Frankreichs Problem mit Europa
In Frankreich seien die Regierenden sehr vorsichtig, was das Thema Europa angehe, meint Stefan Dehnert, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Paris. Wenn es nach ihm ginge, sollte Frankreich selbstbewusster für Europa eintreten.
Herr Dehnert, Sie leiten das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Paris. Was ist hier die Aufgabe der Stiftung?
Die Aufgabe der Stiftung ist, wie bei eigentlich allen Büros in West- und Osteuropa, den Dialog zwischen Deutschland und dem Land, in dem wir präsent sind, zu organisieren. Das heißt, dass wir Themen zusammenstellen, die für die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich besonders relevant sind, und dann den Dialog zwischen bestimmten Gruppen der Zivilgesellschaft organisieren. Wir arbeiten mit uns nahestehenden parteipolitischen Partnern, aber auch mit Wissenschaftlern und den Gewerkschaften. Da geht es um Wirtschaftspolitik, aber auch um Außen- und Sicherheitspolitik.
Was ist Ihrer Meinung nach momentan das wichtigste europapolitische Thema in Frankreich?
Natürlich wird im Augenblick die Flüchtlingsfrage stark diskutiert. In den vergangenen Jahren war das wichtigste europapolitische Thema die Eurokrise. Von französischer Seite hat man bei Griechenland das Gefühl, etwas gerettet zu haben, und dass man mit Deutschland einen Kompromiss erreichen konnte, der trägt. Aber wie es weitergeht, ist im Augenblick offen und Verhandlungssache.
Welche Verhandlungsansätze gibt es derzeit dazu?
Es gibt Vorschläge von Seiten des französischen und des deutschen Wirtschaftsministers, wie es weitergehen kann. Beide Länder haben beim Thema Eurokrise sehr unterschiedliche Grundannahmen. Es müssen Lösungen gefunden werden, hinter denen auch die Partner stehen. Die Zeiten einer exklusiven Vorreiterschaft Deutschlands und Frankreichs, bei der die anderen Mitglieder der EU automatisch mitgezogen werden, sind vorbei. Da ist ein größeres Maß an Einbindung notwendig. Große osteuropäische Länder oder auch wichtige nordeuropäische Länder sind nicht bereit, jeden Kompromiss mitzutragen.
Welchen Beitrag kann Frankreich für eine erfolgreiche Zukunft des Europas leisten, das wir kennen?
Frankreich könnte noch etwas selbstbewusster für Europa auftreten. Frankreich hat ein gewisses Problem bezüglich Europa. Das kommt durch den Front National, der explizit anti-europäisch ist, aber auch durch anti-europäische Parteien unter den extremen Linken. Insgesamt gibt es derzeit eine Wählergruppe von etwa 35 bis 40 Prozent, die sich als europakritisch bis anti-europäisch versteht.
Wie geht die Politik damit um?
Einerseits will Frankreich sich ein Höchstmaß an Souveränität erhalten. Andererseits will man im Prinzip auch ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit, was die Solidarität und die finanzielle Mitverantwortung aller Staaten betrifft. Die EU wird als ein primär wirtschaftsliberales Projekt wahrgenommen und weniger als ein gemeinsames auch soziales Projekt, das die Interessen der Menschen in den Vordergrund stellt. Man würde sich aber auch wünschen, dass etwas proaktiver geworben wird für das Projekt Europa und für den unvermeidlichen Umstand, dass Europa auch Kompromiss bedeutet.
Wie meinen Sie das?
Die EU wird eben nicht ein erweitertes Frankreich sein, sondern etwas, das zwischen den nord- und osteuropäischen Konzepten und den südeuropäischen Konzepten eine Mitte finden muss. Das ist eine schwierige Vermittlungsarbeit. Die Regierenden sind hier in meiner Wahrnehmung eher vorsichtig, wenn es um das Thema Europa geht. Man hat den Eindruck, dass das Thema oft vermieden wird, um den politischen Gegnern nicht noch Vorlagen zu liefern.
Was ist die besondere Stärke Frankreichs in Bezug auf Europas Zukunft?
Frankreich hat durch seine außenpolitische Vergangenheit besondere Beziehungen zu vielen Teilen der Welt, die für Europa von Vorteil sind. Frankreich hat einen Sozialstaat, der zwar auch unter dem Druck steht, sparsamer agieren zu müssen, aber der weitestgehend doch gut funktioniert und vielen Menschen ein Maß an sozialer Absicherung bietet, das man sonst in Europa kaum noch findet. In gewissen Punkten kann man sich am Modell Frankreich auch etwas abschauen. Die von deutscher Seite her gerne gescholtene hohe Staatsquote Frankreichs von 54 Prozent muss nicht zwingend schlecht für die Wirtschaft des Landes sein.
Was ist die EU denn für die Menschen in Frankreich – eher ein Ort der Hoffnung oder ein Ort der Perspektivlosigkeit?
Ich glaube, das spaltet sich in das Verhältnis vierzig zu sechzig oder vielleicht sogar fünfzig zu fünfzig. Es ist schon auffällig im Vergleich zu Deutschland, dass es hier weniger ein Ort der Hoffnung ist. Auch in Deutschland hat sich das ein bisschen verändert, dort sieht man heute Europa kritischer, weil man das Gefühl hat, man wird zu stark finanziell in die Haftung genommen. Aber vergleichsweise ist die Skepsis in Frankreich größer und die Gegner äußern ihre Gegnerschaft sehr viel lauter und mit mehr Medienresonanz, als das in Deutschland der Fall ist. Während die AfD inzwischen ein ostdeutsches Phänomen ist, ist hier der Front National in Umfragen bei 25 bis 30 Prozent.
Was meinen Sie, womit das zusammenhängt?
Jean-Marie Le Pen beackert das politische Terrain eben schon mehrere Jahrzehnte und seine Tochter hat es in den vergangenen drei, vier Jahren relativ clever hingekriegt, die Partei erfolgreich zu verändern, sodass sie als wesentlich demokratische, aber eben dezidiert souveränistische Partei agiert, ohne dabei antisemitisch zu sein. Ohne dabei offen islamophob zu sein. Zumindest was die Äußerungen der Parteichefin betrifft. In den Reihen der Partei gibt es tatsächlich auch Muslime. Sie besetzt nun seit mehreren Jahrzehnten das Thema Begrenzung der Zuwanderung und ist in der aktuellen Stimmung am glaubwürdigsten gegenüber den Ängsten vieler Menschen.
Was sind weitere Themen der Rechtspopulisten?
Ein anderes Thema ist die Ablehnung Europas und der Globalisierung. Damit treffen die Rechtspopulisten zwei weitere Ängste bei vielen Menschen. Einige haben das Gefühl, dass die Offenheit Frankreichs gegenüber Prozessen wie der Globalisierung und der Zuwanderung zum Niedergang Frankreichs geführt hat. Es wird also nicht in Beziehung gesetzt zu unveränderlichen globalen Entwicklungen, dass also nicht zwei Kontinente wie Europa und Nordamerika unter sich den Rest ausmachen, sondern dass da Akteure dazu gekommen sind, die Frankreich und jedes Land in ganz andere Konkurrenzverhältnisse setzen als das früher der Fall war.
Was bedeutet Europa denn für Sie persönlich?
Europa ist für mich eine große historische Errungenschaft und eine Notwendigkeit. Die EU hat auf jeden Fall eine Zukunft, auch wenn sie im Moment vor großen Problemen steht.
Das Interview führten Lea Bienhaus und Tabea Schroer.