Gebt mir Worte, nicht Wörter!
Mantra-artig hatten es die Helden von Focus siegestrunken wiederholt: „In Deutschland ist kein Platz für ein zweites Nachrichtenmagazin.“ Denn nach kolportierten fünfzig Anläufen, neben dem SPIEGEL ein zweites Blatt zu etablieren, war es ausgerechnet dem Verleger von „Ein Herz für Tiere“ gelungen: Das Entwicklungsprojekt „Zugmieze“ führte zu Focus, der weiß-blauen Tischdecke unter den Nachrichtenillustrierten. Um […]
Mantra-artig hatten es die Helden von Focus siegestrunken wiederholt: „In Deutschland ist kein Platz für ein zweites Nachrichtenmagazin.“ Denn nach kolportierten fünfzig Anläufen, neben dem SPIEGEL ein zweites Blatt zu etablieren, war es ausgerechnet dem Verleger von „Ein Herz für Tiere“ gelungen: Das Entwicklungsprojekt „Zugmieze“ führte zu Focus, der weiß-blauen Tischdecke unter den Nachrichtenillustrierten.
Um es gleich vorwegzunehmen: Focus ist wichtig.
Erst durch Focus wird aus den deutschen Nachrichtenmagazinen ein eigenes Segment. Der „stern“ reicht nicht als Widerpart, weil er letztlich gar kein Nachrichtenmagazin sein will, sondern inzwischen eine Art Printdokumentation von stern-TV.
Focus wagte Mitte vergangenen Jahres einen großen Schritt, schob seinen Gründer Helmut Markwort halbwegs aufs Altenteil (das „halbwegs“ war die Sollbruchstelle) und installierte Wolfram Weimer, Gründer des konservativen Debattenblattes CICERO und ehemaliger Chefredakteur der WELT. Aus dem Nachrichten- wollte er ein „Orientierungsmagazin“ machen. Focus rückte in der Folge politisch stramm nach rechts.
Der Unfug mit dem Fez
Am geschmacklichen Tiefpunkt kämpfte das Blatt mit dem fotocollagierten Bundespräsidenten auf dem Titelblatt, per Photoshop waren Oberlippenbart und Kopfbedeckung hinzugefügt worden, um Christian Wulff irgendwie „türkisch“ aussehen zu lassen. (Sechzig Jahre zuvor hatten deutsche Blattmacher mit ähnlichen Mitteln un-deutsche Assoziationen zu wecken versucht, aber lassen wir das. Es ist bezeichnend genug, dass sich das Titelbild jetzt vor allem noch in Blogs wiederfindet, die stark an der Grenze zum Verfassungsbruch surfen.) Irgendwann in diesem Umfeld folgte dann auch noch der kaum verhohlene Focus-Appell, doch jetzt bitte endlich mal eine Partei rechts der Mitte zu gründen, um diesen ganzen Schlamm an undefinierter Angst in die Urnen zu schöpfen.
Wie dem auch sei: Focus hatte politisch Position bezogen. Weimer musste inzwischen gehen, Focus driftet wieder mehr Richtung TV- und Servicemagazin und überlässt die konservative Front der grauen Eminenz Markwort. Aus seiner Kolumne – quasi der Print gewordene Waldorf-und-Statler-Balkon – feuert der alternde Medienmachtmensch wütende Salven in beliebige Richtungen.
Interessant ist, dass der SPIEGEL dieser Meinungsmacht nichts entgegenzusetzen hat. Es gibt keinen Heribert Prantl, keinen Hans-Ulrich Jörges im SPIEGEL, auf deren Worte zur Lage man wöchentlich warten, die man auf Facebook liken, kritisieren oder teilen würde.
Wörter, Wörter, Wörter
Die Nachrichtenmagazine sind auf dem Weg zu großen Wörter-Weihern: da schwimmt Vieles daher, treibt durch die Gegend, wird zum Seerosenteich der Marketingabteilungen. Wie anders ist zu bewerten, dass Peer Steinbrück und Helmut Schmidt ausgerechnet in der Woche auf den SPIEGEL-Titel wandern, in der auch ihr gemeinsames Buch erscheint?
Und während bei Focus ohnehin nur noch rudimentär erkennbar ist, dass dieses Blatt einstmals für eine „Info-Elite“ konzipiert werden sollte, bietet der SPIEGEL wenigstens regelmäßig Lesestoff für besorgte Sozialkundelehrer (Tenor: „Das Internet ist ganz, ganz böse“) oder für krude Hobbyhistoriker („Hitlers Vollstrecker“ oder – etwas älter – „Der Manager des Bösen“. Toll übrigens auch 1977: „Hitler wie er nicht war – das Geschichtsbild unserer Kinder“).
„Das Wissen der Welt befindet sich (…) im Netz“, schrieb Juan Luis Cebrián vor zwei Jahren in seinem Buch „El pianista en el burdel“. Die Rolle der Medien, so der Gründer von El País, liege künftig lediglich in einer Art Verständnishilfe.
Mag sein, dass auch die Nachrichtenblätter dafür wieder etwas service-lastiger werden müssen, weil mehr Erklären und Einordnen gefragt sind. Vielleicht ist auch der Begriff des Orientierungsmagazins gar nicht so falsch.
Aber: Es ist länger her, dass mich zuletzt ein Magazin-Text aufgrund seiner inhaltlichen Wucht oder seiner Sprache so beeindruckt hat, dass ich ihn anderen empfohlen hätte.
Dabei wäre Markenqualität so einfach: Mehr Haltung. Mehr Worte statt Wörtern.
PS.: „Why not occupy newsrooms?“, fragte kürzlich David Carr in der New York Times. Nur mal so.
Zumindest scheint DER SPIEGEL doch unter Mascolo wieder ein Stück nach links gerückt zu sein, auch wenn es Fleischhauer und Matussek gibt. Insofern existiert ein kleiner Counterpart zum fleischgewordenen Muppet-Show-Balkon. Aber dennoch: Tiger hat vollkommen recht. Die Magazine schreiben mehr, als sie zu sagen haben. Dabei sollten sie eigentlich viel mehr sagen müssen. Mehr Worte, aber ja doch!
Einerseits toll, dass wir nicht zur Weimerer Republik geworden sind. Andererseits ist sein Weggang ja auch wieder ein Stück Verlust klarer Haltung, oder? Die Alternative zu Kante-Zeigen darf auf jeden Fall nicht das Magazin als ausschließlicher Dienstleister sein. Davon gibt es schon genug und das nicht nur den Printbereich betreffend. Ihr Text zum Stand des deutschen Fernsehjournalismus beschreibt ja ähnlich fatale Entwicklungen im TV. Ich bin für Meinungsstärke in den Medien, aber es sollte nicht alle Regeln des Miteinanders verletzen. Siehe Sarrazin und Co.
@henryks bruder: heißt du wirklich so? 🙂 herr broder lässt grüßen, ja? wusste gar nicht, dass er einen bruder hat…
zur sache: man muss regeln einhalten, klar. aber broder hat mal, nicht zu unrecht, wie ich finde, gesagt, dass man die dinge nicht bis zur unkenntlichkeit ausdifferenzieren könne. eine gewisse s/w-malerei scheint doch nötig, um die dinge auf den punkt zu bringen…