Hinfallen, aufstehen, weitermachen
Schulsport verbinden viele mit Demütigungen am Barren oder bei den Bundesjugendspielen. Aus pädagogischer Sicht ein Trauerspiel. Denn Sport ist mehr als Völkerball und Weitsprung. Er vermittelt Schülern neben Spaß an Bewegung wichtige soziale Kompetenzen.
Alle Augen sind auf dich gerichtet. Vor dir eine große Sandgrube, dazwischen 30 Meter Laufbahn. Ob es dieses Mal wohl für mehr reicht als die beschämenden 2,76 Meter, die du beim vorherigen Mal gesprungen bist? Viele können sich an Situationen wie diese erinnern, wenn der Körper einfach nicht so wollte wie der Kopf. Sportunterricht in der Schule prägt Schüler; leider oft negativ.
Das liegt vor allem an dem hervorstechenden Leistungsgedanken im Sport: Höher, schneller, weiter! So das unsterbliche Motto. Zwar wird auch in anderen Schulfächern Leistung erwartet, doch werden Leistungsdefizite durch ein Vorturnen vor den Augen der Mitschüler noch einmal viel deutlicher und schmerzhafter als bei der Klausurrückgabe im Deutschunterricht. Eine Frage drängt sich deshalb auf: Sollte es im Schulsport überhaupt um Ergebnisse gehen?
Sport ist Spiel und Wettkampf längst nicht alles
Galt der Sport vor 150 Jahren bei Jungen noch als Vorbereitung auf den Militärdienst, haben sich Ziel und Zweck im Laufe der Zeit deutlich gewandelt. David Wiesche, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportpädagogik und -didaktik der Ruhr Universität Bochum, nennt zwei pädagogische Leitgedanken: Erziehung zum Sport und Erziehung durch Sport. Ersteres meint die Motivation zu sportlicher Bewegung überhaupt. „In einigen Sportarten wie Leichtathletik ist ein Wettkampfgedanke grundlegend“, sagt Wiesche, „aber es sollte nicht ausschließlich um Leistung gehen.“ Sich zu bewegen, die eigenen Grenzen festzustellen und vielleicht über sie hinauszuwachsen, ist elementar für Kinder. Und letztendlich dient Schulsport im besten Fall genau dazu: Sportliche Aktivität zu einem Lebensinhalt zu machen.
Vor 150 Jahren diente Sport noch der Vorbereitung auf die Militärzeit
Denn die ist nicht zuletzt unter gesundheitlichen Aspekten unerlässlich. Laut Zahlen des Robert Koch-Instituts sind 15 Prozent der deutschen Kinder bereits im Grundschulalter übergewichtig. Im Verlauf der Jugend steigt der Anteil noch einmal weiter an. Das beste Gegenrezept ist, man ahnt es, regelmäßiger Sport. Doch wer schon in der Schule nur widerwillig seine Sportklamotten überstreift, wird nach dem Unterricht erst recht nicht nochmal dazu greifen.
Wohlhabend und sportlich
Wer sportliche Höchstleistung in den Vordergrund stellt, übersieht noch ein weiteres Problem: die hohen Leistungsunterschiede in einer Klasse. Die Bandbreite erstreckt sich vom sportlichen Überflieger auf der einen Seite bis hin zu den vermeintlichen Couchpotatoes auf der anderen. Diese Spaltung in „erfolgreich“ und „erfolglos“ ist jedoch selten (fehlendem) Talent geschuldet, sondern meist der sozialen Herkunft. Wer Bezug zum Sport und das nötige Kleingeld hat, schickt sein Kind in den Fußball-, Turn- oder Schwimmverein. Ärmere Eltern können ihren Kindern das oft nicht ermöglichen, denn Vereinsgebühr, Ausrüstung und Trainingslager verschlingen viel Geld. Schulsport verstärkt die einkommensabhängigen Leistungsunterschiede anstatt sie auszugleichen. Es geht sogar noch weiter: Im Schulsport werden Hinweise auf arm und reich allen Schülern erst recht vor Augen geführt.
Bei den unsportlichen Kindern bleiben entsprechende Erfahrungen hängen. „Wenn ich nur negative Situationen erlebe, werde ich entweder versuchen, diese zu verändern, sie zu ertragen oder ihnen aus dem Weg zu gehen“, sagt Wiesche. Und er ist nicht der Einzige, der zu diesem Ergebnis kommt. Eine Studie der Sportwissenschaftlerin Antje Klinge hat gezeigt, dass Erwachsene, die mit Unbehagen an ihren Sportunterricht zurückdenken, auch noch Jahre später einen Bogen um Fitnessstudios und Sportplätze machen.
Der springende Punkt: Füreinander statt gegeneinander
Dabei ließe sich das leicht ändern. Man müsste nur sämtliche Potentiale des Sportunterrichts abrufen: weg vom reinen Leistungsprinzip im Gegeneinander hin zur Kooperation im Miteinander. Häufig wird die Sportstunde jedoch lediglich als Bewegungsausgleich für vom Frontalunterricht ermüdete Kinder genutzt. Damit unterschätzt man das Potential dieses Schulfachs, was seiner Bedeutung nicht gerecht wird.
Neben Interesse an verschiedenen Sportarten und abwechslungsreicher Bewegung erwerben Heranwachsende quasi nebenbei auch zentrale soziale Kompetenzen wie Teamgeist und Fairplay. Das ist das, was Wiesche als Erziehung durch Sport beschreibt. „Die Kinder müssen sich in Gruppen einfügen, auch in Konkurrenzsituationen kooperieren und im Team Verantwortung übernehmen“, erläutert er. Auch der Umgang mit Frustration und Niederlagen werde über den sportlichen Kontext hinaus erlernt. Denn Misserfolge auf der einen oder anderen Ebene werden sich niemals dauerhaft vermeiden lassen, betont Wiesche.
Deshalb sei die der Umgang der Mitschüler untereinander und vor allem die Haltung der Lehrer entscheidend: „Hier kommt es auf die Atmosphäre in der Lerngruppe und auf die emotionale Unterstützung seitens der Lehrer an.“ Gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung anstelle von Spott und Kritik seien der Schlüssel, durch den auch Enttäuschungen wieder aufgefangen und ein gestörtes Verhältnis zum Sport nachhaltig vermieden werden kann.