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Ein Hauch von Hollywood in Potsdam

Von Daniel Lehmann / 11. Mai 2023
Foto: Daniel Lehmann, im Bild: Nils Keller (li.), Georg Nikolaus (re.)

Im Interview sprechen Regisseur Nils Keller und Kameramann Georg Nikolaus über Herausforderungen beim Dreh, Griffe von Badezimmerherstellern und die Situation für junge Filmemacher:innen in der Post-Corona-Zeit.

Den Preis in der Sektion „Fokus Produktion“ konnte das moderne Kammerspiel „Almost Home“ des Münchner Regisseurs Nils Keller beim 52. Sehsüchte-Studierendenfilmfestival zwar nicht gewinnen, dennoch überzeugte der technisch hochwertige Coming of Age und Sci-Fi-Kurzfilm in der brandenburgischen Landeshauptstadt.

Im Film geht es um den jungen Jakob, der seit zwei Jahren mit seiner Mutter in einem Raumschiff unterwegs ist. Kurz vor ihrer Rückkehr bricht eine für ihn potenziell lebensgefährliche Pandemie auf der Erde aus.

sagwas: „Almost Home“ hat den Goldenen Studierenden-Oscar (Student Academy Award) gewonnen und stand auf der Liste der letzten 15 in der Oscar-Kategorie „Live Action Short Film“ der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Wie überraschend ist der Erfolg für euch?

Nils Keller: Natürlich hofft man immer darauf, dass ein Film gut ankommt, weil man auch weiß, wie viel Arbeit und Herzblut dahintersteckt. Trotzdem lässt sich das nicht vorhersehen, weil viele unbeeinflussbare Faktoren eine Rolle spielen. „Almost Home“ verfolgt eine klassische Erzählart, was ihn automatisch zugänglicher macht. In einem Seminar der HFF München (Anm.: Hochschule für Fernsehen und Film München) wurde der Film in meiner Anwesenheit analysiert, da meinte der Professor nur: „Na, was habt ihr denn da für ein gefälliges Mainstream-Stück gemacht?“

Nationale wie internationale Produktionen machen bereits durch ihre enormen Kosten von sich reden, zuletzt „Der Schwarm“. Im rein künstlerisch-ästhetischen Vergleich muss sich „Almost Home“ dabei alles andere als verstecken. Ist Qualität doch keine Geldfrage?

Nils Keller: Insgesamt hat unser Film 120.000 Euro gekostet. Das meiste ging für Fahrzeuge, Technik und den Rohbau unseres Raumschiffs drauf – der hat allein 8.000 Euro verschlungen. Dafür wurde er später beim Fusion Festival zweitverwertet. Die Gesamtsumme ist aber überhaupt nicht mit “echten“ Produktionen in Relation zu setzen. Wir haben viel auf Pro Bono-Basis gearbeitet oder Mindestlöhne gezahlt, weit weg von üblichen Tagesgagen. Dazu kamen Studentenhilfen oder andere Formen der Unterstützung. Beispielsweise hat ein Badezimmerhersteller sämtliche Griffe für das Set bereitgestellt.

Georg Nikolaus: Hinzukommt die unglaubliche Teamleistung unter Pandemiebedingungen. Allein unser VFX-Artist (Anm.: Visual effects-Artist) hat sich im Grunde ein Jahr lang eingesperrt und eine One-Man-Show hingelegt. Das wäre so bei anderen Produktionen auch nicht möglich gewesen. Wir haben in einer Abwasserhalle der Stadt München gedreht. Es ist schon surreal, wenn ein Großteil der Zeit dafür aufgewendet wird, ein 60 Quadratmeter großes 3D-Modell mit Teichfolie abzukleben. Für unsere Darsteller:innen war beim Dreh viel Fantasie nötig, wenn sie eigentlich nur vor Holzwänden und einem Bluescreen spielen.

Neben den technischen Feinheiten besticht „Almost Home“ vor allem durch seine Besetzung. Wie kommt man für einen Abschlussfilm an renommierte deutsche Schauspielgrößen wie Susanne Wolff und Stephan Kampwirth?

