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Eine lukrative Sucht

Von Alisa Sonntag / 24. Januar 2018
picture alliance / Zoonar | Channel Partners

Wir trinken zu viel. Das ist teuer: Jährlich kosten alkoholbedingte Erkrankungen den Staat 25 Milliarden Euro. Die Industrie hingegen profitiert von der Abhängigkeit vieler Deutscher.

9,8 Liter reinen Alkohol trinkt ein „Durschnitts-Deutscher“ pro Jahr, das entspricht etwas mehr als einem Glas Wein täglich. „EU-weit ist Deutschland in Sachen Alkoholkonsum immer noch weit vorn“, sagt Alkoholforscher Helmut Seitz von der Universität Heidelberg.

Zwei Millionen Deutsche sind alkoholabhängig. Fünf Millionen haben einen riskanten Umgang mit Alkohol, trinken also mehr als ein oder zwei Gläser pro Tag. Ab einem Viertelliter Wein für Männer und einem Achtelliter für Frauen werde es ungesund, belegen Studien.

„Das stimmt aber nicht mehr so ganz“, meint Seitz. Fest stehe, dass zwei bis drei alkoholfreie Tage pro Woche mehr als empfehlenswert seien. Zur Sucht wird Alkoholkonsum dann, wenn ein Leben ohne Alkohol nicht mehr vorstellbar ist. „Trinker müssen Alkohol haben, ihr ganzer Alltag hängt davon ab.“ Ohne den Stoff haben sie Entzugserscheinungen. Mit der Zeit opfern sie der Sucht meist die sozialen Kontakte, die Familie, den Arbeitsplatz und die Gesundheit.

Alkohol schädigt die Gesundheit immens

„Die meisten sind sich der Risiken ihre Alkoholkonsums nicht bewusst“, so Seitz‘ Einschätzung. Die wenigsten Menschen wüssten, dass Alkohol krebserregend sei. Das in ihm befindliche Ethanol wird vom Körper in Azetaldehyd umgewandelt und verhält sich wie Gift bzw. lässt andere Substanzen eine krebserregende Wirkung im Körper entfalten. Die Folge ist im schlimmsten Fall Krebs im Mundraum, im Rachen sowie Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs und die in Deutschland sehr häufigen Arten Leber-, Darm- und Brustkrebs. Acht Prozent der Brustkrebserkrankungen in Deutschland seien durch Alkohol mitverursacht. Insgesamt ist Alkohol für etwa 200 Krankheiten und Symptome verantwortlich. Das kann auch tödlich enden: „Trinker sterben im Schnitt im Alter von 58 bis 60 Jahren“, sagt Seitz.

Problematisch seien Studien, die einen völlig falschen Eindruck davon vermittelten, wie Alkohol auf den Körper wirkt. „Man hört zum Beispiel oft, dass Rotwein gut fürs Herz sei. Das stimmt aber so einfach nicht“, betont Seitz. Einige dieser Studien stammen vom ERAB, dem European Research Advisory Board, das seine Forschungsstipendien laut Seitz teilweise von der Alkoholindustrie finanzieren lässt.

Starke Lobby für den Alkohol

25 Milliarden Euro gibt der deutsche Staat jedes Jahr für Alkoholfolgeerkrankungen aus. Millionen gehen allein deswegen verloren, weil die Abhängigen nicht arbeiten könnten. Dabei gibt es zahlreiche kostengünstige und von Studien empfohlene Maßnahmen, die den Alkoholkonsum der Deutschen senken könnten.

„Wir schlagen schon seit Jahren immer wieder dieselben Maßnahmen vor, finden aber leider immer noch kein Gehör“, klagt Christina Rummel, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). „Zum einen muss Alkohol teurer werden. Wir haben in vielen anderen Ländern wie in Skandinavien gesehen, dass das dazu führt, dass weniger getrunken wird.“ Die Steuern für Alkohol, sagt sie, seien in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gestiegen. Außerdem sei Alkohol leicht verfügbar. In den skandinavischen Ländern ist es ab 22 Uhr verboten, Alkohol zu verkaufen. Diese Regelung gab es von 2010 bis 2017 auch in Baden-Württemberg. „Und sie hat gewirkt!“, erklärt Rummel. „Es wurden in der Zeit weniger Menschen mit Alkoholvergiftung in die Krankenhäuser eingeliefert.“

Trotzdem ist die Regelung inzwischen nicht mehr in Kraft. Ein Lob gab es dafür vom Verband der Bierbrauer. Der kürt jedes Jahr eine Person der Öffentlichkeit zum „Botschafter des Bieres“, aktuell Winfried Kretschmann (CDU), seines Zeichens Ministerpräsident Baden-Württembergs.

Verantwortungsvoller Konsum“ vs. Absatzsteigerung

Nicht nur die Alkohol-, sondern auch die Werbeindustrie verdient mit Alkohol viel Geld. Mehr als eine halbe Milliarde Euro geben Unternehmen jährlich für Alkoholwerbung aus. „Die Industrie druckt sogar Plakate, auf denen sie ‚verantwortungsvollen Konsum‘ fordern, obwohl ihr eigentliches Interesse der Absatzsteigerung gilt“, sagt Rummel.

Rummel und die DHS wollen Alkoholkonsum ohne Ausnahmen erst ab 18 Jahren erlauben. „Es ist ein Unding, dass es in Deutschland verschiedene Regelungen für die verschiedenen Getränke gibt“, sagt sie. Dabei sei Alkohol besonders schädlich für die Gehirne von Jugendlichen und Kindern, die sich noch in der Entwicklung befinden. Allerdings: Derzeit werden vor allem 45- bis 60-Jährige mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Verantwortungslosigkeit der Getränkeindustrie wird oft mit der angeblichen Alkoholkultur Deutschlands begründet. Aber: „Alkohol ist schon lange und überall auf der Welt ein Kulturgut“, sagt Forscher Seitz. Noah soll nach der Flut einen Weinstock gepflanzt haben. Auch im alten Ägypten wurde schon Bier gebraut. Dennoch sei der Alkoholkonsum in Deutschland ungewöhnlich hoch. Würden wir vorsichtig trinken, meint Seitz, wäre unser Alkoholkonsum auch kein Problem. „Der Punkt ist: Das machen wir nicht.“

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