu “Die vergessenen Wetterarbeiter”

  1. Von sandraschmitz030 am 24. März 2015

    Endlich einmal ein Artikel der es auf den Punkt bringt! Wie oft werden Saisonarbeiter wie mein Mann in den Statistiken übergangen…. ich finde es toll, wenn sich Journalisten auch einmal etwas „unpopuläreren“ Themen wie diesen widmen!

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