Nils Keller: Es fing im Grunde damit an, dass ich Susanne Wolff einen sehr langen Liebesbrief geschrieben habe, in dem ich ihr darlegte, wie toll sie in unseren Film passen würde – worauf sie tatsächlich reagierte. Stephan Kampwirth hatte passenderweise zuvor mit ihr zusammen gedreht, da war dann bei ihm gar nicht mehr viel Überzeugungsarbeit nötig.

Georg Nikolaus: Aktiv selbst beworben hat sich nur Jeremias Meyer („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“), der einfach ein wahnsinniges Bewegungstalent ist und Aufnahmen schickte, wie er zu Hause durchs Wohnzimmer schwebt. Tatsächlich nutzen wir im Film nämlich keinerlei Seile, um die Schwerelosigkeit des Weltraums zu simulieren, sondern einen Mix aus Gimbal-System, passenden Schnitten und seinem schauspielerischen Geschick.

Inwieweit hat sich die Filmlandschaft für junge Talente in den letzten Jahren verändert?

Nils Keller: Tendenziell kommt man heutzutage schneller in internationale Fahrwasser. Die Welt ist kleiner geworden, die Wege kürzer.

Georg Nikolaus: Mittlerweile ist es eben nur noch ein Zoom-Call in die USA. Allgemein profitiert man da natürlich mehr von der länderübergreifenden Zusammenarbeit und Kontakten, die man dadurch aufbaut.

Sind die zahlreichen ambitionierten Streaming-Anbieter am Markt da nicht ein Paradies für Filmschaffende?

Nils Keller: Ja und nein. Einerseits gibt es schon jetzt deutlich mehr kinohafte Formate abseits des eigentlichen Kinos, was sich in Zukunft wohl noch verstärken wird. Aber speziell in der Corona-Zeit haben im Grunde alle Studios über ihre Verhältnisse gelebt. Das sieht man auch daran, dass aktuell gut 30 Prozent der Produktionen zurückgefahren oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden, was fast gleichbedeutend mit einer Absage ist. Und selbst mit den neuen Akteuren in der Branche bleibt es nach wie vor eine Industrie mit begrenzten freien Plätzen, in der nur bedingt Raum für den Nachwuchs bleibt. Insbesondere Positionen mit großer Verantwortung am Set werden da äußerst selten mit gleich mehreren Nachwuchskräften besetzt, das Risiko ist da zu hoch.

Georg Nikolaus: Für mich unterlag das Filmgeschäft aber ohnehin immer einem Wandel, das ist jetzt nicht anders. Persönlich spannend zu sehen finde ich, inwieweit der Trend zu interessanteren Unterhaltungsformaten mit Anspruch anhalten wird.

Ist es für Neueinsteiger im Filmgeschäft nicht ernüchternd zu merken, dass für das tägliche Brot nicht nur Kunst, sondern auch beispielsweise Werbung geschaffen werden muss?

Nils Keller: Diese Erfahrung gehört zweifellos dazu. Ein Pianist macht allerdings auch nicht nur, worauf er Lust hat. Und ehrlicherweise bin ich gar nicht so sehr der Kunstfilmfan. Zu großen Teilen bleibt es ohnehin ein Handwerk, der kreative Part macht vielleicht ein Drittel aus. Die Drehtage sind in beiden Formen gleich anstrengend. Und am Ende hat man immer das Gefühl von einer Klassenfahrt, die jetzt vorbei ist.

Georg Nikolaus: Und es gibt immer noch die eine Werbung und die andere Werbung. Gutes Storytelling kann da genauso wichtig sein. Außerdem ist es generell empfehlenswert, sich durch solche Aufträge ein gewisses Selbstbewusstsein aufzubauen und Routinen zu entwickeln. Mal abgesehen davon, dass so viel gelernt werden kann, zum Beispiel für die Wirkung von Set-Bauten.

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