Globale Musik ohne Grenzen
Interkulturelle Musik, die überreich an diversen Stilrichtungen ist und sich nur schwer zuordnen lässt, ist auf dem Vormarsch. Möglich machen das das Internet und unsere vielfältigen Gesellschaften.
Mannheim. In einer Shisha-Bar rauchen Ameen Khayer, Maher Kadi und Thorben Beeken Wasserpfeife. Die drei Männer bilden die syrisch-deutsche Band Shkoon, die alte arabische Lieder zu elektronischem Downbeat, Deep House und Violine mischt. Auf ihrem in diesem Monat veröffentlichten Debütalbum treffen sich auch Perkussionsinstrumente mit fetten Basslines und Poesie mit Hiphop. Die drei Männer beschreiben ihren Musikstil als eine Mischung aus „okzidentaler“ und „orientalischer“ Musik. Orientalisch soll auch die Shisha-Bar daherkommen mit ihren Rundbögen und Ornamenten. „Was ist überhaupt orientalisch?“, fragt Ameen Khayer. Und Thorben Beeken merkt an: „Wir sitzen in einer typisch deutschen Shishabar“.
Weltmusik als Universalbegriff
So stereotyp wie manche Shishabars arabischen Lifestyle oder griechische Restaurants die Atmosphäre von Mykonos vermarkten, wurde auch Musik lange Zeit promotet: Musikerinnen und Musiker, oft traditionell gekleidet, sollten exotisch oder esoterisch wirken. Britische Labels erfanden für die Musik aus nicht-westlichen Ländern in den 80er Jahren die Rubrik der „Weltmusik“. Der Begriff ist also lange von einer sich abgrenzenden Perspektive geprägt gewesen. Abgesehen von der fragwürdigen Exotisierung anderer Musikstile kann man heute fragen, ob Musik in Zeiten von Internet und Globalisierung überhaupt noch geografisch verortbar ist. Die neue interkulturelle Musik, die wir über Youtube oder diverse Streamingdienste hören können, lässt sich nicht so leicht in Schubladen stecken.
Organische Musik funktioniert ohne Kategorien
Der Sound von Shkoon lässt sich dagegen als „Oriental Slow House“ beschreiben. Schnell wird klar, dass es zu einer präzisen Beschreibung der Musik Kategorien, Zuschreibungen und Bilder braucht. Bei einem Konzert in Paris wurden Blumen und bunte Ornamente auf die Rückwand der Bühne projiziert und Thorben Beeken stellt fest: „Wenn wir an neue Orte kommen und mit Veranstaltern sprechen, geht Visual Design sehr oft in diese Richtung“. Als sie vergangenes Jahr in Beirut spielten, ging das Bühnendesign in die „Hippie“-Richtung.
Dabei zeigt der Erfolg der Band, dass Musik, die nicht eindeutig zugeordnet werden kann, durchaus gefragt ist. In der libanesischen Hauptstadt spielten Shkoon vor 3.000 Menschen, ihre Konzerte sind schnell ausverkauft, egal ob in Kairo, Moskau oder in Köln. In Mannheim singt das arabische Publikum die klassischen Melodien mit. Doch auch bei Menschen, die die Songtexte nicht verstehen, sind die Tracks gefragt. Weil die Mischung aus verschiedenen Instrumenten so organisch klingt, verführt sie zum Tanzen.
Die Sprache ist zweitrangig
Tanzen ist eine universelle Sprache, ebenso wie Musik. Das sagt auch Tarek Abu Kwaik, genannt „El Far3i“, Sänger und Perkussionist der Band 47Soul. „Du kannst draußen eine rauchen, politische Konversationen führen, aber wenn du reinkommst, wird getanzt.“
47Soul hat ein eigenes Genre geschaffen: Shamstep – eine Mischung aus Trap, Dubstep-Beats und Klängen aus dem traditionell arabischen Dabke-Tanz. Das Musikvideo zu „Intro to Shamstep“ hat auf Youtube über 11 Millionen Views.
Die Band füllt in Städten wie Amman oder Beirut, aber auch in Nordamerika riesige Hallen. „Wir spielen auf großen Bühnen in verschiedenen Ländern, weit weg von arabischen Ländern, in Südamerika, Europa. Und das Internet hat dabei geholfen.“ Dabei sind die palästinensischen Musiker gar nicht popkulturell unterwegs – noch nicht, wie El Far3i anmerkt: „Wir haben einen globalen Sound und das Ziel ist es, unseren Sound so lange zu spielen, bis er einen Einfluss in der Popwelt hat“.
Diese neue globale Musik erobert Bühnen und Herzen auf der ganzen Welt. Wie zum Beispiel auch koreanische Popmusik: „Ein paar Teenager in Nordamerika sind K-Pop Fans, auch wenn sie nicht verstehen, worum es in den Texten geht“, so El Far3i.
Potential für den Mainstream
Verändern sich unsere Hörgewohnheiten durch Musik, in der Stile verschwimmen und es Neuschöpfungen gibt? „Auf jeden Fall“, bestätigt Rim Jasmin Irscheid, Musikethnologin an der Universität Oxford. „Damals, zum Beispiel, war es ja auch ein großer Skandal, wenn man statt Wagner die Beatles oder Rolling Stones gespielt hat.“
Techno und Elektromusik spielten für globalisierte Musik eine große Rolle, da man mit ihnen einfache Toncollagen erstellen könne, sagt Irscheid. „Die Vermarktung ist natürlich auch ganz anders als bei einem kommerziellen Album, wie zum Beispiel von Miley Cyrus.“ Der Unterschied? „Da hängen jetzt nicht große Plakate in der Stadt, sondern das Publikum kennt die Bands entweder durch Freunde, Bekannte oder einfach durch ihre Online-Präsenz und verschiedene Sets.“ Die Bands setzen auf den Untergrund-Status, die Zuhörerschaft formt sich durch die sozialen Netzwerke. „Das weckt irgendwie einfach Interesse und wird dann so ein bisschen zum Selbstläufer.“
Haben interkulturelle Musikprojekte denn das Potential, in den Mainstream zu kommen? „Ich würde meiner Oma jetzt nicht gleich die Mozart-CDs aus dem Regal räumen, aber auf jeden Fall verändert sich die Hörerwartung, das Hörerlebnis und die Art und Weise, wie man über Musik nachdenkt.“