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Grenzenlose Liebe

Von Andrea Lindner / 7. Oktober 2014
picture alliance / photothek | Ute Grabowsky

Dank Globalisierung und zunehmendem Multikulturalismus gibt es immer mehr binationale Beziehungen. Sie sind eine Herausforderung, aber auch ein Gewinn. In Europa können wir arbeiten und wohnen, wo wir wollen. Billigflieger bringen uns auf ferne Kontinente. Arbeits- und Studienaufenthalte im Ausland gehören fast schon zum guten Ton. Uns steht die Welt offen – und somit auch […]

Dank Globalisierung und zunehmendem Multikulturalismus gibt es immer mehr binationale Beziehungen. Sie sind eine Herausforderung, aber auch ein Gewinn.

In Europa können wir arbeiten und wohnen, wo wir wollen. Billigflieger bringen uns auf ferne Kontinente. Arbeits- und Studienaufenthalte im Ausland gehören fast schon zum guten Ton. Uns steht die Welt offen – und somit auch der weltweite Partnermarkt. Eine fesche New Yorkerin? Ein sexy Kenianer? Eine süße Chinesin? Kein Problem.

Immer mehr Frauen und Männer finden ihren Partner oder ihre Partnerin grenz- und kulturübergreifend. In Deutschland ist jede siebte Eheschließung eine binationale Verbindung, und jedes dritte Kind, das geboren wird, hat Eltern unterschiedlicher Nationalitäten.

Weltweiter Partnermarkt

Binationale Partnerschaften sind nicht nur private Lebensentwürfe Einzelner, sie sind auch das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen.

„27 Prozent aller Erasmus-Studenten lernen im Rahmen des Erasmus-Aufenthaltes ihren Lebenspartner kennen“, heißt es in einem Bericht der EU. Seit der Gründung des Erasmus-Programms 1987 sind auf diese Weise rund eine Million Kinder auf die Welt gekommen.

Auch die steigende Anzahl von Migranten lässt die Zahl der binationalen Ehen in Deutschland zunehmen. Laut dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes haben etwa ein Fünftel der Menschen, die in Deutschland leben, einen Migrationshintergrund. Ein Drittel davon ist in Deutschland geboren.

Besonders beliebt sind deutsch-türkische Verbindungen. 4.366 deutsche Frauen heirateten 2012 türkische Männer. Italiener sind mit 1.951 Eheschließungen auf Platz 2, dicht gefolgt von den Amerikanern mit 1.173. Die weiteren Plätze der Top 10 werden von anderen Europäern besetzt.

Die Männer orientieren sich eher in Richtung Osten: Russland, Türkei und Polen (jeweils mit mehr als 2.000 Eheschließungen) bilden die Top 3. Aber auch Thailand und China sind in der Liste der Top 10 bei den Männern vertreten.

Besondere Herausforderungen

Binationale Beziehungen stehen oft vor besonderen Herausforderungen. Oft sind sie zumindest anfänglich mit Fernbeziehungen verbunden. „Durch Skype können wir uns sehen und hören, können uns alles erzählen. Aber wir können uns nicht anfassen, das fehlt mir“, erzählt die 24-jährige Sabrina, die seit vier Jahren mit einem Amerikaner zusammen ist. „Ich habe mir schon überlegt, mich zu trennen – nur aus diesem Grund. Ich will meinen Freund einfach bei mir haben.“

Lisa, die gerade ein Auslandsstudium in Helsinki macht, sagt: „Eine Fernbeziehung wäre nichts für mich. Die dauerhafte Entfernung würde ich nicht packen.“ Deshalb lasse sie sich erst gar nicht auf solche Verbindungen ein.

Aber es gibt auch Paare, die es schaffen: Tom, ein Student aus München, ist seit mehr als sieben Jahren mit einer Namibierin zusammen. Sie haben sich bei einem Schüleraustausch kennengelernt. Jetzt möchten sie gemeinsam in Deutschland leben. Doch das wird schwieriger, als die beiden anfangs gedacht haben.

Je nachdem, aus welchem Land der Partner kommt, ist ein Visum sehr teuer und manchmal sogar gar nicht erhältlich. „Wir müssen jetzt für das teure Visum sparen“, erzählt Tom.„Dann dürfen wir uns erst einmal nicht sehen, bis der Antrag durch ist – das kann über ein Jahr dauern. Und dann müssen wir ganz schnell heiraten.“

Mitra Shirazi, Sozialpädagogin und Paartherapeutin. (Foto: privat)
Mitra Shirazi, Sozialpädagogin und Paartherapeutin. (Foto: privat)

Dieses Problem kennt auch Mitra Shirazi, Sozialpädagogin und Paartherapeutin. „Unter anderen Umständen würden sich die Paare wahrscheinlich mehr Zeit bis zur Hochzeit lassen. Durch die Bürokratie hat die Partnerschaft aber leider oft wenig Raum“, sagt sie. „Das Paar kann sich nicht erst langsam annähern und an den Alltag und das neue Land gewöhnen. Teilweise muss die Ehe nach acht Wochen im neuen Land vollzogen sein.“

Kulturelle Unterschiede

Kulturelle Unterschiede können schnell zu Streit führen. „Die Probleme an sich, also die Themen der Auseinandersetzungen, sind bei binationalen Beziehungen nicht anders als bei mononationalen. Aber der Streit kann sich durch kulturelle Unterschiede verstärken“, sagt Therapeutin Shirazi, die selbst in einer bikulturellen Ehe lebt.

Beispielsweise bei der Kindererziehung kann es große Diskrepanzen geben. Will der deutsche Papa, dass die Kinder um acht Uhr im Bett sind, erlaubt die italienische Mama vielleicht, dass die Kinder bis Mitternacht toben.

Richard Fellner, Psychologe und Paartherapeut, betont, dass es die Kinder aus solchen Ehen alles andere als leicht haben. „Fast immer sind sie mit sehr widersprüchlichen Strategien und Botschaften ihrer Eltern konfrontiert und haben es daher zumeist schwieriger als andere Kinder, ihre eigene Identität zu entwickeln“, sagt Fellner. „Vielen Paaren ist gar nicht bewusst, wie sehr ihre Kinder kämpfen, oder sie bemerken es erst, wenn diese verhaltensauffällig werden.“

„Es gibt keine monokulturellen Paare“

„Die Paare müssen sich die Unterschiede immer wieder bewusst machen“, rät Shirazi. „Sonst fangen sie an, den Partner und seine Kultur abzuwerten, nach dem Motto ‚Ihr Deutschen seid doch alle gleich’. Das ist sehr verletzend und bringt gar nichts.“

Sie betont in ihren Beratungen immer wieder, wie wichtig es sei, den Partner mitsamt seinem Hintergrund anzuerkennen, ihn wertzuschätzen und auch das Positive an den Unterschieden zu sehen. „Beide können vom Anderen profitieren und viel lernen. Das ist doch super!“, schwärmt sie.

„Ich stehe dem Kulturalismus, also der Überbewertung kultureller Einflüsse, skeptisch gegenüber“, ergänzt Psychologe Fellner. „Man könnte ja auch sagen, dass selbst jede Familie einer Kleinstadt ihre ganz eigene Kultur hat. Insofern gibt es keine monokulturellen Paare.“

„In einer binationalen Beziehung geht es um das Gleiche wie in jeder anderen Beziehung auch“, meint Mark aus Frankfurt, der auch schon einmal eine solche Beziehung hatte. „Es geht darum, dass man füreinander da ist, sich schätzt, respektiert, bedingungslos liebt und vertraut. Woher der Partner kommt, ist dabei egal.“

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